8 Mile
How the fuck can I be white, I don’t even exist
Schon
wieder einer, der singt, und glaubt schauspielern zu können / zu müssen?
Schon wieder eine Hollywood-reife Verballhornung einer Realität, die doch
so ganz anders ist? Schon wieder? Britney Spears hat sich blamiert. Mariah Carey
hat sich noch mehr blamiert – und jetzt Marshall Mathers, der sich selbst Eminem
nennt und den White Trash in die angepasste Glamourwelt und die seichten, weil
konfliktfreien Zonen einer Filmwirtschaft hebt, wo er nichts anrichten kann?
Ich habe keinen Bezug zu Eminems Musik und auch keinen zu Rap und Hip Hop. Aber
irgendwie beschleicht mich ein ungutes Gefühl, wenn ich beispielsweise
in einer Filmkritik in der „Frankfurter Rundschau“ lese, es gehe in diesem Film
um die Welt der „Habenichtse“, während der Artikel gleichzeitig um eine
Beurteilung des Films herumschwirrt wie die Motten ums Licht.
„Habenichtse“.
Wenn Curtis Hanson (THE WILD RIVER (USA, 1995), L.A. CONFIDENTIAL (USA, 1997),
WONDER BOYS (USA, 2000)) eines in „8 Mile“ zeigt, ja, dann ist es ein Ausschnitt
aus dieser Welt der „Habenichtse“, die mir allemal lieber ist als die Welt der
„Habealles“.
Wir
schreiben das Jahr 1995 und befinden uns in Detroit, einer Stadt, die zumindest
zu einem großen Teil von Armut, Kriminalität und Verfall gezeichnet
ist. „8 Mile“, das ist die Straße, die das Armenviertel der Weißen
und der Schwarzen voneinander trennt. Rap ist für viele hier das einzige,
was Spaß macht, was Leben ausmacht und wo sich weiße wie schwarze
Jugendliche wohlfühlen. Auch Jimmy Smith, genannt „Rabbit“ (Eminem), gehört
zu den weißen Underdogs, denen die eigene Familie nicht so wichtig ist
wie der Zusammenhalt mit Jugendlichen aus ähnlichen Verhältnissen.
Halt, bis auf eine Ausnahme: Jimmys kleine Schwester Lily (Chloe Greenfield),
für die er alles tun würde, während seine Mutter Stephanie (Kim
Basinger) sich in einer Mischung aus Selbstmitleid, (sexueller) Abhängigkeit
von einem Ex-Schulkameraden Jimmys, Greg Buehl (Michael Shannon), und Bingo-Sucht
fast schon aufgegeben hat.
Jimmy
treibt sich herum, mit seinen Freunden Future (Mekhi Pfeifer), der ihn gern
auf die Bühne holen würde, um gegen den Rap-Star Papa Doc (Anthony
Mackie) anzutreten, mit dem immer einen politischen Analysespruch auf den Lippen
mitführenden DJ Iz (De’Angelo Wilson), Sol George (Omar Benson Miller)
und dem Heißsporn Cheddar Bob (Evan Jones). Jimmy will eine Rapper-Karriere.
Doch beim ersten Antritt gegen Papa Doc hat er die Hosen voll und kotzt auf
der Toilette vor Aufregung und Angst zu versagen. Papa Doc und seine Leute lachen
über ihn. Future will Rabbit unbedingt auch weiterhin zum Rap-Battle bringen;
er mag den tagsüber an einer Stanzmaschine in einer der vielen Autofabriken
arbeitenden Jimmy, der seiner Freundin gerade den Laufpass gegeben hat, keiner
weiß so genau warum.
Während
der Arbeit lernt Jimmy die hübsche Alex (Brittany Murphy) kennen, die von
einer Karriere als Model träumt, die sie nach New York führen soll.
Jimmy verliebt sich in Alex, verschweigt ihr allerdings, dass er bei seiner
Mutter in einem der Trailer-Parks lebt. Alex ist Jimmy auch nicht gleichgültig;
in einer Nische irgendwo in der Fabrik schlafen sie miteinander.
