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Dead
Zone
Beschwerlicher
Prozess
"Körperhorror" und "neues Fleisch",
die Leitbegriffe des bei David Cronenberg sonst so hoffähigen Schlüsselvokabulars,
sind in "Dead Zone" nichts wert. Die Verfilmung des Stephen-King-Romans
ist ein Werk jenseits der berüchtigten visuellen Cronenberg-Schocks, ein
unfleischiger Film des Kanadiers und dennoch geprägt von einem Motiv, das
sich wie ein roter Faden durch das Cronenberg-Oeuvre zieht: die Metamorphose.
Irgendetwas verwandelt und verformt sich bei ihm immer; wenn nicht sichtbar
auf körperlicher, dann gewiss auf psychischer Ebene.
In "Dead Zone" gehe die Metamorphose, so
Cronenberg, natürlich nicht ohne Schmerz vonstatten. Johnny Smith, Englischlehrer,
ist der Leidtragende, eine grenzenlos tragische Gestalt. Eine eigenartige Benommenheit
auf dem Jahrmarkt kündigt das Unglück an, den Beginn des "beschwerlichen
Prozesses" (Cronenberg), den Autounfall mit ungeahnten Folgen. Der alte
Johnny Smith stirbt und aus dem fünf Jahre andauernden Koma erwacht ein
neuer. Er hat überlebt, jedoch sein altes Leben verloren; Vergangenheit
sind die glückseligen Tage mit Sarah. Der seelische Schmerz beginnt zum
ersten Mal an Johnny Smith zu zehren; es gibt keinen traurigeren Anblick als
den seinen im Moment der Wahrheit. In jenem fürchterlichen Augenblick,
in dem die inzwischen verheiratete und Mutter gewordene Sarah ihm gestehen muss,
dass nichts mehr so sein wird, wie es war, und daraufhin eine Welt zusammen
und noch viel Fragileres zerbricht: Johnnys Herz.
Auf dem neuen Johnny Smith lastet eine übersinnliche
Gabe. Bereits kurz nach dem Aufwachen aus dem Koma ereilt ihn die erste hellseherische
Vision einer brennenden Wohnung. Dort blickt ein Kind dem Tod ins Auge und instinktiv
weiß Johnny, es ist die Tochter der ihn gerade berührenden Krankenschwester.
Sie wird dank seiner überleben, er wird ein Leben gerettet haben, doch
seine paranormalen Fähigkeiten, so wird sich bald herausstellen, absorbieren
seine Lebensenergie. Und mit jedem Mal, mit jeder Vision, durch die Gutes vollbracht
werden kann, wird der eigene Körper geschwächt. Es ist ein typisches
Segen-oder-Fluch-Zerwürfnis, das Johnny Smith in seiner Gewalt hat, ein
Zwiespalt, bei dem der persönliche Fluch zum Segen für das Gemeinwohl
wird.
In Cronenbergs dem natürlichen Kosmos entrückten
Welten werden Schmerz und Leiden für gewöhnlich in expliziter, plastischer
Weise visualisiert. In "Dead Zone" hingegen weicht Cronenberg von
dieser Linie ab und entwirft das Psychogramm eines Mannes, dessen übersinnliche
Gabe ihn allmählich, von Vision zu Vision, entkräftet und ganz zu
zermürben droht. Mit fortwährend melancholischen, kalten, depressiven
Winterbildern werden Körper- und Seelenzustand des dekadenten Johnny Smith
veranschaulicht, den Christopher Walken mit wenig variierender, jedoch anrührend
schwermütiger Mimik freilich auch ausgezeichnet darstellt. Zum Hauptgegenstand
der psychischen Belastung wird zweifellos die große Bürde der Verantwortung,
die der hellseherischen Fähigkeit innewohnt. Sich seiner Verantwortung
bewusst geworden, fasst Johnny dann den Entschluss, sich dem desperaten Sheriff
Bannerman (Tom Skerritt) zur Verfügung zu stellen. Dieser bat für
die Aufklärung einer brutalen Serie von Frauenmorden um die Hilfe des Hellsehers.
Zu einem späteren Zeitpunkt in der stark episodisch
aufgebauten Geschichte, als Johnny den in sein Herz geschlossenen Sohn eines
Millionärs beim Eishockeyspielen ins eiskalte Wasser einbrechen und ertrinken
sieht, vermag er dessen Vater von seiner Vision zu überzeugen und damit
das Unglück zu verhindern. Johnny Smith erkennt seine Macht, den Lauf der
Dinge, die Zukunft ändern zu können: Er entdeckt die "tote Zone",
in Cronenbergs Worten die "Region innerhalb der hellseherischen Visionen,
die sich nicht auf die unabänderlichen Dinge bezieht, also auf die, die
durch das Eingreifen des Hellsehers verhindert oder verändert werden können."
Bevor stehen wird dem geschwächten Protagonisten jedoch noch ein weiteres
Schlüsselereignis, bei dem das ganze Ausmaß seiner Verantwortung
deutlich werden soll. Der Radius der möglichen Schicksalsbeeinflussung
besitzt, wie sich herausstellt, eine globale Reichweite: Als Johnny bei einer
Wahlkampfveranstaltung des Politikers Greg Stillson (Martin Sheen) dessen Hand
schüttelt, sieht er, wie dieser als US-Präsident die Welt in den nuklearen
Abgrund manövriert.
In diesem finalen Handlungsstrang, dem gleichzeitig
interessantesten, offenbart sich "Dead Zone" auch als sich weltpolitisch
sorgender Stephen-King-Roman, sichtlich entstanden unter dem Eindruck des Wettrüstens
der beiden Supermächte während des Kalten Krieges. Eigentlich bis
zum Zusammenbruch der UdSSR führte das Säbelrasseln zu einer latenten
– nach der Kubakrise 1962 ja nicht unberechtigten – Paranoia vor dem aus den
Fugen geratenden "Gleichgewicht des Schreckens". Nichts mag wohl mehr
psychologisches Schreckgespenst gewesen sein und den Beginn des atomaren Supergaus
symbolisiert haben als der "rote Knopf". Greg Stillson, ein Mann mit
Hitler-gleichem Fanatismus, wird ihn drücken und Johnny Smith in der letzten
Phase seines schmerzvollen Prozesses, bitterlich intensiviert noch durch Sarah
als Stillson-Anhängerin, vor die Entscheidung seines Lebens stellen. Für
Cronenbergs Protagonisten kann es nur einen Weg zur Erlösung geben: den
Entschluss, ein Märtyrer zu werden, ein Held – ein Held, den niemand als
solchen feiern wird.
Daniel Szczotkowski
Dieser Text ist zuerst erschienen
bei: www.ciao.de
Dead
Zone
THE DEAD
ZONE
Stephen
Kings Dead Zone
USA
– 1983 – 102 min. – Erstaufführung: 18.5.1984 – Produktion: Debra Hill
Regie:
David Cronenberg
Buch:
Jeffrey Boam
Vorlage:
nach dem Roman von Stephen King
Kamera:
Mark Irwin
Musik:
Michael Kamen
Schnitt:
Ronald Saunders
Special Effects:
John Belyeu
Darsteller:
Christopher
Walken (Johnny Smith)
Brooke Adams
(Sarah Bracknell)
Herbert
Lom (Dr. Sam Welzak)
Martin Sheen
(Greg Stillson)
Tom Skerritt
(Sheriff Bannerman)
Anthony Zerbe
(Roger Stuart)
Colleen Dewhurst
(Henrietta Dodd)
Sean Sullivan
(Herb Smith)
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