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Dead Man

 

“Du bist ein eigenartiger Mann. Sehr eigenartig.”

William Blake über Nobody

 

“Du bist ein eigenartiger Film. Sehr eigenartig.”

Sascha Ganser über „Dead Man“…

 

Dass bei einem Film von Jim Jarmusch mit nichts mehr zu rechnen ist, was auf irgendeine Weise im Voraus kalkulierbar ist, hat sich vermutlich inzwischen herumgesprochen. Es gibt ein Thema. Hier ist es der Tod, auf den alles unvermeidlich hinausläuft. Er stülpt sich über den Film wie eine undurchdringliche Kuppel.

 

Der Western ist es, durch welchen der Tod einer Dekonstruktion ausgesetzt wird, so dass im Umkehrschluss sogleich der Western dekonstruiert wird. Poesie, Religion, Anthropologie, Psychologie und Mythologie werfen sich als Mittel zur Darstellung in das Western-Ambiente, dessen Inneres nach außen gekehrt wird. “Dead Man” ist in seinen Möglichkeiten der Analyse undurchdringlich. So will es die Darstellung.

Auf der Basis klassischer Western – welcher Epoche, spielt eigentlich nur sekundär eine Rolle – baut sich Jarmuschs Film eine Antithese auf, ein Negativ, das folgerichtig in Schwarzweiß gedreht wurde. Was immer der Western in den rund einhundert Jahren seiner Existenz auf Filmmaterial zur Darstellung der eigenen Aussage verwendete, man wird es hier wiederfinden, denn Motiv baut sich auf Motiv, wild durch die Epochen. Die ersten Momente, die Reise des William Blake (Johnny Depp) von Cleveland nach Machine, deutet die Kameraoptik eines extrem frühen Stummfilms an. Aus einer Zeit, als Aufnahmen aus einem fahrenden Zug nicht zum Zwecke eines Films gedreht wurden, sondern um per se aus eigenem Zweck den fahrenden Zug zu filmen, um die Ausweitung des Eisenbahnnetzes zu dokumentieren. Die Wurzeln reichen also zurück bis in die eigentliche Zeit. Bevor sich der Regisseur also des Westerns als Filmgenre ermächtigt, verwendet er das Rohmaterial, die direkte Verlinkung zur Epoche.

 

Dargestellt wird dies durch flackerndes Licht, das die schwarzen und weißen Stellen der von Robby Müller eingefangenen tristen Optik zu unsteten Flecken verschwimmen lässt. Die Kamera bleibt starr wie ein Körper nach seinem letzten Atemzug; Das auf den Maler, Poeten und Reisenden Henri Michaux verweisende einleitende Zitat – und offensichtlich ist die charakterliche Ähnlichkeit des Malers, Poeten und Reisenden William Blake zu dieser historischen Persönlichkeit – präsentiert sich auf einer klassischen Stummfilmtafel.

 

Nun gesellt sich sofort auch der markante Score von Neil Young schon in den ersten Minuten dazu, so dass bereits in der Einleitung alle Stilmittel miteinander fusionieren. Johnny Depps William Blake sitzt im Zug, offenbar als Fremdkörper in einer argwöhnischen Masse aus Fahrgästen, während das wechselnde Licht nicht nur durch die vorbeirasende Landschaft flackert; auch blendet die Kamera immer wieder kurzzeitig ab, vermittelt das Gefühl, dass die Hauptfigur in den ersten fünf vollkommen von Dialogen befreiten Minuten immer wieder wegnickt – ein erstes Anzeichen auf das zentrale Thema dieses Films, das nicht zuletzt im Titel zur Geltung kommt. Nach einem Dialog mit dem rußverschmierten Crispin Glover, der nach PAL-Zeit exakt nach fünf Minuten eingeleitet wird, bestätigt sich die Todessymbolik: die Fahrgäste ziehen allesamt Gewehre, stürzen sich ans Fenster, um auf Büffel zu schießen. Depp steht das Unbehagen ins Gesicht geschrieben, der vollkommen ruhige Glover konfrontiert ihn mit statistischen Daten, wie viele Büffel in der letzten Zeit getötet wurden.