Die
Situation spitzt sich zu, als Jimmys Mutter die Kündigung des Vermieters
erhält, weil sie drei Monatsmieten im Rückstand ist, und Buehl sie
fallen lässt wie eine heiße Kartoffel. Bingo ist zudem nicht gerade
eine erfolgversprechende „Arbeit“. Dann verkracht sich Jimmy auch noch mit Future;
und Alex schläft mit einem aus der Gruppe um Papa Doc. Mit einer Rapper-Karriere,
einem Raus aus der Tristesse der Vorstädte Detroits steht es nicht zum
besten …
Sicher:
„8 Mile“ zeigt in Erzählung, Verhalten, Ton und Musiktexten eher Zurückhaltung.
Sicher, vieles von dem, was Hanson und Scott Silver vorführen, geht auf
die Biografie Eminems zurück. Auch sicher, „8 Mile“ verschafft eine Art
„mustergültigen“ Eindruck vom Leben in den Vorstädten Detroits, eben
aufbereitet für United International Pictures und damit auch für ein
Publikum, dem der Film nicht wehtun soll. Wenn man böse sein will, kann
man zusätzlich behaupten, der Film sei ein zusätzlicher Meilenstein
in der Karriere eines bereits „angekommenen“ White-Trash-Rappers wie Eminem.
Alles
richtig, jedenfalls zum Teil. Aber „8 Mile“ ist eben mehr. Hanson zeigt uns
Bilder, die man ansonsten nur selten oder gar nicht zu sehen bekommt, Bilder
einer trostlosen Stadt, verfallener Stadtviertel, Bilder von Menschen, schwarz
wie weiß, die in einer Welt gefangen sind, die sie sich bestimmt nicht
selbst ausgesucht haben. Die Atmosphäre, die Rodrigo Pietro mit seinen
Bildern eingefangen hat, ist fast schon eine fremde Welt, die mit der unsrigen
nichts zu tun zu haben scheint. Diese Welt ähnelt eher Städten wie
Beirut oder Djakarta in den Bereichen, für die die Touristikbranche keine
Werbung machen könnte. Verfall und Einsamkeit treffen als Begriffe diese
Atmosphäre vielleicht am besten. Sex ist in dieser Welt kaum Ausdruck von
Liebe, sondern eher ein amüsanter Zeitvertreib, um die Tristesse für
Momente zu vergessen. Arbeit – wie in einer der Automobilfabriken – ist eine
lästige, phantasielose, öde Veranstaltung, um an ein bisschen Geld
zu kommen. Und trotzdem herrscht zwischen Rabbit und seinen Freunden eine tief
empfundene Zuneigung, eine Wärme, die die soziale Kälte der Vorstädte
beheizt.
Hanson
lässt zwischen den weißen Protagonisten des Rap, also vor allem Eminem
selbst, und den schwarzen keinen Rassismus aufkommen. Sie verstehen sich. Das
könnte man dem Film ankreiden, weil White Trash ohne Rassismus eher die
Ausnahme zu sein scheint. Andererseits schadet es nicht der Glaubwürdigkeit
der Geschichte, die Hanson erzählt. Denn der Zusammenhalt zwischen Rabbit
und seinen schwarzen Freunden ist durchaus überzeugend dargestellt. Rabbit
zwingt sich, in dieser afroamerikanischen Welt Halt zu finden, freiwillig, weil
er Rap mag. Er ist es zunächst, der die Sympathie der anderen braucht,
nicht die anderen unbedingt die seine. So findet er Freunde. Und so begreift
er, dass es ihm nicht viel anders geht als den Schwarzen. Die Straße „8
Mile“ hat für ihn irgendwann keine Bedeutung mehr.
Und
so kämpft er sich hoch, bis zum Endkampf mit Papa Doc. Der Sieg in diesem
Battle wird ihm Eingang verschaffen in die Welt des schwarzen Rap, mehr zunächst
nicht – und irgendwann vielleicht Erfolg bringen, wie Eminem selbst.
