Dem
Himmel so fern
Es
gibt Menschen, die halten Filme von Douglas Sirk für seichte, schwülstige
Melodramen, für Heulkino der übelsten Sorte.
In
seinem 1955 entstandenen Film „All That Heaven Allows" (mit Jane Wyman
und Rock Hudson in den Hauptrollen) erzählte Sirk die Geschichte der reichen
Witwe Scott, die sich in einen viel jüngeren Mann verliebt, einen Gärtner.
Nachbarn, Freunde, Bekannte, ihre ganze soziale Umgebung reagiert mit Aggression,
Intrige, Druck. Sirk thematisierte in diesem Film, wie Verhalten, das nicht
in die sozialen Normbereiche integriert ist, mit aller Gewalt bestraft wird.
Vor allem aber tauchte Sirk seine Filme in Emotion. Das heißt, er ließ
die Emotionen und die damit verbundenen Handlungen seiner Figuren die Szene
beherrschen. Ein Melodrama der besonderen Art war geboren oder vielleicht nur
weiterentwickelt.
Waren
es in „All That Heaven Allows" noch Heirat unter Stand und der Altersunterschied,
der die entsprechenden gewalttätigen Reaktionen auslösten, sind es
in Todd Haynes „Far from Heaven" Homosexualität und Hautfarbe. Haynes
erzählt die gleiche Geschichte wie Sirk, und doch so anders, allein schon
deshalb, weil sein Film im Jahr 2002 gedreht wurde. Das Gleiche und das Ungleiche
an diesem exzellenten Film, die Spannung zwischen beiden, lässt diesen
Film zu vielem werden: zu einer Hommage an den großen Sirk und das Kino
der 50er Jahre, zu einem bedeutenden Beitrag zur Filmgeschichte, vor allem aber
auch zu einem extrem kritischen, allerdings nicht böswilligen Blick auf
die Frage, was sich denn nun eigentlich geändert hat. [1] Das katapultiert
diesen Film aus dem ernsten wie komödiantischen Mainstream heraus.
„Sirk
hat gesagt, Film, das ist Blut,
das
sind Tränen, Gewalt, Hass
der
Tod und die Liebe. Und
Sirk
hat Filme gemacht, mit
Blut,
mit Tränen, mit Gewalt,
Hass,
Filme mit Tod und
Filme
mit Liebe."
(Rainer
Werner Fassbinder)
Hartford,
Connecticut 1957. Frank Whitaker (Dennis Quaid) hat eine Bilderbuchkarriere
absolviert, ist Manager bei der Firma Magnatech TV. Seine Frau Cathy (Julianne
Moore) ist Hausfrau, integriert in die wohlhabende örtliche Gesellschaft.
Die Whitakers haben zwei Kinder, das schwarze Dienstmädchen Sybil (Viola
Davis) kümmert sich um den Haushalt, der schwarze Gärtner Raymond
(Dennis Haysbert) setzt die Arbeit seines kürzlich verstorbenen Vaters
im Garten der Whitakers fort. Das Bild der Whitakers ziert sogar ein Werbeplakat
der Fa. Magnatech. Das Leben ist durchorganisiert, es scheint keine nicht zu
bewältigenden Probleme zu geben. Frank erstickt zwar in Arbeit und Aufträgen,
aber da Cathy das Haus und die Kinder im Griff hat und sich in ihrer Freizeit
mit Freundinnen und Nachbarn entspannt, scheint die heile Welt perfekt.
Als
Cathy sich eines Tages entscheidet, ihrem Mann das Essen ins Büro zu bringen,
weil Frank wieder einmal länger arbeiten muss, sieht sie, wie er einen
anderen Mann umarmt und küsst. Sie flüchtet nach Hause, völlig
verstört, fassungslos, und als Frank kurze Zeit später erscheint,
verspricht er ihr, eine Therapie zu beginnen, um dieses „abnormale" Verhalten
zu bekämpfen. Cathy lernt kurze Zeit später den Gärtner Raymond
Deagan kennen, der den Garten der Whitakers pflegt, nachdem sein Vater, der
diese Arbeit bisher erledigt hatte, gestorben ist. Cathy und Raymond verstehen
sich fast auf Anhieb. Raymond ist ein zuvorkommender, sympathischer Mann. Er
lebt mit seiner Tochter Sarah (Jordan Puryear) allein, seine Frau ist vor Jahren
gestorben.
