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Death
Proof
Autokino
Für die meisten Regisseure ist das Kino Traummaschine,
Gelddruckerei oder Staffeleiersatz – für Tarantino war es schon immer Zeitmaschine
und Archiv. Weit jenseits aller künstlerischen, finanziellen oder rassenkulturellen
Ambitionen, die ihm gerne unterstellt werden, zieht er sammelnd und restaurierend
durch die Jahrzehnte. Sein einziges Ziel: Konservierung längst vergessener
(pop-)kultureller Artefakte. In Deutschland wäre der Mann für seine
Anstrengungen um den Kulturerhalt längst mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet
worden. In der Filmbranche dagegen rutscht er mangels finanzieller Zugkraft
seiner archäologischen Ausstellungen zunehmend auf den Status eines Nischenregisseurs
für Kenner und Connaisseure zurück. Es gibt schlimmere Schicksale.
In Kurt Russels Stuntfahrer Mike findet Tarantino
dabei seinen autobiographischsten Protagonisten seit dem souligen Kautionsschnüffler
Max Cherry: In klaren Momenten faselt der vernarbte Filmveteran von Fernsehserien
und B-Filmen, von denen keiner je gehört hat; in düsterer Stimmung
vertreibt er sich die Zeit damit, junge Frauen mit seinem Stuntauto zu Klump
zu fahren. Er ist die dunkle Vision eines Mannes, der aus der Zeit gefallen
ist, von der Geschichte zurückgelassen wurde. Seine Unverstandenheit drückt
sich in einer tollwütigen Pathologie aus, die Tarantino dankenswerterweise
nicht einmal in Ansätzen rechtfertigt oder psychologisiert.
Tatsächlich hätte er dazu auch gar keine
Gelegenheit: "Death Proof" besteht ausschließlich aus sehr langen
Actionsequenzen und ebenso ausführlichen Dialogszenen – alles andere wird
ausgeblendet. Figurenentwicklung, Hintergrunderklärungen, Plotkonsistenz
interessieren den Meister nicht. Ganze Handlungsfäden werden buchstäblich
am Straßenrand ausgesetzt und bis zum abrupten, aber auf seine Weise perfekten
Ende nie wieder aufgenommen. Stattdessen beweist Tarantino erneut, daß
er als bester Dialogautor seiner Generation gelten muss. Völlig unverständlich,
warum nach der Trennung von Rodriguez’ "Grindhouse"-Zwillingsfilm
"Planet Terror" und der Verlängerung auf die hier gezeigten 127
Minuten von den Kritikern gerade die "unnötigen" Dialogszenen
gescholten wurden: Das streckenweise auf Minutenlänge aufgeblasene süße
Nichts an jugendsprachlichen Kraftausdrücken, erotischem Schlagabtausch
und nebenbei geschickt charakterisierenden Anekdoten ist nicht nur unheimlich
schwer einzufangen, sondern beweist auch ein weiteres Mal das brillante Ohr,
das Tarantino für ebenso glaubhafte wie poetische Dialoge hat.
Auch auf technischer Ebene strebt "Death Proof"
zum archivarischen Look. Man muß lange zurückdenken, um auf einen
Regisseur zu stoßen, der so radikal Einfluß auf das Filmmaterial
selbst nahm wie Tarantino, der hier kurzerhand alte Fehler zu neuen Tugenden
erklärt: Künstliche Kratzer werden in ausgewaschene Farben geritzt,
Unschärfen dankbar hingenommen, und Bild- und Tonsprünge während
der Dialoge, eigentlich ein Zeichen von nachlässigen Projektionisten, werden
lustvoll zelebriert. Die Technik des so erreichten "Rückschnitts",
mit dem einzelne Momente abrupt wiederholt werden, indem man auf einer editorialen
Ebene projektionstechnische Fehler beim Spulenwechsel nachahmt, könnten
dabei tatsächlich eine nie dagewesene Innovation sein und stellen in jedem
Fall Schnittkunst höchster Originalität dar.
Auch für die erneut brillante Musikauswahl,
die wie gewohnt zwischen fiesem Hillbilly-Rock aus den 1970ern und wippendem
Motown-Soul aus der gleichen Epoche pendelt, hat Tarantino wieder in die Mottenkiste
gegriffen. Nur die Besetzung besteht ausnahmsweise mal nicht aus Wiederentdeckungen
(Russel war nie fort, er war nur selten so gut besetzt), sondern aus neuen Gesichtern.
Und während alle Jungschauspielerinnen durch erotische Tanzeinlagen, makellose
Dialogführung und erstaunliche Trinkfestigkeit glänzen, ist die neuseeländische
Stuntfrau Zoe Bell die eigentliche Entdeckung dieses Films. Der heimliche Fußfetischist
Tarantino, der seinen Film gleich mit einer doppelten Nahaufnahme auf eine barfuß
schleichende Frau beginnt, findet in ihr sein neues Ideal: kräftig gebaut,
physisch unzerstörbar, mit Baumstammbeinen, als wäre sie einem Crumb-Comic
entsprungen. Die austrainierte Blondine meistert nicht nur ihre erste große
Sprechrolle souverän, sondern führt auch das zärtlich-zerbrechliche
Schönheitsideal üblicher Starlets genüsslich ad absurdum.
Daniel Bickermann
Dieser Text ist zuerst erschienen
im:
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Death
Proof – Todsicher
USA 2007 – Originaltitel: Grindhouse – Death Proof – Regie: Quentin Tarantino – Darsteller: Kurt Russell, Sydney Tamiia Poitier, Vanessa Ferlito, Jordan Ladd, Rosario Dawson, Tracie Thoms, Zoë Bell, Mary Elizabeth Winstead – Länge: 113 min. – Start: 19.7.2007
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