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Der
lieben Mutter
Ein
pessimistischer, aber vom Witz der Erkenntnis beträchtlich erhellter Essayfilm
über das Thema Mutterschaft, Mutterglück und Mutterleid. Assoziationsreich
wird dokumentarisch gesichtetes Bild- und Tonmaterial mit Spielfilmelementen
angereichert und zum Sprechen gebracht. Die Bezüge zwischen dem Fortpflanzungsinstinkt
und dem Glauben an den zivilisatorischen Fortschritt durch Atom- und Gentechnologien
stellten sich von selbst her. Das Besondere und, soweit ich sehe, Einmalige
an diesem Film ist, daß er wenig explizit behauptet, aber gerade dadurch
in der Lage ist, den Zuschauerinnen und Zuschauern, an die er sich wendet, zu
einer Einsicht zu verhelfen, die deren eigene ist. Die Wirkung DER LIEBEN MUTTER
dürfte daher nachhaltig sein. Und da Roswitha Ziegler und Niels Bolbrinker
(Wendländische Filmcooperative) in diesem außerordentlichen und sehr
empfehlenswerten Film einfallsreich, durchaus auch ironisch und bös sarkastisch
ihre Materialdramaturgie fesselnd und mit zunehmender Spannung zum leider zwangsläufigen
Ende voranzutreiben wissen, wird der Zuschauer emotional und intellektuell zusehends
beteiligt und am Ende erfüllt entlassen. Seine Einsicht muß er schon
selbst formulieren. Die Konsequenz aus der Bedrohung durch die aktuellen Technologien
wird sein, daß die Mutter sich ausdrücklich die Frage stellt, ob
sie es verantworten kann, Kinder in diese Welt zu setzen.
Am
Anfang des Films dicke, schwangere Bäuche. „Einfach um glücklich zu
sein", sagt die werdende Mutter, „der Wunsch, sich selber zu reproduzieren,
und Neugierde auf das, was man zustande bringt". Die Nachkommen sind ihr
zu Dank verpflichtet. Die Sahnetorte ist „Der lieben Mutter" gewidmet.
Die gleichen Worte zieren zum Schluß des Films die Grabschleife; die Kamera
sieht der Arbeit der Grabschleifendruckerei zu. Sie hat viel zu produzieren.
Und zu den Adressatinnen gehört sie selbst.
Der
Film, der Fragen aufwirft, stellt die Ganzheit der Mutter-Frau in Frage. Er
zeigt keine Figur, die zur Identifikation einlädt. Aber er montiert in
einer der ersten Sequenzen Körperteile von Frauen. Der Kommentar nimmt
das, was zu Material geworden ist, auf: „Der Körper, mein Körper,
denaturiert, instinktlos geworden. Bis auf diesen hartnäckigen Wunsch.
Was für ein Programm in mir?" – Gleich in der nächsten Szene
dementieren sich Bild und Ton gegenseitig. Die Narbe des Kaiserschnitts kommt
groß ins Bild, dazu behauptet eine Kinderstimme im off: „Das Baby kommt
aus meiner Möse". Das Kind bekommt keine Antwort; es braucht keine,
denn es sieht das, was sich unserem Blick längst verstellt hat. Eine Kloschüssel
mit Blut, den Mutterkuchen. Eklig werden dadurch die Bilder, die folgen: brillant
fotografiertes Werbematerial. Im sanften Licht umklammert eine kleine süße
Kinderhand den großen Daumen der Mutter, ein sentimental-verlogenes Bild.
Der Kommentar wird an dieser Stelle deutlich: „Das Bild der Mutter besetzt von
staatlicher Glücksdoktrin. Zum Werbeträger verkommene Fiktion. Das
einzige, was wir dem entgegenzusetzen haben, sind wir selbst". – Text und
Bild bereiten auf diese Weise in wechselnder
Funktion
das Mutter-Material auf, auch die Sprache wird bisweilen zur Materialmontage:
ein expressives Staccato aus Stichwörtern („Mutterkuchen, Muttermund, Muttersprache;
Vaterland").
Die
assoziativen Montagen stellen Zusammenhänge her. Von der Baby- zur Puppenproduktion.
Vom Konsumenten, der sich ein Baby leistet, zu dem, der sich ein Auto anschafft.
Die Eltern vor der Scheibe der Säuglingsstation: „Was für eine Ausstattung.
Ich dachte, das ist nur bei der S-Klasse!" – Die Schläuche in der
Babyintensivstation bringen die sogenannte Euthanasie mit dem neuesten Stand
der Gentechnologie zusammen. Die Exzerpte aus den neuesten Werken der extrakorporellen
Technik finden im Film den ihnen gebührenden Zusammenhang, und der reicht
vom Steinzeitmensch über das Ultraschallbild zur technologischen Katastrophe
von Tschernobyl. – Es ist bewunderswert, wie es dem Film mit Leichtigkeit gelingt,
diese Dimensionen vorstellbar zu machen und den Weg der Evolution in Frage zu
stellen: die Kontrolle der gentechnologischen Reproduktion als Vorgang „der
inneren und äußeren Kolonisierung" (off-Kommentar).
Die
Kinder werden Soldaten und legen ihr Gelöbnis ab. Mutter bewundert die
Ordnung im Spind. „Aber im Ernstfall sieht das doch alles ein bißchen
anders aus". Ilona würde bei einer Atomkatastrophe in Gorleben den
Kindern noch ein schönes Essen machen. Gift rein und das alles beenden,
„auch für mich". – So verzweifelt-düster der Film endet, so sehr
teilt der Elan, mit dem er gemacht ist, mit, daß etwas zu tun ist und
daß etwas getan werden kann. Etwas, über das wir sofort sprechen
können. Jetzt.
Dietrich
Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen in: epd Film 3/88
DER LIEBEN MUTTER
BRD 1987. R: Roswitha Ziegler. K: Niels Bolbrinker. Sch: Roswitha
Ziegler, Niels Bolbrinker. T: Gerhard Ziegler. V: wendländische fllmcooperative,
3131 Marleben 4. L: 90 Min.
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