Als
Raymond mit Sarah auf einer Vernissage mit Cathy ins Gespräch kommt, beginnen
die ersten Tuscheleien, Verdächtigungen werden ausgesprochen. Die örtliche
Klatschbase sorgt dafür, dass bald die ganze Stadt vermutet, Cathy „habe
etwas" mit einem „Neger". Frank reagiert auf diese Gerüchte,
die die meisten für bare Münze nehmen, aggressiv. Cathy hat Mühe,
ihn zu beruhigen und die Dinge richtig zu stellen.
Alles
scheint wieder in bester Ordnung, als die Whitakers, ohne Kinder, zu einem Erholungsurlaub
nach Miami aufbrechen. Doch heimlich trifft sich Frank wieder mit einem jüngeren
Mann im Hotel – und trinkt mehr denn je. Und als Cathy nach ihrer Heimkehr mit
Raymond spazieren geht, der sie tröstet, weil er merkt, dass sie etwas
bedrückt, ist es wiederum die Klatschbase, die die beiden in ein Restaurant
gehen sieht, in dem nur Schwarze verkehren.
Frank
erklärt Cathy kurze Zeit später, er habe sich in einen Mann verliebt
und wolle die Scheidung. Cathys beste Freundin Eleanor (Patricia Clarkson) distanziert
sich von ihr. Und Raymonds Tochter wird von drei Schuljungen schwer verletzt
…
„Unsere
Beziehungen sind ja
deshalb
grausame Spiele miteinander,
weil
wir unser Ende nicht als
etwas
Positives anerkennen. Es
ist
positiv, weil es wirklich ist.
Das
Ende ist das konkrete Leben.
Der
Körper muss den Tod
verstehen."
(Rainer
Werner Fassbinder)
Haynes,
Mark Friedberg und Peter Rogness entfalten, entblättern eine Zeit, die
50er Jahre, mit allem, was dazu gehört: Interieur, Farben, Dialoge und
Musik sind fein aufeinander abgestimmt. Durch die herbstlich bunte Landschaft
vor dem Haus der Whitakers stolziert eine Frau, Cathy, blond, schön, in
ihrem weiten Kleid, agil, immer bemüht, die Dinge in Ordnung zu halten,
die Kinder in ihre geregelten Schranken verweisend, ihrem Mann dienend, sich
mit ihrer Haushälterin abstimmend, die sie vorsorglich daran erinnert,
den Einkaufszettel nicht liegen zu lassen oder irgendeinen Termin nicht zu vergessen.
Fast wie in der Fernsehserie „Pleasantville" leuchtet hier eine Welt auf,
in der alles zu stimmen scheint. In „Pleasantville" war noch alles in (visualisiert
übertriebener) bester Ordnung: Mami kocht, Papa arbeitet, die Feuerwehr
löscht keine Feuer, denn die gibt es nicht, sondern holt Katzen von Bäumen.
Sexualität gab es nicht, nur Händchenhalten als höchstes der
Gefühle zwischen Männlein und Weiblein. Im Ort regnete es nicht, und
das Ende des Ortes auf der einen ist zugleich Anfang des Ortes auf der anderen
Seite. Als Gary Ross 1998 in seinem gleichnamigen Film und rekurrierend auf
diese Fernsehserie zwei Teenager Farbe und Leben in diesen virtuellen Ort der
50er Jahre bringen ließ, geriet diese Welt in Unordnung, die Gefühle
brachen allerorten aus.
Haynes
öffnet ein solches Fenster. Hartford ist auch eine auf sich bezogene Welt,
in der sich die Beziehungen der Menschen durch nichts sagende Dialoge und immer
wiederkehrende Banalitäten zu bestimmen scheinen. Die Beziehung zwischen
Cathy und Frank ist unerotisch, nicht sexueller Art, äußerlich nach
den Regeln einer Welt bestimmt, die ihre Hölle gut zu verbergen weiß,
nicht eine Hölle wie die des Krieges, des offenen Kampfes, des sichtbaren
Schlagabtauschs, sondern eine verborgene, versteckte, geheimgehaltene und durch
die brutalen Reglements von „Sitte und Anstand" unterdrückte Hölle
der Gefühle.
