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Dark
Water – Dunkle Wasser
Walter
Salles’ Ausflug ins japanische Genrekino
Unter
den zahlreichen Hollywood-Remakes asiatischer Horror- und Mystery-Filme der
letzten Jahren ist Walter Salles’ Version von Hideo Nakatas Dark
Water
eine der interessantesten. Vielleicht weil er mehr im Sinne hatte als eine schlichte
Anpassung an den westlichen Mainstream.
Hideo
Nakatas Film Honogurai
mizu no soko kara
(Dark
Water,
2002) erzählt, wie der Geist eines verlassenen, nach Mutterliebe und Geborgenheit
schreienden Mädchens den Platz eines Menschen einnimmt, und er endet damit,
dass sich drei Menschen, ein Jahrzehnt nach dem eigentlichen Geschehen, in dem
gewaltigen Hochhaus wieder treffen, in dem ihre ursprüngliche Begegnung
stattfand. Einer ist tot, ein anderer lebt, und der Dritte ist, vielleicht,
mittendrin. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie unter den Bedingungen ihres
wirklichen Lebens gelitten haben, dass ihre Sehnsucht nach Liebe enttäuscht
wurde, dass ihre Existenz nichts als Verlust war. Weil ihnen auf Erden nicht
zu helfen war, glitten sie ins Reich der Geister. Shintoistische Geister, die
mit selbstverständlicher Trauer in den Alltag der Lebenden eingreifen,
so gegenwärtig wie der Geist des Toten in Kenji Mizoguchis Ugetsu
Monogatari.
In japanischen Filmen, nicht nur im Gespensterfilm, verschwinden die Geister
nicht, weder im Himmel noch in der Hölle, und auch nicht im Licht der Aufklärung
und ihrem trostlosen Widerschein, der Rationalisierung. Sie sind ein Teil der
Wirklichkeit.
Gerade
dies aber macht den japanischen Geisterfilm für westliche, noch mehr für
in christlichen Traditionen denkende Menschen so provokant: Nicht die metaphysischen
Peripherien des Lebens besetzen diese Gespenster, sondern die Mitte des Lebens
selbst. Nicht um den Schutz der Wirklichkeit vor den Geistern geht es, sondern
um Formen der Koexistenz.
Walter
Salles, der brasilianische Wanderer zwischen den Kino-Welten, geht mit den Geistern
vorsichtig um. Er erzählt zuerst die Geschichte einer gerade geschiedenen
jungen Frau, Dahlia Williams (Jennifer Connelly), die Geschichte von einem desolaten
New Yorker Viertel, Roosevelt Island mit der "brutalist architecture",
eine Wohnmaschinerie nach schief gegangenen sozialen Planungen, er erzählt
von einem Haus, das sozial nicht funktioniert, und vielleicht deswegen auch
nicht mental. Die kleine Tochter, einsam und unsicher in der neuen Umgebung,
scheint so etwas wie einen "imaginary friend" zu entwickeln, ein Mädchen
namens Natascha. Man rät zur Schulpsychologin. Aber auch die Mutter hat
unter ihren Dämonen zu leiden, ihre eigene, lieblose Mutter, die sie einst
verlassen hat und auf die das Kind einsam im Regen wartete, verfolgt sie noch
in ihre Träume. Und dann gibt es noch ganz materielle Probleme: In die
kleine Wohnung, die man sich mit Mühe heimelig gemacht hat, tropft es durch
die Decke. Dahlia entdeckt, dass die obere Wohnung buchstäblich unter Wasser
steht. Dunkles Wasser, das nicht zu dämmen ist und wiederkehren wird. Wie
das zusammenhängt, ist schnell klar. Aber Salles macht aus diesen Zutaten
doch mehr als ein stimmungsvolles Spukhaus-Kino.
Wenn
man das Kino des Walter Salles beschreiben möchte, dann bieten sich zwei
Begriffe an, die in den Gesprächen mit ihm immer wieder auftauchen: Suchen
und Besuchen. Es ist immer zugleich Rückbesinnung und Selbstbestimmung,
es geht darum zu verstehen, um sich zu befreien. Salles ist nicht militant,
aber er ist auch nicht "unpolitisch". Es ist ein Blick der Frage,
und nie gibt es Antworten. Suchen und Besuchen ist vielleicht auch das Motto
von Dark
Water,
den man beschreiben kann als Besuch beim Genre-Kino, als Auseinandersetzung
mit einem japanischen Vorbild und als Schilderung der Suche einer Mutter nach
dem verlorenen Kind (in sich), aber eben auch als Fortsetzung von Salles’ Kino
der spirituellen Reisen, die immer durch die erbarmungslose Wirklichkeit führen.
