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Dealer

 

 

 

 

Thomas Arslan, Regisseur von "Dealer" gehört zusammen mit Yüksel Yavuz, Fatih Akin, Kutlug Ataman, Hussi Kutlucan und ein paar anderen zu der Gruppe junger Filmschaffender, die von der Kritik gerne unter der Rubrik "Deutsch-Türkisches Filmwunder" vorgestellt werden. Damit ist betitelt die extrem relevante Feststellung, daß einige der Nachwuchsregietalente, die in Deutschland wohnen und hier ihre Filme produzieren, türkischer, bzw. kurdischer Abstammung sind. Gut zu wissen.

 

Außer dieser biographischen Notiz haben erwähnte Regisseure in etwa so viel miteinander gemein wie Detlev Buck mit Wim Wenders: wenig. Wenn ein Film wie "Kurz und schmerzlos", der abgenutzte Klischees verbrät unter dem Deckmantel des " ey, voll hart" durchlebten Kanakstertums in etwa das Niveau erreicht, auf dem Axel Schulz boxt, dann kann Thomas Arslan mindestens in der Klitschko-Liga mithalten: Sein Film "Dealer" tritt kontrolliert, genau im Timing und etwas unterkühlt auf.

 

Angenehm vor allem: Er dient sich nirgends an: Weder bei Sozialpädagogen-WGs, noch bei stilistisch verunsicherten Freunden einer vermeintlichen street credibility.

"Dealer" erzählt vom Drogenhandel so unspektakulär, wie wir uns dieses Geschäft in unromantischen Minuten schon immer vorgestellt haben: Als endlose und enervierende Warterei auf Kundschaft. Kein Zufall ist es, wenn die Jungdealerclique um die Hauptfigur Can den halben Fuß schon auf dem Straßenstrich hat, abhängig geworden von den Pillen und Pulvern, die finanzielle Unabhängigkeit versprochen hatten.

 

Schnell ist die soziale Situation skizziert, in der sich Can befindet. Er ist Vertrauensperson und Vorarbeiter des Dealers Hakan, dessen hochstaplerische Goldkettchenbehangenheit nur all zu deutlich schon sein Scheitern anklingen läßt. Wenn Hakan irgendwann im Film zu Can bemerkt, daß falsche Freunde einem das Genick brechen können, läuft uns im Wissen um dramaturgische Grundregeln ein Schauer über den Rücken. Überhaupt ist "Dealer" in dieser Hinsicht ausgesprochen konventionell: eine Genrekreuzung aus Jungmännerfilm und besserer "Bella Block"-Folge, nach zehn Minuten können wir uns des Ausgangs so gut wie sicher sein, um Spannung geht es hier nicht.

 

Zurück zu Cans Sozialgefüge: Er ist ein kluger und bedächtiger Mensch und damit im Fadenkreuz der Zivilfahndung, die ihm den Neustart verspricht, gibt er Hintermänner preis. Den Ausstieg fordert auch seine Freundin und Mutter der gemeinsamen Tochter, eine ebenfalls gescheite Person. Sie rechnet Can geduldig die brachliegende Beziehung und trüben Zukunftsaussichten vor und verlässt ihn ohne viel Pathos, weil er seinen Arsch nicht hochkriegt.

 

Hier etwa fängt das Thema an zu interessieren. Arslan unternimmt dankenswerter Weise überhaupt nicht den Versuch, seine Storyabfolge zu motivieren aus einer vermeintlichen oder tatsächlichen gesamtgesellschaftlichen Situation, die da behauptet: "Armer, armer Türkenbub, Vater pleite, Mutter tot. Und kein Abi. Da muß er ja Verticken." Der Film konzentriert sich auf die Unflexibilität seiner Hauptfigur Can, auf sein gleichgültiges Schwanken zwischen geradezu spießigen Vorstellungen über ein zukünftiges, kleinstfamiliäres Beisammensein und seiner kaltblütigen Souveränität innerhalb des Metiers, für das seine Intelligenz trainiert ist: dem Dealen.

 

Als Can es für wenige Tage einmal als Küchenhilfe versucht, sehen wir ihn abends prompt mit Dosenbier vor der Glotze Fußball gucken. Und wir sehen ihn, zum ersten und einzigen Mal im ganzen Film, etwas essen. Auf der Straße, in den Parks, vor den Discos jedoch wirkt er hungrig, behält seine Augen nervös überall und nirgends lange und jede Situation im Überblick. Die Provinzler aus dem Schwäbischen zockt er mit derselben Routine ab, mit der er eine Hundertschaft Pillen ins Discoklo verabschiedet, weil Zivilbullen auftauchen.

 

"Dealer" läßt sich verstehen als ein Film der Blicke, als das Zusammentreffen zweier unterschiedlicher Weisen, zu Schauen. Der Überreiztheit von Cans Sensoren und seiner Unfähigkeit, anderen Menschen in die Augen zu sehen, setzt der Regisseur eine sehr ruhige Kamera und lange, porträtierende Einstellungen entgegen. Wo Cans Weltsicht aus verwischten Detailaufnahmen von Heroinbriefchen, Geldscheinen und Straßenecken zusammengesetzt scheint, ist uns ein beobachtender Blick vergönnt, einer, der kleinste Verschiebungen im inneren oder äußeren Zustand der Hauptfigur zu registrieren erlaubt.

 

Darüber hinaus ist "Dealer" eine graphischer Film. Oft verstellt Arslan ein Drittel bis die Hälfte des Bildausschnitts mit Mauern, Wänden, Türen, hinter oder zwischen denen Can seine Geschäfte abwickelt. Diese Formatbegrenzungen sind angenehm subtile Hinweise auf seinen eingeschränkten Bewegungsspielraum, gleichzeitig aber auch Instanzen, die uns eine identifizierende Nähe, eine Aufgabe des beobachtenden Standpunkts verstellen. Buchstäblich offenen Auges sehen wir Can in die Falle rennen und haben kein Mitgefühl. "Dealer" ist formal und in dem, was er zu sagen hat, der überzeugendste deutsche Film seit langem.

 

Urs Richter

 

Dieser Text ist zuerst erschienen bei:  filmtext

 

Dealer

BRD 1999 • 74 Min.

Regie: Thomas Arslan

Buch: Thomas Arslan

mit: Tamer Yigit, Idil Üner, Birol Ünel, Hussi Kutlucan, Baki Davrak (s.a. »Lola und Bilidikid«)

Kamera: Michael Wiesweg

Schnitt: Bettina Blickwede

 

Dealer ist auf DVD erschienen bei: www.absolutmedien.de 

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