White
Trash ist eine merkwürdige Erscheinung. Früher repräsentiert
durch die patriotisch-dumpfen Gesänge von Country-Musik, macht er sich
in den 90er Jahren Luft in der (musikalischen) Jugendrevolte, die den Hass auf
ihre Fahnen geschrieben hat. Da werden Schwule und Lesben, Schwarze, „Andersartige“
beleidigt und beschimpft, aber in einer anderen, abstrakten Art und Weise, die
die Beleidigten selbst zu Masken des Hasses macht. In einem aufschlussreichen
Artikel schreiben Arno Meteling und André Suhr zu diesem Phänomen
resümierend:
„Aber
wer spricht dann [durch die Texte Eminems z.B., d. Verf.]? Am ehesten noch die
zu Wort kommenden Diskurse selbst, die verdrängten Momente der Barbarei,
die ungehemmte Gewalt, das Recht des Stärkeren, die unkontrollierte Wut
und der Hass gegen alles und jeden und Rache am Rest der Welt; es sind vielleicht
diese Ideen des Prä-Zivilisatorischen und Un-Kultivierten, die sich hier
ihr Ventil zu suchen und deren medialer Effekt die Figur Eminem ist. Der White
Trash, die Kehrseite des amerikanischen Traums, die niemand sehen will, die
es am besten gar nicht geben sollte, findet so zu einer paradoxen, aber irgendwie
angemessenen Repräsentation: Die Ausgestoßenen, Übersehenen
und Ungehörten erhalten eine Stimme, die sich wiederum eben nicht authentifizieren
lässt, eine Stimme ohne Sprecher“ [1]. Nicht Eminem spricht in seinen Texten,
sondern der böse Bube Slim Shady.
Dieser
Aspekt des White Trash, der ewigen weißen Verlierer als Kehrseite des
american dream, kommt in Hansons Film vielleicht zu kurz. Doch wenn man genau
hinhört, scheint er durch die (in Untertiteln übersetzten) Texte des
im Film vorgetragenen Rap hindurch.
Eminem
selbst ist vielleicht kein geborener Schauspieler, aber er macht seine Sache
gut. Das gleiche gilt für seine Partner. Sie erzeugen schon diese Atmosphäre,
die der in den Vorstädten einer Stadt wie Detroit wohl sehr nahe kommen
mag. An Kim Basingers Darstellung der Mutter Jimmys habe ich jedenfalls nichts
auszusetzen. Irgendwo stand zu lesen, sie sei zu schön für die Rolle
einer Underdog-Mother. Dürfen arme Mütter armer Kinder nicht schön
sein?
Hanson
predigt in „8 Mile“ keinen immer wieder gekäuten ideologiebefrachteten
Individualismus à la „Jeder kann, wenn er nur will“. Er predigt keinen
Einzelaufstieg, auch wenn Eminem in gewisser Weise dafür stehen mag. Er
dokumentiert weitgehend eine Welt, und zwar in Sympathie zu ihr, die uns verschlossen
scheint und die doch zu dieser einen Welt dazu gehört. Sie ist nicht ein
Produkt „von anderen“, mit denen wir nichts zu tun haben. Sie ist nicht vom
Himmel gefallen oder aus der Hölle hochgestiegen, wie uns einige Ideologen
des aufgestiegenen Teils der Einwohner der USA weismachen wollen. Da sehe ich
das Verdienst dieses Films. Dass Hanson gleichzeitig Kompromisse macht und machen
musste, mag man ihm ankreiden. Aber wer kann gegen Hollywood schon an?
Ulrich
Behrens (2002)
Dieser
Text wurde zuerst veröffentlicht in:
[1]
Arno Meteling, André Suhr: „Would the Real Slim Shady Please Stand Up!“
– Eminem und der Aufstand des White Trash, in: F.LM – Texte zum Film 02/2002,
S. 4-15, hier S. 15. Das Zitat im Titel des Berichts stammt aus Eminems „Role
Model“.
8
Mile
(8
Mile)
USA
2002, 110 Minuten
Regie:
Curtis Hanson
Drehbuch:
Scott Silver
Musik:
Dr. Dre, Eminem, Jay-Z, Kid Rock, Xzibit
Director of Photography: Rodrigo Prieto
Schnitt: Jay Rabinowitz, Craig Kitson
Produktionsdesign: Philip J. Messina, Kevon Kavanaugh
Hauptdarsteller: Eminem (Jimmy „Rabbit“ Smith), Kim Basinger (Stephanie
Smith), Brittany Murphy (Alex),
Mekhi Phifer (Future), Chloe Greenfield (Lily Smith), Evan Jones
(Cheddar Bob),
Omar
Benson Miller (Sol George), De’Angelo Wilson (DJ Iz), Eugene Byrd (Wink),
Taryn Manning (Janeane), Michael Shannon (Greg Buehl), Anthony
Mackie (Papa Doc)