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Die
Dolmetscherin
Careless
Whisper
Zuerst
herrscht Befremdung. Gehört der afrikanische Kontinent tatsächlich
zu den bildgebenden Kulissen dieses Films oder verirrt sich Regisseur Sydney
Pollack bewusst in das krisengeschüttelte Dritte-Welt-Szenario? Ist dies
gar der Versuch einer Neo-Politisierung des gegenwärtigen Konzepts des
Kino-Thrillers, mit Beteiligung des UN-Sicherheitsrats? Man weiß es nicht,
kann nur vermuten, um schlussendlich etwas enttäuscht festzustellen, dass
sich das Unterhaltungsprinzip dieser Geschichte nicht zu einer endgültigen
Gewichtung entscheidet. Das schwarzafrikanische Matobo aus "The Interpreter"
dient lediglich als Platzhalter für diverse andere Krisenherde, ist nur
ein weiteres "böses Land".
Doch
diese Unentschlossenheit in der Konzeption macht noch keinen schlechten Film,
selbst wenn die vage Polit-Parabel die üblichen Mechanismen an den Tag
legt, in Zügen gar etwas unausgegoren auf das Ende zuläuft, um der
,Moral von der Geschichte’ und der – immerhin erstklassig gespielten – Beziehung
zwischen der UN-Dolmetscherin Silvia Broome (Nicole Kidman) und dem Geheimdienstler
Tobin Keller (Sean Penn) dann doch die Oberhand zu gewähren. Doch der Reihe
nach. Zufällig wird die aus Matobo emigrierte Dolmetscherin auditive Zeugin
eines Mordkomplotts gegen den Staatschef Matobos, Dr. Zuwanie (Earl Cameron).
Der heftigst umstrittene Tyrann wird nicht nur grundlegender Menschenrechtsverletzungen
beschuldigt, sondern gilt überdies als potenzielle Bedrohung für jede
Form der Demokratie in seiner bürgerkriegsverseuchten Heimat, was ihn dennoch
nicht davon abhält, in der nächsten Woche vor der UN zu sprechen.
"Es
war nur ein Flüstern.", weiß Silvia dem Mann vom Secret Service
zu erzählen. Ob sie die Stimme wiedererkennen würde, ist ungewiss,
zu sehr verändere sich die Charakteristik der Töne, der Laute, das
Wesen der Stimme. Tobin Keller glaubt ihr, was die Spezifikation des Flüsterns
betrifft, das angebliche Mordgespräch jedoch erscheint ihm mehr als dubios.
Es wäre ein Skandal, ein öffentliches Attentat auf internationalem
Territorium, in der Obhut des US-amerikanischen Sicherheitsdienstes. Doch längst
geht die Terroristen-Paranoia um, ein klassisches Szenario post-traumatischer
Angst, mit dem Pollack geschickt hantiert, während sein Film auf beeindruckende
Art eine Welt aus Diplomaten und Sicherheitsstandards kreiert.
Natürlich
kreist die Handlung lose um die Wahrheit herum, institutionalisiert die Furcht
vor dem Ungewissen, vor Silvias matobischen Wurzeln, ihrer politischen Orientierung,
der familiären Vergangenheit als wirkungsvollstes Instrument des ansonsten
etwas schleppend vorgetragenen Plots. Es hat schon etwas Altmodisches an sich,
wenn Pollack abseits des hysterischen UN-Trubels für die biographische
Sortierung und das leise Entblättern seiner Hauptfiguren sorgt, wenn aus
zwei Unbekannten in relativ kurzer Zeit gewissermaßen ein ganzer Bilderbogen
aus Erinnerungen und Charaktereigenschaften entspringt. Zweifellos hat Silvia
da mehr zu bieten, kristallisiert sich doch heraus, dass "ihre Vergangenheit
die Dunkelste von allen ist". Ungewiss bleibt, inwiefern dies den Verlauf
Handlung beeinflusst, ohne das Genre zu verlassen.
Denn
in der langsamen Annäherung zwischen der urplötzlich in Lebensgefahr
schwebenden Zeugin und ihrem Beschützer Keller entwickelt sich eine fast
romantische Note des Films, der glücklicherweise nicht den Fehler begeht,
unachtsam aus allen politischen und narrativen Nähten zu platzen, die Pollack
hier gern bis zum Bersten aufplustert, um es letztendlich bei einem sanften
Knall zu belassen. Vielleicht signalisiert die etwas übereifrige Dimension
des Films zuallererst sein partielles Scheitern, doch letztendlich beweist "The
Interpreter", dass gegenwärtiges Unterhaltungskino mitunter nicht
post-pubertär oder ungemein post-modern, gar selbstreferenziell sein muss,
sondern durchaus in der Lage ist, aus der aktuellen Situation heraus erwachsene
Geschichten – denn an ein solches Pubikum richtet sich der Film – zu erzählen,
die obendrein noch adäquat unterhalten. Dabei ist er in seiner Konsistenz
nicht immer konsequent, aber zumindest dann, wenn es darauf ankommt.
Patrick
Joseph
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei www.ciao.de
Die
Dolmetscherin
Großbritannien
2005 – Originaltitel: The Interpreter – Regie: Sydney Pollack – Darsteller:
Nicole Kidman, Sean Penn, Catherine Keener, Jesper Christensen, Yvan Attal,
Earl Cameron, George Harris – Prädikat: wertvoll – FSK: ab 12 – Länge:
128 min. – Start: 21.4.2005
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