Geblieben ist vor allem der genaue, fast schon "neorealistische" Blick
auf Orte und Lebensbedingungen.
Alle
Filme von Salles, ob Central
Station
oder Motorcycle
Diaries,
sind um eine Leerstelle, um das Entscheidende, das fehlt, herum konstruiert.
Genau der Punkt, an dem sich alles treffen und an dem sich alles lösen
müsste, erweist sich als Schimäre. Deswegen funktionieren in Dark
Water
weder die Genre-Konventionen des amerikanischen Mystery-Thrillers noch die shintoistische
Konsequenz von Nakatas Film. Das eigentliche Zentrum bleibt leer.
In
diesem Punkt ist Dark
Water mit
Stanley Kubricks Shining verwandt:
Psychologische und fantastische, religiöse und wahnhafte Erklärungen
umkreisen einander, keine geht in der anderen auf, selbst eine simple Verschwörung
scheint sich als Erklärung anzubieten. Wie Kubrick in Shining überschreitet
Dark
Water
die Grenzen des Genres, indem es allen seinen Lösungen und Erklärungen
gleich viel vertraut und gleich viel misstraut. Aber am Ende erreicht Salles’
Überfülle seltsamerweise etwas ganz Ähnliches wie Nakatas fast
abstrakte Offenheit, nämlich den Zuschauer zu einer eigenen Bewegung in
den Bildern zu bringen.
Die
Spannung von Raum und Person in Dark
Water
verknüpft soziales und individuelles Schicksal mehr als man es im Genre
gewöhnt ist. Medium dafür ist die Schauspielerin Jennifer Connelly,
die sparsam und genau in ihren Mitteln, seit ihren Teenager-Auftritten bei Dario
Argento, die weibliche Rolle im Genre redefiniert hat. Sie verweigert jenes
Affektbild, von dem einst Siegfried Kracauer gemeint hat, es sei das eigentliche
Ziel des Horrorfilms: die Frau schreien zu lassen. Die Maschine zur Erzeugung
weiblicher Hysterie läuft leer; Jennifer Connelly ist das Gegenteil einer
scream
queen
im Horrorfilm und im Melodrama das Gegenteil der klassischen leidenden Frau.
Dabei wird Angst, Schmerz und Verlust nicht verleugnet, im Gegenteil, aber es
sind Empfindungen jenseits des abgekarteten Spiels der Genres. Deswegen wird
ihr verhaltenes Spiel auch nicht erdrückt von der beeindruckenden Darstellung
der Kinder und von Pete Postlethwaites mehrdeutiger Rolle als Hausmeister, der
die verschiedenen Raum/ Zeit-Ebenen des Hauses miteinander verbindet und vielleicht
der beste Ausdruck der sozialen Krankheit dieses Lebens ist.
Georg
Seeßlen
Mit
Anklängen an Kubricks Shining
erzählt der brasilianische Autorenfilmer Walter Salles die Geschichte einer
jungen geschiedenen Mutter in einem von Geistern besetzten New Yorker Mietshaus.
Salles’ Remake von Hideo Nakatas Dark Water ist Suche und spirituelle Reise
zugleich.
Dieser
Text ist zuerst erschienen in epd Film
Dark
Water – Dunkle Wasser
Dark
Water
USA
2005. R: Walter Salles. B: Rafael Yglesias (nach dem Roman "Honogurai Mizu
No Soko Kara" von Kôji Suzuki). P:
Bill Mechanic, Roy Lee, Doug Davison. K:
Alfonso Beato. Sch: Daniel Rezende. M:
Angelo Badalamenti. T:
Glen Gauthier. A:
Thérèse Deprez, Andrew Stearn. Ko: Michael Wilkinson. Sp: John
P. Mesa, William Mesa. Pg: TouchstonePandemonium/Vertigo. V: Buena Vista. L:
105 Min. FSK: 16, ffr. Da: Jennifer Connelly (Dahlia Williams), John C. Reilly
(Mr. Murray), Tim Roth (Jeff Platzer), Dougray Scott (Kyle), Pete Postlethwaite
(Veeck), Camryn Manheim (Mrs. Finkle). Dt. Start: 22.9.2005
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