zur startseite
zum archiv
Deutschland. Ein Sommermärchen
Sönke Wortmanns WM-Film – eine
Nachbetrachtung
Die
Kritik bekam den Film erst eine Woche vor dem Start zu sehen. Aus Angst vor
Verrissen? Wohl kaum: Der Film ist, mit über zwei Millionen Besuchern bereits
in den ersten beiden Wochen, ein Selbstläufer.
Sieben
Wochen war der Regisseur Sönke Wortmann, selbst erfahrener Fußballer und
überdies mit Das Wunder von Bern als enthusiastischer Erzähler deutscher
Fußballgeschichte ausgewiesen, mit sehr beweglicher Kamera dabei, als sich die
deutsche Nationalmannschaft auf die Weltmeisterschaft vorbereitete, dann beim
Training, den Besprechungen und Spielen, immer sehr nah an den Menschen. Deutschland.
Ein Sommermärchen zeigt, wie eine Fußballweltmeisterschaft von innen
aussieht, und so ein Blick von innen hat schon etwas Befreiendes: All die
Medienhypes, all die nationalen Symbole und Erwartungen, all das Drumherum
kommt hier zwar auch an, ist aber gefiltert, mit einem Hang zum Normalen hier
und zum Surrealen dort, wie etwa bei den Besuchen der Kanzlerin und des
Bundespräsidenten bei den Spielern. Fußballspieler sind ja einerseits Stars,
andrerseits Schwerarbeiter. Aber sie sind eben auch dies: spielende Kinder, für
die Gewinnen oder Verlieren nicht nur Kalkül und Karriereplanung ist, sondern
etwas sehr Fundamentales.
Zweifellos:
Dieser Blick von innen gibt dem Geschehen einen Teil der verlorenen Unschuld
zurück. Die "Jungs", die "Männer" scheinen hier weniger die
Nationalhelden als die Mitglieder einer sportiven Boy Group, die Mädchen zum
Kreischen und die Mengen zum Tanzen bringen. Die sich ihrer Bedeutung durchaus
bewusst sind, sich aber dann, bei den Interviews, die Wortmann als visuelle
Leitlinie konsequent auf Hotelbetten führt, auch wieder ganz linkisch und
normal verhalten.
Da
es um diese innere Situation geht, kommen die Spiele selbst nur in der Form
stilisiert überhöhter Traumsequenzen vor, die so geschnitten sind, dass man
meint, Videoclips zu sehen, bei denen man versäumt hat, das Produkt zu zeigen,
für das sie werben. Insbesondere die musikalische Aufbereitung, mit einem Hang
zum mickey mousing und zum Erlösungsraumklang, erzeugt diese Nähe zum
Werbespot, die man fatalerweise auch beim Übergang zu den intimeren und
interessanteren Sequenzen nicht mehr ganz aus dem Kopf bekommt. Man lernt
einige der Beteiligten in der Tat besser kennen, und man fühlt sich für einige
Zeit wie ein imaginäres Mitglied dieses erweiterten Teams, das von Klinsmann
immer wieder mit den obligaten kernigen Formeln motiviert wird. Eine Art
kontrollierter Begeisterungsrausch erfasst den Zuschauer – es gibt bei Wortmann
nur sympathische Menschen. Man könnte den Film auch als Dokumentation eines
mehr oder weniger gelungenen gruppendynamischen Experiments ansehen, und darin
eben auch als ein politisches Modell. Fußballfilme sind immer politische Filme,
weil in unserer Gesellschaft Fußball politisch ist – zweifellos gehören
spätestens seit dem "Wunder von Bern" Fußballspiele zur nationalen
Erzählung in Deutschland.
Diese
Analogie akzeptiert Wortmanns Film natürlich schon im Titel, der nicht nur eine
positive Grundstimmung verspricht, sondern auch eine Übermalung: Heinrich
Heines "Deutschland. Ein Wintermärchen" ist ja zum Sinnspruch
melancholischer Distanz geworden. Eine Übermalungsaktion, ein Stimmungsbild und
ein medialer Appell: Immer wieder kommt es im Film zum Ausdruck. Und es ist
natürlich Klinsmanns Philosophie: nicht jammern, nicht ausruhen, angreifen, Optimismus.
Am Ende scheinen alle daran zu glauben. Das ist denn doch ein wenig zu viel der
Ausblendung im Dienst der wiedergewonnenen Unschuld. Denn der Blick von innen,
den der Film uns anbietet, ist nur ganz selten auch ein Blick nach innen.
