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Dear
Wendy
Showdown
im Themenpark
Die "Dandies" sind ein Haufen Loser in
einem Nest, das seine Bewohner zum Loserdasein prädestiniert. Einst war
Estherslope ein blühendes Bergarbeiterstädtchen. Seit die Mine geschlossen
ist, fegt der Wind durch die Straßen. Estherslope wirkt wie eine Westernstadt,
als hätte Regisseur Thomas Vinterberg ("Das
Fest") über den Kreidezeichnungen
aus Lars von Triers "Dogville" einfach nur ein paar Kulissen hochgezogen.
Von Trier hat auch das Drehbuch zu Vinterbergs neuem Film "Dear Wendy"
geschrieben, und wie schon von Triers letzte Filme will auch "Dear Wendy"
seine Theaterhaftigkeit nicht leugnen. Von Naturalismus und Dogma ist das alles
weit entfernt: Die gestelzte Sprache der "Dandies", das überzogene
Pathos, der Kulissen-artige Aufbau des Ortes, der lediglich um einen staubigen
Straßenzug angelegt ist – alles verweist doppelt und dreifach auf die
ausgestellte Künstlichkeit von Vinterbergs Inszenierung.
Künstlichkeit amerikanischer Mythen
Aber nicht nur formal ergänzen sich "Dear
Wendy" und "Dogville". Vinterbergs Film ist so etwas wie der
zweite Teil von von Triers inoffizieller Amerika-Trilogie, die Ende des Jahres
mit "Manderlay" fortgesetzt – oder auch abgeschlossen – wird. Ganz
sicher kann man sich bei von Trier da nie sein; Konzepte und Werkreihen sind
Begriffe, die im Umfeld der dänischen Dogma-Filmer recht frei verstanden
werden. Umso mehr Geschlossenheit aber weisen ihre Filme auf. "Dear Wendy"
spielt wie "Dogville" an einem hermetischen Ort; der einzige Straßenzug
von Estherslope ist das Zentrum, um das sich das Universum dreht. Die Künstlichkeit
von "Dear Wendy" summiert sich aus Klischees. Jedes Detail in Estherslope
ist angefüttert mit Kinoerinnerungen, amerikanischen Mythen, folkloristischen
Zerrbildern: Der Straßenzug erinnert an ein Wild-West-Kaff. Der örtliche
Sheriff mit seiner erratischen Freundlichkeit sieht aus wie aus einem David-Lynch-Film.
Und über allem hängen die geplatzten Träume von wirtschaftlicher
Prosperität, die (ähnlich wie in Detroit in den 1980er-Jahren) eine
Ghettoisierung nach sich gezogen haben. In dieser Aneinanderreihung ikonografischer
Erlebniswelten und Klischees wirkt Estherslope fast wie die düstere Version
eines Themenparks. Kein Ort des fröhlichen Eskapismus, sondern Hort der
Modernisierungsverlierer.
"Club der toten Dichter"
Hier haben die "Dandies" sich gegen den
Rest der Welt verschworen. Was sie verbindet, ist ihr Losertum. Dick ist zu
schwächlich, um in die Fußstapfen seines Vaters, eines Bergmanns,
zu treten. Huey hat eine Beinprothese, sein jüngerer Bruder Freddie wird
ständig in der Schule vertrimmt. Und Susan, die tagtäglich im muffigen
Ramschladen ihrer Mutter arbeitet, wünscht sich nichts sehnlicher als größere
Brüste. Im stillgelegten Bergwerk haben die "Dandies" ihr Hauptquartier
bezogen. Sie verfügen über eine Gründungssatzung, tragen die
Klamotten ihrer Ur-Ur-Ur-Großeltern auf – eine Mischung aus Oscar Wilde
und Humana – und artikulieren sich mit einem verstaubten Sprachduktus, den sie
aus derselben Zeit wie ihre Klamotten hinübergerettet haben. Irgendwie
erinnern sie wirklich an einen "Club der toten Dichter". Doch es sind
nicht ein paar alte Poeten, denen sie huldigen. Die "Dandies" stehen
auf Schußwaffen.
