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Dog Star Man

 

 

 

Das Meisterwerk von Stan Brakhage. Die ultimative Verbeugung vor dem Medium, das er revolutioniert hat. "Dog Star Man", ein Film über die Position und Rolle des Mannes in diesem Universum, unterteilt in fünf einzelne Episoden, die sowohl für sich als separate Filme funktionieren oder als Teil in diesem gigantischen Ganzen gesehen werden können.

 

Prelude.

 

Für Brakhage ist diese Vorgeschichte zu "Dog Star Man" die Vision des "geschlossenen Auges", beginnt aber biblisch mit Bildern, die für die alttestamentarische Erschaffung des Universums und unserer Erde stehen. Wir sehen immer wieder Bilder der vier Elemente unserer Welt: Wassermassen, Feuerwände, die Luft und die Erde. Diese Offenbarungen ursprünglicher Natur werden immer wieder kontrastiert mit Aufnahmen moderner Industriestädte, die bei Nacht ihre Geschäftigkeit nur noch dadurch beweisen, dass die Lichter aus Büros, Straßenbeleuchtungen und Autoscheinwerfen zu uns vordringen. Brakhage filmt aber auch ein avantgardistisches Heimvideo: Er nimmt das auf, was er liebt: Seine Frau, nackt, ursprünglich. Schön, wenn auch nur immer kurz zu sehen. Gleichzeitig montiert er Archivmaterial aus Teleskopaufnahmen der Sonne, des Mondes und der Sterne am Firmament, den Schönheiten der Natur und der Umwelt mit handbemalten Avantgardestrecken, die wiederum die Schönheiten des Medium Films und Brakhages ganz eigener, subjektiver Ausdrucksweisen darstellen. All diese Bilder werden rapide miteinander und übereinander als Überlagerungen geschnitten, die ein wunderbares Farben- und Bilderwerk bilden, das uns schlicht atemlos zurück lässt.

 

Part 1.

 

Mit dem ersten richtigen Eintrag in die "Dog Star Man"-Reihe beginnt auch das Thema der Sinnsuche des Mannes in unserer Welt. Zurückgehend auf eine Situation, in der der arbeitslose Stan Brakhage seine Ehefrau fragte, was er nun zu tun habe und sie ihm antwortete, er solle Holzhacken gehen, inszeniert Brakhage sich selbst auf dem Weg zu jener maskulinen Aufgabe. Langhaarig und bärtig, also ur-männlich, erklimmt er den Berg trotz des Schnees, um seiner neuen martialischen Bestimmung gerecht zu werden. Einmal sehen wir Brakhages Silhouette, weiß eingefärbt im Wald stehen – die Blankosilhouette steht für eine Schablone, in die sich jeder Mann dieser Welt eindenken kann. "Dog Star Man" steht für jeden Mann und jede Lebensaufgabe, die er zu meistern hat. Da draußen in der unberührten Natur hat Brakhage keine umsorgende Frau (sei es Ehegattin oder Mutter), sondern nur die Partnerschaft mit seinem treuen Hund und den bewachenden Sternen. Seine einzige Bewaffnung ist das Hackebeil. Wurde der Mann in "Prelude" als Ehegatte, Liebhaber und Vater dargestellt, ist es nun seine Rolle als Ernährer, Versorger seiner Familie. Die Szenen, in denen Brakhage mit seinem Hund wie wild durch den Schnee tollt, sind meist nur von kurzer Dauer, scheinen wie Impressionen. Das Bild, gerne unscharf und durch Nutzung verschiedenster Linsen verfremdet, wurde nachträglich per Hand bearbeitet. Bei manchen Passagen trug Brakhage sogar Glimmer auf den Filmstreifen auf. "Part 1" konzentriert sich aber in seiner Form eher auf blasse, natürliche Farben und weniger hektische Schnitte. Ein sanftes Blauweiß, natürliches Gelb und zartes Grün dominieren den Kern des Films, im Gegensatz zu den starken, bunten Variationen aus "Prelude". Zwischen all den Aufnahmen von Schnee, dem Wald, der Natur (unter anderem auch ein offenes, menschliches Herz) und dem Körper des Mannes an sich kommt es immer wieder zu Überlagerungen. Oft sehen wir zwei Bilder auf einmal. Die Frequenz der Bilderschichten wird proportional mit aufsteigender "Dog Star Man"-Nummerierung ebenfalls steigen.