Allenfalls in zwei, drei Szenen erlebt man nicht nur einen Perspektivwechsel,
sondern sieht tatsächlich etwas anderes als in der gewohnten
Medienberichterstattung. Neben den Bildern der Niederlage und den
Schwierigkeiten, mit ihr fertig zu werden, ist das vor allem eine Szene am
Schluss, als man sich darüber verständigen will, ob man noch zur Fanmeile in
Berlin fliegen soll. Da deutet sich immerhin an, dass es auch einen Dissens
zwischen Mannschaft und Betreuern geben kann. In solchen Szenen, und das ist in
Wortmanns Dramaturgie angelegt, versteht man ein wenig davon, wie in einer
Gruppe sich Zwang und Freiheit begegnen müssen. In manchen Augenblicken sieht
man einem Kollektiv zu, das sich in seiner Praxis selbst erfindet. Um das
wirklich würdigen zu können, zeigt Wortmann freilich zu wenig von den
Schwierigkeiten, die sich einem solchen Prozess entgegenstellen. Um zu mehr als
einem freundlichen Echo einer mindestens kulturell gelungenen Meisterschaft zu
werden, insistiert der Film zu wenig, und er zerlegt auch wenig analytisch,
weder das Spiel, noch den Betrieb eines solchen Turniers, noch das
Funktionieren eines Teams. So ist man am Ende so schlau als wie zuvor. Am
ehesten ist eine Art von Feelgood Movie für Fußballfans daraus geworden
Weil
der Film nun aber, hat man sich einmal an Perspektive und Stilmittel gewöhnt,
beim besten Willen keine Überraschungen bieten kann, und weil der Film immer
zugleich ein persönliches Statement und ein "offizieller" Sportfilm
ist und daher nirgendwo eine kritische Wendung einfügt, wird das alles dann
aber auch über anderthalb Stunden lang ein bisschen eintönig. Wortmanns Film
akzeptiert den Filter der Wahrnehmung. Auch das ist eine politische Nachricht.
Wenn man zur gleichen Zeit den französischen Film über Zinedine Zidane sieht,
dann wird klar, dass man die Verbindung von Fußball, Menschen und Politik auch
anders betrachten kann. Nämlich als Bewusstsein der Konflikte. Weil Wortmann
auch den Bildern Raum gibt, die nach der Niederlage gegen Italien entstanden,
dramaturgisch geschickt schon am Anfang, entwickelt das Ganze einen Sog der
Wiederauferstehung: Das Spiel um den dritten Platz und die anschließenden
Feiern sind eine zweite Erfindung dieser Mannschaft, die einen Sommer lang ein
bisschen von dem vergessen ließ, was das Land bedrückt. Und so ist Deutschland.
Ein Sommermärchen nicht ein Gegenbild zum nationalen Medienhype geworden,
sondern allenfalls der achtbare Versuch, den dabei produzierten Bildern eine
Seele nachzuliefern.
Georg
Seeßlen
Wortmanns
Fußballdoku lässt dieses gewisse Sommergefühl wieder aufleben: ein
stimmungsvoller, aber nie analytischer Film über Fußball in Deutschland.
Dieser Text ist zuerst erschienen
in:epd Film 11/06
Der Ball, der Spieler, der Trainer und ihre
Liebhaber
Mitten
in die Phase der nationalen Auskühlung nach dem großen Event
Fußballweltmeisterschaft, die Fahnen werden langsam ausgeblichen und der Papst
ist auch schon wieder weg, bis zum nächsten Fahnenanlass ist es weit, kommt
Sönke Wortmanns Film zum Ereignis in die Kinos. Und hast du nicht gesehen, sind
die Fernsehprogramme schon wieder im deutschen Vollrausch, trommeln und olaen
auf allen Programmen, und nur eines kann ich euch von diesem Film mit dem
programmatischen Titel »Deutschland – ein Sommermärchen« versichern: So
ekelhaft anschmeißerisch, korrupt und dumm wie der Medienhype ist er nicht,
kann er nicht sein, und das schönste Bild in diesem Versuch, die nationale
Besoffenheit medial in die Verlängerung zu schicken, war, dass es dem Regisseur
selbst wenigstens ein bisschen peinlich war.
