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Das
Deutsche Kettensägenmassaker
Blut
und Boden und Schleim
Nur
bei einer zu schreibenden Filmkritik war mir so mulmig wie bei dieser: bei der
zu „The
Third Society“
von J.A. Steel, dem bis an ihre stählernen Zähne bewaffneten, bis
in die tödlichen Haarspitzen durchtrainierten Kampfschwein, das mir ihre
unvorstellbar misslungene DVD eigenhändig aus USA zuschickte: mehr ein
Befehl als eine Bitte um Rezensierung. Und nun ist Schlingensief dran, der im
Interview auf der DVD „Das Deutsche Kettensägenmassaker“ selig lächelnd
erzählt, wieviel Spaß es bei der Premiere des Films gegeben habe,
besonders als dieser eine „Redakteur“ ihm sagte: „Was du machst, ist Scheiße!“
und er einen seiner Lakaien beauftragte, den Mann doch mal eben von hinten an
den Eiern zu packen und hochzuheben. Was für ein Fest, als er dann vornüber
fiel…
Auch sehr freue ich mich
auf diese Kritik, weil eine tragende Rolle in diesem Film (Dietrich) von dem
lieben Co-Herausgeber und Förderer der filmzentrale Dietrich Kuhlbrodt,
dem Schlingensief-Fan Nummer 1 innerhalb der deutschen Filmkritik, verkörpert
wird. Dass seine Gattin Brigitte Kausch (Brigitte) auch mitspielt, macht alles
nur noch unverfänglicher.
Okay: Dieser Film ist nicht
nur Scheiße, er ist mehr als das: Er ist Scheiße plus das Gedärm,
das sie produzierte, plus Reste der Tiere, deren Gedärm die Scheiße
produzierte. Wobei wir schon beim Allegorischen wären, denn von nichts
kommt nichts, und in dieser „Überhöhung“ erst ist zu erkennen, dass
wir alle Scheißer einer Scheiße sind, genauso wie wir alle Schiss
haben und dass wir alle irgendwie irgendwo irgendwann entweder ver- oder ausgeschissen
haben oder haben werden. Scheiße, eine deutsche Spezialität.
Scheiße spielt im
„Deutschen Kettensägenmassaker“ nur eine vergleichbar untergeordnete Rolle
– genau wie im Metzgereifach, denn hier geht es ums Handwerk, um das Zeug um
die Scheiße herum, um den goldenen Darm-Boden und um die hohe Kunst der
Wurstzubereitung, eine andere deutsche Spezialität – im Vergleich zur texanischen
des T-Bone-Steaks. Verarschen lassen wir Deutsche uns nicht, aber verwursten.
Im Jahre 1990 hat der Westen
mit seiner 41-jährigen, schon leicht inzestuösen, Wurst-Erfahrung
unerwartet neues, ein wenig graues (konnte man dann mit Farbstoffen auf frisch
trimmen) Rohfleisch aus dem Osten gewinnen können. Jenen Vorgang nannte
man „Wiedervereinigung“. Und selbiges Ereignis war Anlass für diesen Film,
dessen Drehbuch Schlingensief – einerseits inspiriert durch Tobe Hoopers „Texas
Chainsaw Massacre“,
(Teil 1 und 2) andererseits durch die bananenschwenkenden, „Wir sind das Volk“-skandierenden
Menschenmassen beim Grenzübergang Ost-West, innerhalb von 14 Tagen fertig
hatte. „Sie kamen als Freunde und wurden zu Wurst“ bringt der Slogan des Films
die Geschichte auf den Nenner, und Schlingensief korrigiert im Interview etwa
10 Jahre später: „Nicht einmal Wurst, sondern einfach nur Grütze“
sei rückblickend aus ihnen, den Brüdern und Schwestern aus dem Osten,
geworden.
Zur Handlung:
Clara (Karina Fallenstein)
aus Leipzig macht zuerst Haustier und Gatten (Susanne Bredehöft) nieder,
dann über die Grenze (noch pseudobewacht von u.a. VOPO Irm Hermann) nach
Westen, wo sie sich mit ihrem Lover Artur (Artur Albrecht) verabredet hat. Doch
Artur hat keinen ausgeprägten Sinn für Romantik. Seitdem er im Westen
ist, ist er „gestählt“ und leidet unter Zeitmangel. So hat er für
Clara, aus Wiedersehensfreude, gleich zwei Matratzen auf die Straße gelegt,
damit es sofort los gehen kann. Sein Vergewaltigungsversuch aber misslingt,
weil ihm der Schädel von einem debilen Teutonen (Volker Spengler) weichgekloppt
wird. Dieser ist inzestuöses Produkt einer Westfamilie, die, seit die Mauer
gefallen ist, in ihrem Mercedes-Cabrio durchs Ruhrgebiet zieht – ganz wie John
Wayne in „Hatari“ – um die gutgläubigen Tiere des Ostens einzustimmen auf
den großen Verkauf: Zuerst werdet ihr tot! (Auf welche Weise Ihr hernach
Euer Fleisch opfert, ist unbedeutend!) Und schließlich werdet ihr gegessen!