In
„Far from Heaven" ist Haynes weit davon entfernt, an einer Ecke zu zündeln
und die Verhältnisse zum Explodieren zu bringen. Was sich auftut, das tut
sich leise, bedächtig, fast unmerklich auf, aber trotzdem mit aller Gewalt,
mit aller Macht und den ebenso gewalttätigen Reaktionen.
Wenn
die Kamera durch das Haus der Whitakers, die Firma Franks oder das Hotel in
Miami spaziert, durch diese in einen Farbtopf getunkte Welt der Pseudo-Idylle,
der großen Illusion, dann beschleicht den Betrachter doch zugleich ein
unangenehmes Frösteln, eine Ankündigung, eine unsichtbare Gefahr.
Als die Regelverstöße offenbar werden, die Homosexualität Franks
und die gefühlvolle, aber nichtsdestotrotz nie sexuelle Beziehung zwischen
Cathy und Raymond, wird man gewahr, wie dünn die Oberfläche zu Anfang
des Films war, wie nah die Hölle, die im Innern ihren Ort hat, in jedem
einzelnen, den man sieht, schon bestand, bevor sie offenbar wurde. Das Verstecken,
das Verdrängen, das Verheimlichen wird kaschiert durch ein blutarmes Beziehungsgeflecht
der Figuren, das sich als fortschrittlich, intelligent, zuweilen intellektuell
gibt und in Wirklichkeit der Horror auf Erden ist.
Besonders
deutlich wird dies nicht an der örtlichen Klatschbase, sondern an Cathys
Freundin, die Kunstausstellungen mit Picasso und anderen modernen Malern organisiert,
die sich Cathy gegenüber als aufgeschlossene, hilfsbereite beste Freundin
verkauft – und sie dann fallen lässt wie eine heiße Kartoffel. Die
Ächtung macht sich breit, mal schleichend, durch Blicke, durch kleine abwertende
Gesten, mal offen, wenn rassistisch-„wohl"erzogene Kinder Sarah einen Stein
an den Kopf werfen.
Raymond
weiß Bescheid. Raymond ist ein Mann der Zukunft, einer Zukunft, die noch
lange auf sich warten lassen wird. Dieser Gärtner pflegt nicht nur die
Büsche, die Blumen, die Beete, er pflegt – so gut er das kann und soweit
die ihm auferlegten Regeln es zulassen – das, worauf es ankommt: emotionale
Ehrlichkeit zu den Menschen in seiner Nähe, zu seiner Tochter und zu Cathy.
Raymond ist kein Träumer, kein Phantast. Er führt Cathy in ein von
Schwarzen besuchtes Restaurant und lässt sie einen Moment spüren,
was es heißt, sich als Schwarzer im weißen Milieu zu bewegen – unter
umgekehrten Vorzeichen. Beide verbindet trotzdem von Anfang an ein von Konventionen,
nicht hinterfragten Regeln, Rassismus und allen anderen Niederträchtigkeiten
freies Gefühl, das sich auf die vollständige gegenseitige Anerkennung
als Mensch reduziert und dadurch eine Art Vervollkommnung darstellt. Diese Verbindung,
auch das weiß Raymond, bevor es zu irgendeiner Berührung, geschweige
denn mehr kommen würde, hat keine Zukunft, außer der, dass er und
Cathy sich im Herzen verbunden bleiben werden – und das ist mehr als alle anderen
in dieser Geschichte jemals auch nur für sich selbst glauben würden.
Cathy findet am Schluss auf tragische Weise zu sich selbst – durch Verzicht
auf Raymond.
Frank
ist homosexuell und begreift dies, obwohl er sich dazu entschließt, mit
einem Mann zu leben, weiterhin als krankhaft. Während Cathy in ihrem Herzen
spürt, dass Hautfarbe keine Bedeutung hat, erkennt Frank die Regeln der
Gesellschaft ohne Einschränkung an. Er wird im Verborgenen seine neue Beziehung
leben, immer in Angst, entdeckt zu werden, in Hotelzimmern, in Nischen der Gesellschaft.
Er schlägt Cathy, mehr im Affekt, aber deutlich zum Ausdruck bringend,
dass „Neger" eben „Neger" bleiben.
