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23
– Nichts ist so, wie es scheint
Mit Hans-Christian Schmids neuem Film ’23’ läßt
sich auch ‘Nach fünf im Urwald’, sein Debüt, noch einmal anders einordnen:
nicht in erster Linie als die hübsche, aber harmlose Komödie, die
der Film auch ist, sondern als erster Teil eines größeren Projekts
bundesrepublikanischer Geschichtsschreibung. Stand der Erstling aber letzten
Endes im Zeichen der Versöhnung zweier Generationen, alt gewordener 68er
und ihrer Kinder, so erscheinen die 80er Jahre in ’23’ als ausnehmend düstere
Epoche ohne Ausweg.
Wieder steht ein jugendlicher Held im Mittelpunkt, wieder
die Diskrepanz zwischen kleiner und großer Welt. Was aber in ‘Nach fünf
im Urwald’ als Bildungsroman zu beschreiben war, endet hier als Zerfall und
Zerstörung einer Biografie. ’23’ , als die Geschichte Karl Kochs, beginnt
mit dem Tod des erzkonservativen Vaters, an dem der Sohn, in der eher farcenhaften
Wiederholung des Nazis-Nazisöhne-Konfliktmusters, politisiert worden war
– und das heißt zu Beginn und Mitte der 80er Jahre: Widerstand gegen Umweltzerstörung,
gegen AKWs, atomare Bedrohung etc., Geschenk des Vaters aber, suspendiert und
nach dem Tod umso wirkungsmächtiger, ist das obskurantistische Verschwörungsbuch
‘Illuminatus’. Staatsskepsis wird, nach dieser immer ernster genommenen Vorlage,
komplexitätsreduzierend paranoid: die Weltverschwörung der Illuminaten
wird an der Häufung der Zahl 23 (für den Eingeweihten) offensichtlich.
Der Film konstruiert den Zusammenhang von Politik, Computer/Internet, Jugend
in den 80er Jahren an der Figur Karl Koch als unentrinnbares und nur als gigantische
Verschwörung durchschaubares Wahnsystem. Hacken,
das Manipulieren von Information über unsichtbare, ja nicht-repräsentierbare
Netze, ist der Pakt mit einem Teufel. Der Macht- und Geldgewinn, der sich dem
Hacken verdankt, kehrt umgehend zurück als Dämonisierung der Welt:
die Illuminatenverschwörung ist die fratzenhafte Repräsentation der
vernetzten Welt.
Schmid inszeniert diesen Wahn nüchtern, ja geradezu
dokumentarisch. Die fieberhafte Wahnwelt ist die penibel rekonstruierte Zeichen-
und Warenwelt der 80er Jahre. Die Jahre, die wir kennen, oder zu kennen meinten,
haben sich, ein Jahrzehnt später, verändert, verdüstert. Wiederkehr
des Vertrauten, aufs Unheimlichste: die Stimmigkeit der Details, das Ausgewaschene,
Bleiche der Farben, der Realismus-Effekt, die nur leichte Verschiebung der Normalwahrnehmung
auf den an sich ja kontingenten Fluchtpunkt der 23, das ist alles viel klüger
und wirkungsvoller als es der Versuch der Mimesis des Wahns gewesen wäre.
Schmid zeigt, daß Fremheit und Vertrautheit in filmischem Realismus zugleich
möglich sind. Und die irritierende Verunsicherung, die der Film hervorruft,
verdeutlicht noch einmal die Fadheit möchtegernzeitgeistiger komödiantischer
Realitäts- verdopplung per Mimikry an die oberflächlichsten Ideologien
gegenwärtigen twenty- und thirty-something-Lebens (von ‘Robbykallepaul’
bis zu paarungsreifen Großstädtern, ebenso wie das Gewollte und nicht
Gekonnte zeitdiagnostischen Extremsports (‘Solo für Klarinette’, ‘Stille
Nacht’ etc.)).
Gerade wegen seiner Sprödigkeit, der Unmöglichkeit
glatter Identifikationen (vom bloßen Wiedererkennen der 80er-Jahre Signifikanten
mal abgesehen, denen hier aber, das ist der Clou, ganz unspektakulär Signifikate
der Paranoia untergeschoben werden), der ungewaschenen Fernseh-Bild- Ästhetik
ist das ein außergewöhnlich guter Film, abweisend auf den ersten
Blick, emotional ausgeblutet, aber genau deshalb ein beeindruckendes Statement.
Ekkehard Knörer
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
23
– Nichts ist so, wie es scheint
D
1998
Regie:
Hans-Christian Schmid
Mit
August Diehl, Fabian Busch, Dieter Landuris, Peter Fitz
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