So
ein Blick von innen, wie ihn der Film zum Ereignis gestattet, hat freilich
etwas Befreiendes; all die Medien-Hypes, all die nationalen Symbole und Erwartungen,
all das Drumherum zum Fußball kommt hier zwar an, aber doch auch gefiltert, mit
einem Hang zum Trivialen und oft genug auch einem zum Surrealen, wie etwa bei
den Besuchen der Kanzlerin und des Bundespräsidenten bei den Spielern. Man
sitzt mit unseren Jungs eher konsterniert da, wie beim Besuch des Schulrates im
Turnunterricht. Man weiß, dass alles, wirklich alles gelogen ist. Fußballspieler
sind ja einerseits Stars, andrerseits Schwerarbeiter, die auf eine enorme
Vielzahl von Reizen reagieren müssen, und sich auf einigermaßen anstrengende
Art darauf vorbereiten, es müssen auch Schauspieler und Geschäftsleute in ihnen
stecken. Aber sie sind eben auch dies: spielende Kinder, für die Gewinnen oder
Verlieren nicht nur Kalkül und Karriereplanung ist, sondern etwas sehr
Fundamentales.
Das
Verkindlichen setzt sich fort im Zugriff der Medien; von innen gesehen hat auch
der Reporter etwas teils Vulgäres, teils Groteskes an sich, der sofort das
vertrauliche »Du« gebraucht, man weiß nicht recht, wie darauf reagieren. Es ist
einerseits die Art, wie das Medium den Fußballer als »Kind« adoptiert, aber
umgekehrt ist es auch die freche Behauptung des Mediendeppen, sozusagen aus dem
Stand heraus Mitglied dieses Männerbundes zu sein. Wenn Fußballspieler nicht
auf dem Platz sind, sind sie mit der Verteidigung ihrer Würde vollauf
beschäftigt. Gut zu sehen: Es gibt da ein paar sehr unterschiedliche
Strategien. Wie damals in der Schule …
Zweifellos:
Dieser Blick von innen gibt dem Geschehen einen Teil der verlorenen Unschuld
zurück, jedenfalls für 107 Minuten. Auch der Begeisterungsrausch, diese
nationale Selbstfeier, wird hier von innen gesehen, etwas, auf das die deutsche
Mannschaft reagieren muss, wie sie auf Strategiewechsel gegnerischer
Mannschaften reagieren muss. Als Fernsehbild in einer nach den Bedürfnissen
einer eher körperlich orientierten Männergruppe umdekorierten Hotellobby,
gleichsam zur Nachricht aus einer anderen Welt mutiert, verliert das ganze
etwas von der ideologischen Fragwürdigkeit. Immer wieder betritt man mit dem
Team den Außenraum einer in Bewegung geratenen Öffentlichkeit. Die »Jungs«, die
»Männer«, wie sie beständig angesprochen werden, scheinen hier allerdings
weniger als die Nationalhelden denn als die Mitglieder einer sportiven Boy
Group, die Mädchen zum Kreischen und Mengen zum Tanzen (oder wenigstens zum
Wellenschlagen) bringen.
Die
Spiele selber kommen in Wortmanns Film nur in der Form stilisiert überhöhter
Traumsequenzen vor (wir kennen schließlich die andere Seite zur Genüge), die so
genau mit der Musik geschnitten sind, dass man eine Art Fußballoper sieht, mehr
noch aber Clips, bei denen man versäumt hat, das Produkt noch einmal ins
Zentrum zu stellen, für das man eigentlich Werbung treibt. Spielzüge und
Schweißtropfen in Zeitlupe. Da wird die Grammatik problematisch. Dass Fußball
jetzt, praktisch und materiell ist, und dass gerade das das Tolle daran ist,
wird ausgerechnet hier verleugnet, wo man doch gerade bereit war, Arbeit und
Psyche eher als den Mythos und die Ideologie zu sehen.
Insbesondere
die musikalische Aufbereitung, mit einem Hang zum mickey mousing und zum
Erlösungsraumklang, erzeugt diese Nähe zum Werbespot, die man fatalerweise auch
beim Übergang zu den intimeren und interessanteren Sequenzen nicht mehr ganz
aus dem Kopf bekommt. Die Leerstelle des Werbefilms ist wahlweise Fußball oder
Deutschland oder einfach: Pop. Man lernt einige der Beteiligten in der Tat
besser kennen, auch Nebenfiguren wie den Masseur oder den Fahrer des Busses,
und man fühlt sich für eine Zeit in der Tat wie ein Mitglied dieses erweiterten
Teams, das von Klinsmann immer wieder mit den kernigen Formeln motiviert wird,
die weder besonders intelligent noch besonders sympathisch sind, aber darauf
kommt es nicht an.
Eine
Art kontrollierter Begeisterungsrausch erfasst auch den Zuschauer, es gibt in
diesem Film nur sympathische Menschen. Man könnte den Film als Dokumentation
eines mehr oder weniger gelungenen gruppendynamischen Experiments ansehen, und
darin eben auch ein politisches Modell erkennen. Fußballfilme sind immer
politische Filme, weil in unserer Gesellschaft Fußball sowohl im Inneren wie im
Äußeren politisch ist. Es muss ja nicht immer diese Holzhammer-Metaphorik
zwischen Bundeskanzlern und Nationaltrainern und ihren jeweiligen
Führungsstilen sein, aber zweifellos kann man Deutschland nicht erzählen, ohne
Fußball zu erzählen.