 

Part 2.

 

Im zweiten Teil des "Dog Star Man"-Zyklus stehen elementare Bilder aus den vorherigen Episoden neben Aufnahmen von Brakhages Jungen Bearthm. Nun mehr invertierte und eingefärbte Bilder des im verschneiten Wald mit dem Berg ringenden Brakhage, die gegen Szenen seines Kindes, wie es nackt auf einer Decke liegt, die neue Welt anschreiend, geschnitten werden. Während der Mann auf seiner Brötchengeber-Mission ist, wartet Zuhause bereits eine neue Herausforderung auf ihn: Seine Rolle als Vater eines Sohnes. Wenn Brakhage davon spricht, dass man auf dem Berg von Colorado, auf dem er "Dog Star Man" drehte, zu gewissen Zeiten alle vier Jahreszeiten an einem Tag erleben könnte und man davon ausgeht, dass jeder "Dog Star Man"-Episode eine Jahreszeit zuzuordnen ist, dann ist dies der Frühling ("Part 1" ist Winter). Das Erwachen neuen Geistes, neuer Blumen, neuer Frische: Das Kind ist da. Ob es gemäß des "Plots" wirklich der Sohn des Bergsteigers ist oder ob jene Szenen nur traumhafte Erinnerungen an die eigene Geburt sind, lässt Brakhage offen. Im Gegensatz zu "Part 1" enthält "Part 2" auch wieder, wenn auch nur sehr kurz, komplett handgemalte Passagen.

 

Part 3.

 

In dieser recht abstrakten Sektion sehen wir nicht einmal das Bild des bergsteigenden Stan Brakhage, sondern viel mehr Aufnahmen des menschlichen Körpers, sowohl seine äußere Haut als auch seine inneren Organe. Wie schon zuvor sehen wir die Brustwarzen seiner Frau Jane, die Milch für sein Erstgeborenes geben. Am Anfang markieren wilde Handmalereien den Fund des Baumes Yggdrasil. "Part 3" ist Sommer, wenn auch nicht gerade sehr hell gefilmt. Denn hier konzentriert sich Brakhage auf die Visualisierung des Inneren im Menschen, nicht emotional, sondern biologisch. Brakhage selber spricht von knorpeligen Juwelen in uns selbst.

 

Part 4.

 

Herbst. Brakhage scheint aus einem Traum (Part 3?) zu erwachen, besinnt sich seiner Aufgabe und klettert weiter. Dieser letzte und kürzeste Abschnitt von "Dog Star Man" besitzt mittlerweile unzählig viele Überlagerungen. Wir sehen die Geburt seines Sohnes, danach erstmals den Berg, also seine Herausforderung, als Ganzes. Dann wieder die Aufnahmen des Universums aus "Prelude". Der Kreis schließt sich: In dem Moment, in dem Brakhage endlich zur Axt greift und beginnt, Holz zu hacken, endet und beginnt der "Dog Star Man"-Zyklus. Wir sehen die untergehende Sonne. Oder ist es die aufgehende Sonne aus "Prelude"?

 

Für keinen der "Dog Star Man"-Abschnitte nutzte Brakhage Musik oder Sound. Es ist ein Stummfilm, der sich auf Hauptpriorität des Medium Films beschränkt: Dessen visuelle Seite. Und durch die Lobpreisung und Vervollkommnung der Optik, indem man sie zur Erklärung unserer Welt und zum Denkmal all der Schönheit eben dieser erklärt, wird aus "Dog Star Man" mehr als nur ein Film, sondern, wie Kritiker Michael McClure einst beschrieb, ein "tanzender Film", ein "lebendiges, organisches Wesen", kreiert durch Schnitt und Kameraführung. Kolossal, allumfassend, bedeutend und einfach nur wunderschön. "Dog Star Man", der größte aller abstrakten Filme. Was bleibt noch zu sagen, außer die Amerikanische National Congress Library zu zitieren, die über "Dog Star Man" sagten, es sei der bedeutsamste Film, der je gemacht wurde?

 

Björn Last

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in:  Mitternachtskino

 

Dog Star Man.

USA, 1964. Regie: Stan Brakhage. Drehbuch: Stan Brakhage. Kamera: Stan Brakhage, Jane Brakhage. Schnitt: Stan Brakhage. Darsteller: Stan Brakhage, Jane Brakhage, Bearthm Brakhage. Farbe. 78 Min.

 

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