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Deckname
Dennis
Die
halbdokumentarische Realsatire DECKNAME DENNIS, der erste wirklich komische
deutsche Film seit langer Zeit, ist eine respektlose, muntere und dann doch
ein wenig erschrockene Besichtigungstour zu den Absonderlichkeiten der deutschen
Volksseele. Ein Spionagetrip in ein Land, das so sehr mit sich selbst beschäftigt
ist, daß es den Spion, selbst wenn der vor ihm steht und filmt, als solchen
nicht erkennt.
Dennis
ist US-Agent, ausgestattet mit Agentenführer, Kamera, Recorder und einem
Decknamen, der, dummer Zufall, ausgerechnet sein richtiger Name ist. Tarnberuf:
Fernsehjournalist.
Dennis
wird von New York nach Deutschland geschickt mit dem etwas unklaren Auftrag,
die deutsche Mentalität zu erkunden. Die Arbeitsgrundlagen für seinen
hiesigen Job läßt er sich von der dienstfertig eitlen Noelle-Neumann
in den Recorder diktieren: Vor allem eines, Unauffälligkeit! Dennis, der
aussieht wie unser Kanzler, nur gut getarnt in Jeans, Freizeithemd und Baseballmütze,
ist da der richtige Mann.
Wie
findet man etwas heraus? Am besten, indem man sich dumm stellt. Dennis fragt
so dreist, wie wir es uns nie trauen würden, und bekommt Auskunft: Von
Arbeitern und Bürokraten, Künstlern und Antifa-Demonstranten. Wir
lernen Gartenzwerge kennen, die im Museum das deutsche Wesen dreidimensional
veranschaulichen und solche, die beschlagnahmt im Zollamt der Vernichtung harren.
Wir sehen Herren, die zotige Lieder über Spargel und den „Fickolaus"
zum Vortrag bringen und sich dabei köstlich amüsieren. Oder die aufrechte
Bürgerin, die Naziparolen von Mauern und Straßenschildern abkratzt.
Gehorsame Bundeswehrsoldaten. Und immer wieder eiserne Revanchisten. Von Wissenschaftskauderwelsch
bis zum Bürokratensprech. Viel ist von Volk, Ehre, Vaterland die Rede.
Es
fehlt nicht an Skurrilem, wie der paranoide Kabbalist, der bereitwillig aus
jeder Zahlenkombination die nahe Katastrophe errechnet – aber gerade der Irrsinn
entlarvt ja oft am überzeugendsten die Normalität. Ist die Dummheit,
die uns tagtäglich quält, dermaßen verfremdet, können wir
es ihr mit Gelächter heimzahlen. Und bringt der Autofahrerwalzer die Verhältnisse
nicht auf den Punkt: „Autofahren ist nicht schwer/Und es gefällt mir sehr/Wunderschön
ist es frei zu sein/Und das Auto ist mein/Ich geb es nie mehr her…"?
Der
Käfer macht dann irgendwann schlapp (nicht umsonst ist dieser Film von
Opel gesponsert), Dennis wird immer verwirrter und wälzt sich in Alpträumen
in seinem Hotelbett, zumal ihm sein Agentenführer hart zusetzt: „Don’t
try to be funny. You’re
just a tool in documentary." Irgendwas
stimmt nicht in diesem Land. Aber was?
Der
amerikanische Agentenführer hat einen deutschen Akzent. Und auch DECKNAME
DENNIS ist in den Fragen, für die er sich interessiert, natürlich
ein ziemlich deutscher, kein amerikanischer Film. Regisseur Frickel und Co-Autor
Matthias Beltz gehen diesem urdeutschen Interesse für sich selbst ironisierend
nach. Ein geschickter Schachzug. Der Film springt dabei ungeniert zwischen seinem
echten Dokumentarmaterial und der inszenierten Rahmenhandlung hin und her. Stellt
Skurriles neben Pathetisches, Bösartigkeit neben Anstand und schneidet
polemisch. Wir sehen einen Haufen ekliger, häßlicher und unangenehmer
Menschen, werden verdammt gut unterhalten und zum Lachen gebracht, was manch
einen verstören mag.
DECKNAME
DENNIS ist gefährlich geschmacklos. Gerade deswegen brauchen wir einen
solchen Film. Er rührt an formale, inhaltliche und psychologische Grenzen.
Aber wie sollen die Dinge sonst in Bewegung geraten? Daß Frickels Film
auf der Berlinale nur in der etwas abseitigen „Deutschen Reihe" gezeigt
wurde, läßt Vermutungen über eine Selbstblockierung der Veranstalter
aufkeimen. Wie sagt Dennis? „Weil jeder vor jedem Angst hat, spinnen alle. Die
Deutschen sind neutral, weil sie ein Gleichgewicht der Abschreckung aufgebaut
haben." Mehr Ungleichgewicht und weniger Abschreckung im Kino!
Silvia
Hallensleben
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
Deckname
Dennis
BRD
1996. R, Sch, P: Thomas Frickel. B: Thomas Frickel, Matthias Beltz. K: Thomas
Frickel, Dieter Matzka, Pavel Schnabel. M: Dietmar Staskowiak. T: Kerstin Dechering,
Gunter Oehme. Pg:
HE-Film. V:
Frickel. L: 100 Min. DEA: Berlinale 1997. St: Mai 1997. Mit: Christian Doermer,
Dennis Mascarenas, Elisabeth Noelle-Neumann, Herbert Hupka, Theo Waigel u.a.
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