Antike Stücke sind das, mechanische Wunderwerke,
und wenn die Jungs und Mädchen Hand anlegen, ist eine aufreizend erotische
Spannung zwischen Träger und Waffe spürbar. Erotisch im Sinne von
"Bonnie
and Clyde" oder Joseph H. Lewis
Film noir "Gun Crazy". Aber alles ist unter Kontrolle und ihr Geheimnis,
und so lange es das bleibt, richten ihre Waffen, denen sie so sehnsuchtsvolle
oder kumpelige Namen geben wie Wendy, Lyndon oder Bad Steel, auch keinen Schaden
an. Sie sind nämlich Pazifisten, diese "Dandies". Das heißt,
bis Homeboy Sebastian vom örtlichen Sheriff in ihre Obhut gegeben wird.
Denn Sebastian hat ebenfalls ein Faible für Waffen.
Drift ins Absurde
"Dear Wendy" ist ein Liebes-/Abschiedsbrief
der bizarrsten Art. Getragen von Dicks ironischem Off-Kommentar, der bewusst
an Stanley Kubricks "Barry
Lyndon" angelehnt ist (nicht
zufällig hört Hueys Waffe auf den Namen Lyndon), driftet Vinterbergs
Film sukzessive ins Absurde. Der Waffenfetisch der "Dandies" nimmt
immer groteskere Züge an; vor allem Dick entwickelt eine unnatürlich
intime Beziehung zu seinem Damenpistölchen, seiner Wendy. Während
die kleine Lady bei ihm allerdings noch romantische Gefühle auslöst,
erkennt Susan die phallische Macht ihrer Sechsschüsser. Susans Spezialität
ist der Ricochet: ein doppelhändiger Kunstschuss über Bande. Eine
rüstige Rentnerin (mit Schrotflinte!) ist es schließlich, die den
Jugendlichen ihren ehrenwerten Pazifismus endgültig austreibt.
Für eine politische Parabel auf die amerikanische
Gesellschaft hat "Dear Wendy" dabei weder den nötigen Scharfblick
noch die adäquaten dramaturgischen Mittel. In dieser Hinsicht bleibt Vinterbergs
Film kaum weniger ambivalent als Michael Moores "Bowling
for Columbine" – dafür
aber treibt er Moores Prämisse nochmals auf die Spitze. Vinterberg hat
die richtigen Bilder gefunden, um die Mär von der amerikanischen Waffen-
und Angstkultur ins Hysterische zu brechen. Man sollte hier keine tieferen sozialkritischen
Analysen erwarten. Den Amerika-Spötter gibt Vinterberg ebenso selbstverständlich,
wie er später im grandiosen Showdown den Afficionado des "Bloody Sam"
Peckinpah raushängen lässt. Diese Ambivalenz zieht sich auf allen
Ebenen durch den Film. Von Trier hat noch nie den amerikanischen Kontinent bereist,
darum ist das Amerika-Bild seiner Drehbuch-Vorlage zwangsläufig tendenziös.
Dieses Karl-May-Syndrom (auch dieser hatte nie Amerika besucht) verleiht "Dear
Wendy" eine sonderbare Märchenonkeligkeit. Man kann von Triers Anti-Amerikanismus
wirklich nicht ernst nehmen. Dankenswerterweise hat Vinterberg seinen Film dermaßen
überzogen inszeniert, dass es so weit auch nicht kommt.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen
im:
Dear
Wendy
Dänemark, Frankreich, Deutschland, Großbritannien 2005, Regie: Thomas Vinterberg, Buch: Lars von Trier, mit Jamie Bell, Bill Pullman, Michael Angarano, Danso Gordon, Novella Nelson, Chris Owen, Alison Pill, Mark Webber, keine Jugendfreigabe, Kinostart: 6. Oktober 2005
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