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Death
Proof
Das Rohe und
das Ausgekochte
In Quentin Tarantinos grandioser Grindhouse-Hommage
"Death Proof" sieht alles nur auf den ersten Blick einfach aus. In
Wahrheit geht es um die Lust an der Sprache und an der Gewalt und um Frauen,
die den Phallus wollen und kriegen.
"Death Proof" ist, seiner
Entstehungsgeschichte wegen, eine Anomalie. Was bei uns im Kino zu sehen ist,
ist einerseits ein Torso. In den USA war Quentin Tarantinos Film im Doppelpack
mit dem Werk "Planet Terror" seines Kumpels Robert Rodriguez unter
dem Übertitel "Grindhouse" gestartet, als Hommage an die schmutzigen
Exploitation-Kinos der siebziger Jahre – und die in ihnen gezeigten Filme. Das
dreieinhalb-Stunden-Paket ist an den Kinokassen böse geflopt – so hat der
Verleih es für den Deutschland-Start aufgeschnürt und bringt die beiden
Filme nun zu unterschiedlichen Terminen ins Kino, hat den "Grindhouse"-Titel
unter den Tisch fallen lassen und tut nun überhaupt so, als hätten
die beiden Filme nichts miteinander zu tun.
Tarantinos "Death Proof"
in der hierzulande – und bereits im Wettbewerb von Cannes – gezeigten Version
ist allerdings insofern ein ungewöhnlicher Torso, als er deutlich, nämlich
etwa zwanzig Minuten länger ausfällt als die auch schon viel länger
als geplant geratene Ursprungshälfte in der "Grindhouse"-Ausgabe.
Was nun vorliegt, ist, so viel kann man auch in Unkenntnis der kürzeren
Version sagen, ein typischer, ein richtiger und noch dazu ein grandioser Tarantino-Film,
der seinerseits aus zwei Hälften besteht, die sich ihrerseits je in zwei
sehr unterschiedliche und auch unterschiedlich lange Portionen teilen. Die beiden
Hälften sind parallel angelegt, die zweite ist ein Quasi-Remake der ersten,
mit charakteristischen Abweichungen.
Es beginnt mit einem Prolog, in
dem eine Frau sich auf einer Couch positioniert, sehr lässig, das Cocktailglas
in der Hand, unter einem Poster, auf dem man eine Brigitte Bardot sieht, die
sich in genau derselben Weise auf einer Couch positioniert hat. Life imitates
art. Dies emblematische Spiel setzt sich – und den Film – gleich doppelt ins
Verhältnis. Ausgestellt wird zum einen das Tarantino-Verfahren der Nachahmung
als Hommage, das "Death Proof" noch viel expliziter als das bisherige
Werk bestimmt. Es lässt sich also, hier, ganz zu Beginn, sagen, dass das
Kino, das Tarantino macht, sein Leben und seine Kraft daraus zieht, die
Kunst (und den Trash) liebend zu imitieren. Und der Liebe sehr viel mehr als
der Imitation verdankt sich das Eigenleben, das sein Kino gewinnt, das sein
Kino so einzigartig macht, als ein Kino, das nicht reflektierend, sondern durch
diesen passionierten Blick aufs Unedle aus Trash Kunst macht, die sich über
den Trash aber nicht erhebt, sondern dem Trash zugewendet bleibt.
Aber auch das, was im Film selbst
geschehen wird, ist in diesem so unprätentiös daherkommenden Prolog
schon formuliert: Eine Frau – beziehungsweise eine Gruppe von Frauen – wird
an die Stelle einer anderen treten. Auf den ersten Blick wird alles ganz ähnlich
aussehen. Am Ende, das verrät der Vorspann noch nicht, ist dann aber alles
ganz anders: eine aus den Fugen geratene Welt wird krachend wieder eingerenkt.
(Man kann es freilich auch pessimistischer sehen, falls man den Gewaltüberschuss
des Films nicht vollständig aufs Konto des Rachefilm-Genres schreiben will;
dann könnte einem nämlich durchaus auch übel werden angesichts
der Brutalität, mit der dieses Ende das Böse aus der Welt tilgt.)
Die Wiederholung mit Variation
ist das Strukturgesetz dieses bisher strukturell ganz entschieden simpelsten
Tarantino-Films. Hier wird nichts verschachtelt, hier sind alle chronologischen
Zusammenhänge klar – und klarer noch ist der Unzusammenhang, die einzig
durchs bloße erzählerische Wollen herbeigezwungene Wiederholung und
Abwandlung des ersten Teils im zweiten. Einmal, zweimal, im ersten Teil und
im zweiten Teil, sind vier Frauen in einem Auto unterwegs. Im ersten Teil fahren
sie durch Austin, Texas, und brechen jedes Mal, wenn sie an einem großen
Plakat vorbeifahren, das die Radiomoderatorin "Jungle Julia" bewirbt,
in begeistertes Johlen aus. "Jungle Julia" ist eine der vier (gespielt
von Sydney Poitier) und einer der anderen, Arlene (Vanessa Ferlito), hat sie
einen schönen Dienst erwiesen, indem sie im Radio dem, der sie mit den
richtigen Worten anspricht, einen heißen Lap-Dance versprochen hat.
Die Frauen gehen ins Restaurant,
dann in eine üble Spelunke, in der ein finsterer Typ mit wilder Gesichtsnarbe
am Tresen sitzt: Stuntman Mike (Kurt Russell), er erzählt von seinen Auftritten
in Fernsehserien, deren Titeln den jungen Frauen nicht das mindeste sagen, er
bietet einer schönen Blondine eine Fahrt in seinem Stuntauto und fordert
zuletzt den von Jungle Julia versprochenen Lap-Dance. Auch der zweite Teil zeigt
wieder quatschende Frauen in Autos, zeigt wieder Stuntman Mike, der ihnen folgt
– und nun aber zum Verfolgten wird.