Diese
Analogie akzeptiert Wortmanns Film, natürlich schon bei dem Titel, der nicht
nur eine positive Grundstimmung verspricht (die voll und ganz eingehalten wird,
das gehört zur Strategie des Films), sondern auch eine Übermalung: Heines
»Deutschland. Ein Wintermärchen« ist ja zum Sinnbild melancholischer Distanz
geworden, auch und gerade bei all jenen, die das Versepos nie gelesen haben.
Eine Übermalungsaktion ist das also gleich zweimal, einmal durch menschliche
Nähe und das andere Mal durch die ästhetische Überhöhung. Was in der Mitte
fehlt, ist die Chance kritischer Distanz. Immer wieder kommt es auch im Film
zum Ausdruck, und es ist natürlich Klinsmanns Philosophie: nicht jammern, nicht
ausruhen – hinlangen, angreifen, Optimismus. Wortmann, so liest sich’s in
seinem Tagebuch, will so auch Filme machen.
Das
ist denn doch ein wenig zu viel der Ausblendung im Dienst der wieder gewonnenen
Unschuld. Denn der Blick von innen, den der Film uns anbietet, ist nur ganz
selten auch ein Blick nach innen. Allenfalls in zwei, drei Szenen sieht man
nicht nur einen Perspektivwechsel, sondern tatsächlich etwas anderes als in der
gewohnten Medienberichterstattung. Neben den Bildern der Niederlage und den
Schwierigkeiten, mit ihr fertig zu werden, ist das vor allem eine Szene am
Schluss, als man sich darüber verständigen will, ob man zum Abschluss noch zur
Fanmeile in Berlin fliegen soll. Wie leer man nach einem solchen Turnier sein
kann, davor warnt Ballack und deutet immerhin an, dass es auch einen Dissens
zwischen Mannschaft und Betreuern geben kann (und Klinsmann hat
intelligenterweise den Raum verlassen, um die Mannschaft zu einem
demokratischen Ergebnis kommen zu lassen; schon wieder kommt man sich vor wie
in einer Schule).
In
solchen Szenen, und in Wortmanns Dramaturgie angelegt, versteht man ein wenig
davon, wie in einer Gruppe sich Zwang und Freiheit begegnen müssen, und warum
das mindestens so bedeutend ist wie die Taktik und die körperliche Fitness. Zu
den ersten Statements des Films gehört es, dass Co-Trainer Löw meint, die
»deutschen Tugenden« reichten heute im Fußball nicht mehr aus, die seien längst
selbstverständliche Grundlagen. Da ahnt man, was das Innen und das Außen
zusammenhält: ein Versuch der Neubestimmung, wenigstens der Erweiterung dessen,
was man als »deutsch« begreifen soll.
In
manchen Augenblicken sieht man einem Kollektiv zu, das sich in seiner Praxis
selbst erfindet. Um das wirklich würdigen zu können, zeigt Wortmann freilich zu
wenig von den Schwierigkeiten, die sich einem solchen Prozess entgegenstellen.
Verbal zumindest passiert in diesem Film auch nicht viel anderes, als in den
Fernsehberichten zu hören und in den Zeitungen zu lesen ist. Klinsmanns
Anfeuerungen klingen nicht anders als im »Elf Freunde müsst ihr sein«-Diskurs.
Er insistiert zu wenig, und er zerlegt auch wenig analytisch, weder das Spiel
(wer erinnert sich noch an Helmuth Costards »Fußball wie noch nie«?) noch den
Betrieb eines solchen Turniers, noch das Funktionieren eines Teams. So ist man
am Ende so schlau als wie zuvor. Am ehesten ist eine Art von Feelgood Movie für
Fußballfans daraus geworden, bei dem Wortmann natürlich der Instinkt für sein
Material und seine Menschen zugute kommt. Er weiß genau, welche Situationen und
welche Spieler am besten »rüberkommen«, und insbesondere Bastian Schweinsteiger
setzt er nachgerade wie einen Schauspieler ein (und der dankt es ihm mit einer
»Spielfreude« auch vor der Kamera). Die Frage nach dem einzelnen und dem
Kollektiv ist also einmal mehr nach dem Prinzip des Spielfilms entschieden:
Stars, Sidekicks, character actors, bit parts, Statisten. Das wichtigste ist
der Platz.