Unsere Westler zieren ihre
zwanghaften blutigen Tötungsdelikte mit deutschem, allzudeutschem Jargon.
So besteht in Großdeutschland nun wirklich keine Gefahr mehr, missverstanden
zu werden, und alles passt. Und wenn Udo Kier in einer Doppelrolle einmal als
Hitler-Double mit einem Hakenkreuz als Oberlippenbart und später dann als
USA-Rückkehrer (Johnny) (der er ja auch ist) auftritt, der überkandidelt
eine Show daraus macht, wenn er seine mit Hochprozentigem beträufelte Vokuhila-Minipli
entzündet („Johnny breeennt!“), dann ahnen wir, dass hier die Zeichen und
Symbole sprechen – solange wir denken und nicht fühlen wollen, weil das
ja unseren ganzen Hormonhaushalt und guten Geschmack nachhaltig infizieren könnte.
Alfred Edel spielt den Haupterben
der deutschen Tragödie. Er tut es eingedenk des mit Totenkopf gefüllten
Wehrmachthelms, den er als „Vater“ bezeichnet und den er nicht sterben lassen
kann – weil er definitiv untot ist. Edel spricht den Chef der Metzgerei und
Edel spricht uns den deutschen Vater, nach dessen simpler Leichen-Ordnung sich
das Deutschland dieser Metzgerfamilie zurücksehnt – angesichts der doch
komplexeren postmodernen Schlachte-Kultur – allein: der Nazi-Patriarch schweigt,
damit Edel uns sagen kann, was er immer noch denkt. Genauso wie Hitchcock uns
per Anthony Perkins verriet, was Frau Bates nicht mehr sagen konnte, aber wollte!
Überhaupt die Zombies
hier, all die Untoten und all das Untote. Deutschland per se ist vergammelt,
versammelt, verdammt und drin in dieser kruden, stümpernden Vergangenheits-
und Gegenwartswurst. Letztlich einlassen müsste man sich schon darauf,
dass im „Texas Chainsaw Massacre“ genau so viel Surrealismus steckt wie im „Goldenen
Zeitalter“ eines Bunuel – um dessen deutsche Antwort als das zu begreifen, was
sie wirklich sei….Denn wenn wir unser Unbewusstes denken, können wir
uns freuen über einen der besten deutschen Filme der Nachkriegszeit, sollten
wir aber beginnen zu fühlen, werden wir kapieren, dass Christoph Schlingensief
uns bereits jetzt voll an die Eier/-stöcke genommen hat.
Die Dinge des kapitalistischen,
westdeutsch-gewendeten ostdeutschen „life-style“ werden nicht mehr gezeigt,
sondern rohest versinnlicht. Der gefühlte, wie eine Kettensäge vibrierende,
Film-Text ist der der Gewalt, der psychotischen Finalität, und die erzählte
Geschichte ist die vom Immerwiederkehren des Vergewaltigen, Massakrieren und
Verdarmen. Der Film ist weit jenseits konventioneller Geschichtsklitterung angelangt,
er geht triebhaft, hemmungslos und irrational dem latenten Paradigma der beiden
vereinigten Deutschlands auf den Leim und deshalb bis zum Ende auf den Grund:
„In einer Zeit, in der alles möglich ist, ist es egal, ob es gut ist oder
schlecht!“
„Das Deutsche Kettensägenmassaker“ zählt neben etwa von Sternbergs „Der blaue Engel“, Staudtes „Der Untertan“, Kluges „Die Patriotin“, Fassbinders „Lola“, Schlöndorffs „Die Blechtrommel“, zu den filmischen Schlüsselwerken der deutschen Geschichte, weil der Film Geschichte da verortet, wo sie eigentlich passiert: in dem, was feuilletonistischer Geist gern verdrängt, im puren Körper (und seiner Verwendung), und heute und gestern: im Grinsen des Totalkapitalismus, im systemimmanenten Verdikt zum mentalen Töten, Sterben, Quälen, Leiden. Der Film über das Irresein in Deutschland. Adorno nannte dergl. noch höflich: „Das Unbehagen in der Kultur“.
Zu wenig geschleimt?
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Buch
und Regie: Christoph Schlingensief
Kamera:
Christoph Schlingensief
Schnitt:
Ariane Traub
Ausstattung:
Uli Hanisch
Regie-Assistenz:
Udo Kier
Musik:
Jacques Arr
mit:
Karina
Fallenstein
Susanne
Bredehöft
Artur
Albrecht
Volker
Spengler
Alfred
Edel
Brigitte
Kausch
Dietrich
Kuhlbrodt
Reinald
Schnell
Udo
Kier
Irm
Hermann
Eva
Maria Kurz
Ingrid
Raguschke
Mike
Wiedemann
DVD bei :
System:
PAL
Laufzeit:
ca. 60 Minuten + Extras
Bildformat:
4:3
Tonformat:
Originalkinoton: lautes Mono
Extras:
Interview mit Christoph Schlingensief, Original-Kinotrailer, Fotos
FSK
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