Auf diese Umkehrung will der Film
als Umschreibung des Exploitation-Genres ganz ausdrücklich hinaus. Kim
(Tracie Thoms), die Stuntfrau, brüllt es mehr als einmal hinaus, wenn sie
mit ihrem Auto den Verfolger verfolgt und wiederholt rammt: "Ich will dich
in den Arsch ficken." Frauen erobern die phallische Position, das ist die
Geschichte die "Death Proof" erzählt, sehr schlicht und sehr
einfach und sehr wirkungsvoll, aber mit Folgen, über die dann doch länger
zu diskutieren wäre. Denn die zweite Posse rächt die erste in einem
Arrangement, in dem Sex als Gewalt auftritt und Gewalt auf Sexmetaphern zugreift.
Damit wandern Rache und Gewalt auf die Seite der Frauen, die, um diese Rache
in Szene setzen zu können, eine andere Frau einigermaßen gewissenlos
opfern. Die Befriedigung, das misogyne Exploitation-Szenario im Handstreich
umkehren zu können, hat also ihren postfeministischen Preis.
Solche Fragen stellt "Death
Proof" nicht explizit, dennoch ist Tarantinos Umgang mit den Vorbildern
haargenau so angelegt, dass sich die Frage nach den Konsequenzen dieser Umschreibungen
aufdrängt. Und es ist wichtig, dass es diesen Hintergrund gibt, der über
die bloße Mimikry am Grindhouse, auch über die bloße Hommage
hinausgeht. Obwohl Tarantino auch diese Mimikry immer wieder herausstreicht,
im ironischen Zerkratzen des Filmmaterials, im (falschen) Eintrag von Gebrauchsspuren
(Aussetzern, unfreiwilligen Jump Cuts, Fehlen von Sequenzen) eines alles andere
als liebevollen Umgangs mit dem Zelluloid, der fürs Abnudeln in den Grindhouse-Kinos
typisch war, ist das, was "Death Proof" so herausragend macht, gerade
der Abstand zu den 70er-Jahre Originalen. Durch die Umkehrungen und Kommentare,
die Tarantino sich erlaubt, bewahrt er sich vor dem reinen regressiven Nerd-Genuss
und macht diesen Film dadurch zu einer verdammt ernsten und auch komplexen Angelegenheit.
Aber natürlich ist "Death
Proof" zuerst und zuletzt ein Tarantino-Film, der einmal mehr belegt, dass
dieser Regisseur auf ingeniöse und einzigartige Weise Motive von Pulp und
Exploitation mit einer Kunst des Dialogs verquickt, die – gar nicht so fern
von Eric Rohmer – immer auch eine Kunst der Beobachtung von Menschen beim Reden
ist. Famos sind all die Sätze, die Tarantino seinen Frauen-Trupps in den
Mund legt, und noch in den größten Banalitäten spricht aus diesem
Reden eine Lust an der Sprache, an Tonfällen, an Idiomen, an der sprühenden
Kreativität des Alltagssprachlichen, die man in ähnlich gekonnter,
kunstvoll zum scheinbar Natürlichen geschliffener Weise im Moment nur in
der amerikanischen Fernsehserie "The Wire" finden kann. Und Tarantino
liebt nicht nur das Reden, sondern auch die Redenden selbst, ist untrennbar
verbunden mit dem Leben der Körper seiner Darstellerinnen und Darsteller,
ihren Gesichtern, ihren Gesten, ihren Manieren, mit ihrem Posieren, ihrer Art,
selbstbewusst die Welt zu konfrontieren. Tarantino liebt seine Figuren so sehr,
dass er es nicht nur liebt, sie zu lieben, nein, auch im blanken Hass auf Stuntman
Mike steckt noch eine Liebe, die alle Denunziation der Figur unmöglich
macht. Weiter kann man sich vom Zynismus reiner Exploitation wirklich nicht
entfernen.
Und dann ist das eben nur die
eine Seite. Denn Tarantino liebt ja auch das Rohe, und nicht nur als Zitat.
Auch hier liegt seine Kunst darin, aus Elementen, die geklaut und durchgekaut,
kopiert und zitiert sein mögen, etwas zu destillieren, das dann auf ausgekochte
Weise selbst wieder roh ist. Wenn Tarantino gut ist – und selten war er besser
als in "Death Proof" -, dann erschöpft sich eben nichts im bloßen
Zitat. Dann triumphiert die Lust, sei sie noch so sehr mit Kenntnissen, Anspielungen
und Hommagen amalgamiert, über alles Wissen. Oder vielmehr: Aus einer Lust
des Wissens und Kennens wird eine Lust an der Lust, die sich nicht nur auf die
Figuren des Films überträgt, sondern auch auf die Zuschauerin und
den Zuschauer, so sie das Kino lieben und das Leben, das Rohe und das Ausgekochte,
den kunstvollen Flow der Sprache, die Bewegung schöner Körper und
rasanter Autos, die Sanftmut der Blicke und die wilde Entschlossenheit zur reinigenden
Gewalt.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: www.perlentaucher.de
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Death Proof – Todsicher
USA 2007 – Originaltitel: Grindhouse – Death Proof – Regie: Quentin Tarantino – Darsteller: Kurt Russell, Sydney Tamiia Poitier, Vanessa Ferlito, Jordan Ladd, Rosario Dawson, Tracie Thoms, Zoë Bell, Mary Elizabeth Winstead – Länge: 113 min. – Start: 19.7.2007
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