Wie
Sirk entlarvt Haynes den Schein einer Welt, aber im Unterschied zu Sirk fast
50 Jahre später – im Design der Vergangenheit. Hierin liegt die unterschiedliche
Bedeutung von „All That Heaven Allows" und „Far From Heaven". Das
Grandiose an diesem Film ist, dass durch den Rekurs auf Sirk, sogar auf einen
speziellen Film, der Gegenwartsbezug so überdeutlich hervorsticht, dass
Ausreden nicht gelten können. Nach einer Weile taucht man in die visualisierte
Welt der Whitakers ein, gewöhnt sich an sie, nachdem man anfangs noch kopfschüttelnd
den Umgang und den Umgangston belächelt hatte. Warum?
Fassbinder
hatte in „Angst essen Seele auf" 1973 ebenfalls eine Art Remake von „All
That Heaven Allows" inszeniert: die Geschichte einer 60jährigen Putzfrau
(Brigitte Mira), die sich in den 29 Jahre jüngeren Marokkaner Salem (El
Hedi ben Salem) verliebt und ihn heiraten will. Dieselben Mechanismen des sozialen
Drucks, ja sozialer Gewalt entfalten sich gegen die beiden, allerdings hier
in den 70er Jahren.
Die
Gewöhnung an die „äußeren Umgangsformen", die in einem
Film wie „Far from Heaven" visualisiert werden, ist nur ein Schein, nur
äußerliches Anzeichen dafür, dass es die darunter verborgende
Hölle ist, die wir alle kennen und die sich beispielsweise hinter Mechanismen
wie „political correctness" verbirgt. Haynes visualisiert diesen Zusammenhang
zwischen dem, was wir als Idylle oder Illusion nur flüchtig erkennen, und
dem Verborgenen sowohl in der Geschichte selbst als auch in ihren aktuellen
Bezügen. Die Ehe Cathys und Franks ist ein solcher Schein. Diese Ehe ist
farblos – im Unterschied zu den Bildern –, asexuell, unerotisch, lieblos – Form.
Als die Homosexualität Franks und die Begierde Cathys nach dem, was ihr
im Leben fehlt, nämlich letztlich auch Sexualität (nicht im ausschließlichen
Sinn sexueller Handlung, sondern als Ausdruck von Liebe), in die Sphäre
des Öffentlichen durchbricht, ist die Scheidung der beiden nur noch eine
Formsache. Denn beide haben auf ihre Weise begriffen, dass sie nur in einem
von außen bestimmten, aber verinnerlichten Mechanismus „gelebt" haben.
Julianne
Moore hätte für diese Rolle der Cathy wahrlich einen Oscar verdient,
ebenso Haynes für diesen Film. Und auch Dennis Quaid und Dennis Haysbert
spielen grandioses Kino.
Es
gibt keinen Grund, über diese 50er Jahre zu lächeln, wo wir doch mehr
in den traditionellen Linien der Vergangenheit verstrickt sind, als wir uns
vielleicht selbst zugestehen. Die bittere Ironie in Haynes Film schlägt
Wellen in die Gegenwart. Wir sind weit davon entfernt – vom Himmel.
[1]„Mein
Film ist überhöht und artifiziell. Es wäre billig, sich über
die Fünfziger zu amüsieren. Ironischerweise hat sich nicht sehr viel
geändert, unsere Gesellschaft nicht wirklich weiter entwickelt. Das ist
eher zum Weinen. Es gibt immer noch Menschen, die sich fürchten, ihre Homosexualität
auszuleben. Die Vorurteile kaschiert man nur geschickter. Und auch der Typ ‘nette
Hausfrau’ feiert fröhliche Auferstehung, wenn auch nicht ganz so drastisch.
Frauen müssen immer noch entscheiden zwischen Karriere und Familie. Wenn
sie beides wollen, verlangt ihnen das sehr viel Stärke ab" (Todd Haynes
in einem Interview mit der „Berliner Morgenpost").
Ulrich
Behrens
Dieser Text ist zuerst erschienen bei ciao.de
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Dem Himmel so fern
Far from Heaven. USA 2002. R,B: Todd Haynes. K: Edward Lachman. S: James Lyons. P: Killer Films u.a. D: Julianne Moore, Dennis Quaid, Dennis Haysbert
u.a. 107 Min. Verleih ab 13.3.03