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Deutschland
privat
– Im Land der bunten Träume
Das durchsichtige
Ich
Als Robert van Ackerens Kompilationsfilm „Deutschland
Privat“ vor 27 Jahren ins Kino kam, lag der Film im frischen Trend der Aufmerksamkeit
für die alltäglichen Schmuddelzonen jenseits politischer Aufklärung
und intellektueller Besserwisserei. Ehemalige K-Gruppen-Adepten und Spontis
waren aus avantgardistischem Dünkel in die Niederungen der alternativen
Massenbewegung herabgestiegen, und Geschichtswerkstätten begannen, die
Spuren verschütteter Alltagsgeschichte zu erforschen. Ebenfalls 1980 setzte
die Fotografin Herlinde Koelbl mit ihrem Bildband über „Das deutsche Wohnzimmer“
den verschlossen gehaltenen heimischen Rückzugsräumen ein vielbeachtetes
Denkmal. Da kam ein Film gelegen, der von sich behauptete, aus scheinbar unbearbeiteten
Fundstücken im Fundus privaten Filmschaffens ein authentisches, bunt und
grell schillerndes Album direkt aus dem Bauch der Nation zu liefern.
Regisseur Robert van Ackeren, bis dahin mit ein paar
schrägen Sexbeziehungssatiren aufgefallen, hatte in „Deutschland Privat“
gut zwei Dutzend kompletter Super-8-Amateur-Stücke üblicher Themenwahl
hintereinandergeschnitten – ausgewählt aus einer stattlichen Sammlung,
die ihm nach einer medienöffentlichen Suchaktion zugeschickt worden war:
Urlaubserinnerungen und feuchtfröhliche Familienfeiern mit Polonaise Blankenese,
vor allem aber ein Batzen sektnippender Hausmacher-Erotik, die den Beteiligten
vermutlich Spaß machte, das Publikum aber eher quält. Dazu gab es
angeregte Kommentare, die aus dem Mund der Heimfilmautoren selbst zu kommen
schienen und – besonders zum nicht jugendfreien Schlussdrittel – viel schmissige
Musik. In den Medien erregte vor allem dieser Teil Aufsehen, und so wurde „Deutschland
Privat“ im westdeutschen Volksmund bald zum Synonym für den aufklärerisch
verbrämten geilen Blick in die schäbigen Irrungen der Self-Made-Pornokultur.
Schon damals wurde van Ackeren – neben der fehlenden
Regieanstrengung – solcher Voyeurismus vorgehalten: Vorwürfe, die der Regisseur
mit dem Verweis auf den unverstellten Blick in einen unbekannten Bereich deutscher
Alltagskultur zu kontern wusste. Doch so befreiend es sein kann, Menschen jenseits
gängiger Schönheitsideale auch in erotischer Aktion zu sehen, so setzte
die Machart von „Deutschland Privat“ in der bloßen Aneinanderreihung bizarrer
Szenen überwiegend exotisches Befremden und amüsierte Häme frei.
Falls der Super-8-Heimfilm jemals die vom Regisseur beschworene Unbedingtheit
besessen haben sollte – die Szenen in „Deutschland Privat“ sprechen eher dagegen
–, so hat diese unterstellte Naivität spätestens in ihrer Kompilation
für die große Leinwand ihr Ende.
Und in den Zeitläuften. Die Verhältnisse
haben sich gründlich geändert, nicht erst 2005, als Kodak die Produktion
des von Super-8-Filmern bevorzugten Kodachrome 40 eingestellt hat. Schon das
Erscheinungsjahr von „Deutschland Privat“ markierte mit dem neuen VHS-Format
die Verdrängung des Schmalfilms für Zuhause; mit den Videotheken und
ihrem breiten Sexfilmangebot nahm es bald auch der pornografischen Amateur-Kultur
ihren Sinn. Vier Jahre später, 1984, drängte mit den neuen privaten
Fernsehsendern die Privatsphäre selbst immer massiver in den öffentlich
zirkulierenden Bilderstrom: Das private Deutschland wurde bei Kiesbauer und
Bärbel Schäfer verhandelt. Und während sich Spiel- und Dokumentarfilm
in ihren Formen beim Amateurkino bedienten, spezialisierten sich bei den Privaten
einzelne TV-Formate à la Ackeren auf das Abspielen eingesandter Homemovies
zwecks Volksbelustigung oder gingen mit Doku-Soaps gleich zum Volk nach Haus.
Neuerdings bringen Digitalkamera und Youtube die Amateurfilmerei endgültig
aus dem Wohnzimmer ins virtuelle Rampenlicht.
Angesichts dieser stürmischen Entwicklung verblüfft
es, wenn van Ackeren nun mit dem zweiten Teil seiner „Deutschland Privat“-Kompilation
so tut, als sei in der Zwischenzeit nichts geschehen. Denn „Im Land der bunten
Träume“, so der aus einem Song geklaute Untertitel, reproduziert das Original
von 1980 zur Verwechselbarkeit: Wieder werden 25 Originalfilme aus den schmalfilmseligen
Jahren ungeschnitten hintereinandergesetzt. Wieder gibt es Titel wie „London
Gefühlsecht – Der andere Heimatfilm“ oder „Die zärtliche Matratze
– Frau ohne Mann“. Wieder ist das letzte Drittel ganz der sexuellen Betätigung
geweiht. Nur die Kommentare scheinen heute noch etwas peinlicher, weil sie offensichtlich
mit dem Wissen über den TV-gerechten Umgang mit entsprechenden Bildern
aufgeladen sind.
Unser Blick ist ein anderer geworden: Jenseits der
Exhibitionismen fokussiert er sich nun auf Zeichen zeitlicher Distanz. So wird
die fehlende Bearbeitung zur größten Stärke und Schwäche
des Films. Als historisches Material ist er faszinierend – nur hätte eine
intelligente Präsentation zugleich den einsichtigeren Umgang mit diesen
Quellen ermöglicht. Über die Produzenten der kurzen Filme etwa erfährt
man ebenso wenig wie über die Herstellungszeit. Auch die Auswahlkriterien
bleiben im Dunkeln. So ist der Zuschauer mit seiner Neugierde und den masturbierenden
Filmemachern allein gelassen. So bleibt „Deutschland Privat – Im Land der bunten
Träume“ nur der traurig sinnlose Wiedergänger aus einer längst
vergangenen Zeit.
Silvia Hallensleben
Dieser Text ist zuerst erschienen
im: Tagesspiegel
Deutschland
privat – Im Land der bunten Träume
Deutschland
2006 – Regie: Robert van Ackeren – FSK: keine Jugendfreigabe – Länge: 84
min. – Start: 21.6.2007
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