Zwei
weitere größere Probleme freilich machen einem das Ansehen doch nicht zum
reinen unbeschwerten Genuss. Zum einen muss der Aspekt der Überraschung fehlen;
nachdem man sich einmal an die Perspektive und an die wiederkehrenden Merkmale
der Darstellung (etwa die durchgehende Interview-Situation der Spieler auf
einem Hotelbett) gewöhnt hat, kann nichts Neues mehr geschehen. Man weiß nicht
nur, wie es ausgegangen ist, man kennt schon die meisten der Sprüche und
Gesten. Es ist ein Schatten, ein Echo, ein Gespenst. Im besten Fall hat
Wortmann versucht, der Medien-Inszenierung von Fußballdeutschland nachträglich
eine Seele zu verleihen.
Das
zweite ist vielleicht schwerwiegender. »Deutschland – ein Sommermärchen« hat
einen Aspekt von Fan-Enthusiasmus, Wortmann, selber versierter Fußballspieler und
als Fußballfilmer durch »Das Wunder von Bern« ausgewiesen, hat sich einen
persönlichen Traum erfüllt, aber das Produkt hat auch einen Aspekt eines
offiziellen Sportfilms. So sieht man vielleicht die freiwillige oder
unfreiwillige Komik mancher Situationen (die Pein der Urinprobe bei der
Doping-Kontrolle oder die Flachsereien beim Massieren, Schweinsteigers Spiel
mit der Kamera), aber irgend einen Punkt des kritischen Innehaltens oder der
Brechung wird man vergeblich suchen. Da, wo es interessant zu werden droht, zum
Beispiel bei der Lobby von Bayern München und ihren Versuchen, in die
Besetzungspolitik der Nationalmannschaft einzugreifen, belässt man es bei
Andeutungen. Dass Wortmann nicht nachfragt, das gehört natürlich zu seinem
Konzept: dabeisein, nicht analysieren. Sein Konzept ist aber auch Symptom, da
kann man nichts machen.
Das
wird dann aber auch über anderthalb Stunden lang, bei allem filmischen
Geschick, ein bisschen eintönig. Die Perspektive wird zu keinem Zeitpunkt
einmal aufgebrochen. Wortmanns Film akzeptiert den Filter der Wahrnehmung. Auch
das ist eine politische Nachricht. Wenn man zur gleichen Zeit den französischen
Film über Zinédine Zidane sieht, ohne einen direkten Vergleich zu intendieren,
dann wird klar, dass man die Verbindung von Fußball, Menschen und Politik auch
anders sehen kann. Nämlich im Bewusstsein des Konflikts, im Bewusstsein einer
schwierigen Realität.
Es
hilft Dramaturgie, wo der Blick nicht genauer werden darf. Weil Wortmann auch
den Bildern Raum gibt, die nach der Niederlage gegen Italien entstanden,
dramaturgisch natürlich geschickt schon am Beginn des Films, entwickelt das
ganze einen Sog der Wiederauferstehung: Das letzte Spiel um den dritten Platz
und die anschließenden Feiern sind eine zweite Erfindung dieser Mannschaft, die
einen Sommer lang ein bisschen von dem vergessen ließ, was das Land bedrückt.
In der Politik, aber auch im Fußball selbst.
Dieses
Innen, aus dem »Deutschland – ein Sommermärchen« immer wieder ganz direkt
heraus erzählt, etwa wenn man die Protagonisten hinaus aus dem Tunnel in das
gleißende Licht und den Massenjubel des Stadions treten lässt und dabei die
Blendung ganz direkt miterlebt, dieses Innen ist eine pure Fiktion (und
manchmal hat man das Gefühl, Wortmann und seine Zuschauer wären da mehr an der
Kreation eines Zuhauseplatzes interessiert, als es die Protagonisten selber
sind). Man kann eben auch auf das Authentische hereinfallen. Und
Fußballdeutschland ist die authentische Fiktion am Beginn des nächsten Kapitels
im Bürgerkrieg des Neoliberalismus.
Georg Seeßlen
Dieser Text ist zuerst erschienen in:
Jungle World
Deutschland. Ein Sommermärchen
Deutschland 2006. R: Sönke Wortmann. P: Tom Spiess. K: Sönke
Wortmann, Frank Griebe. Sch: Melania Singer, Christian von
Lüpke. M: Marcel Barsotti. Pg: Little Shark/WDR. V: Kinowelt. L: 110 Min. FSK: ohne Altersbeschränkung.
Mit: Jürgen Klinsmann, Joachim Löw, Michael Ballack, Andreas Köpke, Oliver
Bierhoff und der deutschen Nationalmannschaft.
zur startseite
zum archiv