 

Endlich im fremden Ort angekommen, ist der Name auch schon Programm: Machine ist ein steriles Drecksnest ohne Wärme. An der Ecke findet Oralverkehr statt, und der verdutzte Neuling bekommt von dem Mann sofort eine Waffe unter die Nase gehalten. Der vermeintliche Arbeitsplatz, ein einziges riesiges Uhrenwerk von einer Buchhalterstelle, ist bereits vergeben. Zum zweiten Mal bekommt der verdutzte Neue eine Waffe unter die Nase gehalten. Abends im Saloon gibt es Feuerwasser, seelenloser Handelstausch, Geld gegen eine kleine Flasche. Es folgt eine Klischeesituation aus einem beliebigen Western, ein entscheidendes Handlungsmoment für die Story: Ein Mistkerl schubst eine Frau auf die Straße, sie fällt, Gentleman Blake hilft ihr auf und landet mit ihr im Bett. Nun das einzige Anzeichen von Emotionen im kompletten Film in Form des eifersüchtigen Gabriel Byrne, doch das wird sofort im Keim erstickt. Jetzt haben wir den Plotsalat: William Blake gilt als Doppelmörder, flieht in die Wälder, wird dort von einem Indianer aufgelesen, der sich selbst am liebsten Nobody nennt (gespielt von Gary Farmer). John Scholfield (John Hurt) setzt drei Killer (u.a. Lance Henriksen als kannibalistischer Superkiller) auf den mutmaßlichen Mörder an.

 

Der Plot ist als solcher nicht wichtig, er dient vielmehr dazu, in seinem Verlauf jene Motive aufzuwerfen, die Jarmusch am Herzen liegen. Teilweise erinnert die etwas surreale Situation unseres Hauptdarstellers an eine Südstaatenodyssee, speziell in dem Moment, als sich Blake widerwillig an das Lagerfeuer dreier Wegelagerer (mit Iggy Pop in Frauenkleidern) gesellt. Langsam erlebt man eine Metamorphose des steckbrieflich gesuchten Outlaws, der mehr oder minder durch seine Situation zu einem solchen wird. Gewalt erzeugt Gegengewalt. Das anfangs bieder gekleidete Vorzeige-Greenhorn im Karoanzug mutiert mehr und mehr zu einem echten Verstoßenen, er wächst in seine Rolle des Dead Man hinein. Am Ende ist sein Gesicht mit Kriegsbemalung geschmückt. Braucht er bei der Erschießung des eifersüchtigen Mannes zu Beginn noch drei Versuche, so trifft er mit laufender Zeit gleich beim ersten Mal. Und hier kann Hauptdarsteller Johnny Depp zeigen, was er drauf hat, schon lange bevor er zum ultimativen Superstar wurde. Der William Blake aus Cleveland hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Ichabod Crane aus “Sleepy Hollow”, der Outlaw William Black, wie er fälschlicherweise durch John Hurt ausgerufen wird, hat die abgeklärteren Charakterzüge von Fred Abberline – ohne dabei jedoch die eigene Leistung zu wiederholen; der Vergleich kann nur annähernd sein, für sich betrachtet ist die Figur des William Black, und vor allem dessen Verwandlung, ein Unikat.

 

Wie man Blakes seltsamen Helfer, den Indianer Nobody auslegt, ist bis zu einem gewissen Grad sicher Ermessenssache. Zunächst erscheint der Indianer wie eine gutmütige Fee, wie das Gewissen; er offenbart dann jedoch auch kommerzielle Eigenarten. “Hast du Tabak?” lautet jede zweite Frage, und da kann Blake noch so oft betonen, dass er Nichtraucher ist und dementsprechend die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass er keinen Tabak mit sich führt. Ein Rückbezug zum Feuerwasser aus dem Saloon, der Handel als zweifelhaftes Geschenk des weißen Mannes bei seiner Eroberung des Westens. Fakt ist auch, dass hier ganz eindeutig mit der Namenssymbolik gespielt wird. Fragen die Wegelagerer “Mit wem bist du unterwegs?”, so antwortet Blake wahrheitsgemäß “Mit niemandem.” Zögert Blake kurz zuvor, zu den Wegelagerern zu gehen, so sagt der Indianer auf sich selbst referierend “Niemand wacht über dich.” Offenbar ist William Blake als Reisender alleine. Einsamkeit und Tod gehen eine unausweichliche Symbiose ein. Als Killer ist er vollkommen auf sich alleine gestellt. So passt es auch, dass sich die Killer, die hinter ihm her sind, gegenseitig dezimieren, ein scheinbar natürlicher Akt der Weiterentwicklung. Henriksen bleibt in seiner herrlich herausgespielten Abartigkeit der Sieger. Überleben ist keine Sache der Schönheit, sie ist ein hässliches Unterfangen, denn das schwache Glied wird sterben.

