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Dazed
and Confused
Das
Paradies der Schlaghosen
Jede
Jugendgeneration ist ja überzeugt, im langweiligsten Jahrzehnt der Menschheitsgeschichte
zu leben, mit den spießigsten Lehrern und den peinlichsten Eltern – und
alle sehnen sich nach den scheinbar so exotischen und turbulenten Dekaden, die
sie nur aus nostalgischen Erzählungen und alten Filmen kennen. So kommt
es zu den bekannten Retro-Wellen, die immer fünfzehn bis zwanzig Jahre
zurückblicken, um die aktuelle Jugend in ihrer Sehnsucht nach den vergangenen
Zeiten zu bestärken und um die älteren Generationen langsam daran
zu erinnern, daß ihre Musik vielleicht doch die coolste war, ihre Angewohnheiten
die verrücktesten und ihre Drogen die lustigsten.
Erstmals
erleben durfte man dieses zyklisch auftretende Phänomen wohl mit Hilfe
von George „ja, der hat auch mal gute Filme gedreht“ Lucas, dessen „American
Graffiti“,
gedreht Mitte der 70er, auf die Jugend der frühen 60er zurückblickt,
namentlich auf den letzten Tag der High School – eine abschließende, rauschende,
rücksichtslose Feier der eigenen Jugend, bevor man sich in alle Winde zerstreute
und erwachsen werden mußte. Das gleiche Setting und einen ähnlichen
Zeitabstand wählte Richard Linklater, als er 1993 seinen Film über
den High-School-Jahrgang ’76 drehte. Gleichzeitig stellt der Film ein perfekt
symmetrisches Verbindungsstück dar zwischen Linklaters Regiedebut „Slacker“
(50 Protagonisten, 2 Stunden Handlungszeit) und seinem ewigen Teenie-Traum „Before
Sunrise“
(2 Protagonisten, 24 Stunden Handlungszeit): In „Dazed and Confused“ folgt man
nun ungefähr 20 Hauptpersonen einen Nachmittag und Abend lang. Und man
folgt ihnen liebend gern.
Scherenschnittartig
ist hier ein repräsentativer Jahrgang vertreten, der zu Aerosmiths „Sweet
Emotions“ die Bildfläche betritt: Der rebellische Quarterback, die pokerspielenden
Nerds, die arroganten Chearleader, der gemeine Durchfaller, das nette Mädchen
von nebenan, der lässige Aussteiger, die Footballspieler, die Schlägertypen,
die Auto-Fetischisten, die knutschenden Frühpubertären und die schüchternen
Verliebten. Im Prinzip wollen alle nur ein gutes Bier, ein wenig abhängen,
einen Joint und ein Mädchen im Arm. Und tatsächlich: Die meisten werden
an diesem Abend Glück haben, und man kommt nicht ganz umhin, es ihnen zu
gönnen. Vor allem dank einer bemerkenswerten Ensembleleistung von hervorragenden,
zurückhaltenden Jungschauspielern bleibt keine der Figuren im Klischee
hängen, alle Charaktere sind liebevoll ausgestaltet und zutiefst sympathisch,
und selbst die heutzutage archaisch anmutenden Initiationsriten der High-School-Neulinge
kriegen hier einen nostalgischen Charme zugesprochen. Überhaupt verleiht
dieser Film trotz aller semi-dokumentarischen Handlungsführung der oft
belächelten Welt der Siebziger einen seltsamen Glanz: Von minutenlangen
Handschlägen bis zu pinkfarbenen Schlaghosen darf man alles noch einmal
bestaunen, unterlegt mit erlesenster Musik von Alice Cooper bis ZZ Top. Zudem
kann der aufmerksame Zuschauer hier auch die ersten Karriereschritte von späteren
Größen wie Milla Jovovich, Matthew McConaughey, Ben Affleck oder
Joey Lauren Adams miterleben – und erstaunt feststellen, daß die eigentlichen
Hingucker dieses Films noch immer unentdeckt geblieben sind: Rory Cochrane,
der als Slater entweder eindrucksvoll viel gekifft hat oder ein erstaunliches
Talent an den Tag legt, ist inzwischen bei „CSI: Miami“ sträflich unterbesetzt,
während Sasha Jenson, der sich hier als Dawson so etwas wie das heimliche
Herzstück des Films erspielt, noch immer auf eine ähnlich gute Rolle
wartet.
Linklater
hatte deswegen eine so perfekte Reihe Erstlingsfilme, weil er ein schamloser
Wohlfühlregisseur war – später, als er meinte, sich dieser Bequemlichkeit
entledigen zu müssen und „ernste“ Stoffe drehte, war der Zauber sehr schnell
verschwunden. Der Regisseur hat seinen Lauf erst mit „School
of Rock“
und „Before
Sunset“
wiedergefunden, zwei weiteren herrlich unseriösen Feelgood-Movies. „Dazed
and Confused“ ist also, mit Verlaub, keine große Kunst, aber ein ebenso
ehrlicher wie optimistischer Blick zurück ohne Zorn, der nicht umsonst
ein ewiger Studentenklassiker und Kultfilm (auf Augenhöhe mit der „Feuerzangenbowle“)
geworden ist: Die ausgelassene Stimmung hält dank tausend kleiner Details
auch einem zehnten Anschauen stand. Und in den Siebzigern waren die Drogen eben
doch die lustigsten und die Musik eben doch die coolste. Sweet Emotions in der
Tat…
Daniel
Bickermann
Dieser
Text ist nur in der filmzentrale erschienen
Dazed
and Confused
USA
1993. R,B: Richard Linklater. K: Lee Daniel. S: Sandra Adair. P: Alphaville
Films, Detour Prod. D: Jason London, Joey Lauren Adams, Milla Jovovich, Shwan
Andrews, Marisa Ribisi u.a. 94 Min.
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