 

Jenes schwache Glied bekommt wie so ziemlich alle Gegenstände in diesem Film auch ein Symbol zugeordnet; ein kleines, totes Rehkitz, mit dem Blake eins wird, indem er sich in Embryostellung gleich danebenlegt. Der Western als Film gerät hier wieder in den Vordergrund, seine Stilmittel werden zweckentfremdet, so etwa christliche Symbolik, als ein gnadenlos niedergestreckter Kopfgeldjäger mit seinem toten Schädel mitten auf einen Holzhaufen fällt, der sich um den Kopf ringt wie ein Heiligenschein. Henriksens erbarmungsloser Killer zerquetscht den Schädel mit seinem Schuh in expliziter graphischer Darstellung und gleichzeitiger comichafter Überzeichnung.

 

Und so sind wir bei der Gewalt, demjenigen Element, auf dem Amerika so mancher Ansicht nach erbaut wurde. Tod und Einsamkeit bekommen einen dritten Weggefährten, präsentiert in gnadenloser Offenheit. Durchschüsse zeichnen sich auf den Körpern ab und Blut sickert schwarz wie Öl aus den Wunden, immer wieder steril und leblos eingefangen von Müllers Kamera. Eine vollkommene Entmystifizierung dessen, was immer wieder gerne in Schussduellen glorifiziert und gar heilig gesprochen wurde.

 

Weiterhin häufen sich Metaphern gegen Ende und bilden mit dem Schlussbild einen Schlüssel zum erzählerischen Konstrukt, das in den vergangenen zwei Stunden aufgebaut wurde. Der letzte Blick in den offenen Wolkenhimmel wirkt wie Hohn, denn ein helles Blau ist in diesem Schwarzweißfilm keinesfalls zu finden…

 

“Dead Man” ist ein Gedicht. Zwar ergibt sich die Poesie durch William Blakes Blutspur, doch hierdurch gelingt es Jarmusch, Tod, Gewalt und Einsamkeit systematisch miteinander zu verbinden und in eine kausale Abfolge zu setzen. Im Westerngenre hat er dazu die passende Basis gefunden, um jenes Genre ins Negativ zu verzerren und alles zu demontieren, was die letzten Jahrzehnte hergaben. Die Kameraarbeit fängt die äußerst dichte Atmosphäre grandios ein, und selten war der Schwarzweißfilm als Stilmittel besser geeignet als hier. Den audiovisuellen Gesamteindruck perfekt macht Neil Youngs Score, der aus verzerrtem Gitarrenröhren besteht, das in seiner Lautstärke enorm stark differiert und somit ein Gefühl der stetigen Divergenz vermittelt, wie das Augenflackern kurz vor dem Tod.

Hervorragend ist zuletzt auch der Cast, der abgesehen von der tollen Darstellung Depps und Farmers bis in die kleinsten Nebenrollen hinein brillant besetzt ist. Speziell John Hurt und Lance Henriksen bleiben nachhaltig im Gedächtnis.

 

Ein eigenartiger Film…

 

Sascha Ganser

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in der www.ofdb.de

Zu diesem Film gibt’s im archiv mehrere Texte

 

 

 

Dead Man

(Dead Man)

USA 1995, 121 Minuten

Regie: Jim Jarmusch

Drehbuch: Jim Jarmusch

Musik: Neil Young

Director of Photography: Robby Müller

Schnitt: Jay Rabinowitz

Produktionsdesign: Bob Ziembicki

Darsteller: Johnny Depp (William „Bill“ Blake), Gary Farmer (Nobody / Niemand), Robert Mitchum (John Dickinson), Lance Henriksen (Cole Wilson, Kopfgeldjäger), Michael Wincott (Conway Twill, Kopfgeldjäger), Eugene Byrd (Johnny „The Kid“ Pickett, Kopfgeldjäger), Iggy Pop (Salvatore „Sally“ Jenko, Jäger), Billy Bob Thornton (Big George Drakoulious, Jäger), Jared Harris (Benmont Tench, Jäger), Mili Avital (Thel Russell), Gabriel Byrne (Charles Ludlow Dickinson), Alfred Molina (Händler in der Poststation), Crispin Glover (Maschinist), John Hurt (John Scholfield, Büroleiter bei Dickinson), John North (Buchhalter bei Dickinson), Mark Bringleson (Lee, Marshall), Jimmy Ray Weeks (Marvin, Marshall), Michelle Thrush (Niemands Freundin)

 

 

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