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Daniel
Vergangenheitsbewältigung
in den USA, von unten. Die Kamera geht in die Hocke, auf Augenhöhe der
beiden Kinder, vor sich die Bäuche fremder Männer, die Pappa und Mamma
wegnehmen, noch gibt es nichts zu begreifen. 1950 ist der Höhepunkt des
Kalten Krieges, und der FBI verhaftet die Kommunisten Julius und Ethel Rosenberg
– im Film heißen sie Paul und Rochelle Isaacson – als Atomspione. Drei
Jahre später werden sie auf dem elektrischen Stuhl getötet. Daniel
und Susan, die Kinder, durften in Singsing Abschied nehmen. Das, was ihnen als
Katastrophe widerfahren war, blieb: ein Trauma. Zwölf Jahre später
beginnt Daniel (Timothy Hutton) das Drama seiner Kindheit zu begreifen. Die
Kamera geht jetzt in die Höhe und versucht, Überblick zu gewinnen.
Die Demonstranten auf der Straße fordern „Give Peace a Chance", zur
Zeit der Eltern hatten sie Spanienkämpfer-Lieder gesungen, die Stimme Paul
Robesons im Ohr. Daniels politisches Bewußtsein erwacht. Seine Recherchen
zielen nicht nur darauf ab, ein Justizverbrechen zu entdecken, sondern das Trauma
des Kalten Krieges zu bewältigen. Die Aufarbeitung der, so könnten
wir heute sagen, antistalinistischen Verbrechen ist eine Sache der Gesellschaft.
Daniel tritt daher aus der Filmrolle heraus und spricht als Moderator direkt
in die Kamera. Die Elektroexekution von 1953 wird in seinen Worten zum Akt mittelalterlicher
Barbarei, zur Hexenverbrennung mit anderen Mitteln. Johanna von Orleans, die
auf dem Scheiterhaufen verbrennt, ist ein namentliches Opfer zwischen denen,
die gevierteilt und vergast wurden.
Der Film operiert mit beträchtlichem
Geschick zwischen den zeitlich und formal ausgewiesenen Ebenen. Daniel, der
sich eine Überzeugung verschafft, zu der er stehen wird, erinnert sich
seiner Kindheit (Rückblenden) und stellt seine Aufarbeitung in größere
Zusammenhänge (dazu gehört die Adresse an den Zuschauer). Die Dialoge
dienen gelegentlich nur dem Zweck, Informationen zu vermitteln („Die Anklage
erfolgte wegen Verschwörung und Verletzung des Spionagegesetzes von 1917"/„Was
bedeuten diese Gesetze"/.,Dadurch wurde erreicht, daß …"). Erstaunlicherweise vermindern
auch diese dozierenden (und zugegebenermaßen für das Verständnis
unentbehrlichen) Einschübe nicht die Anteilnahme für einen Film, der
darauf angelegt ist, zu informieren und doch bei der Geschichte von Kindern
zu bleiben, denen die Eltern weggenommen wurden. Sidney Lumet erschließt
den politischen Hintergrund über ein konkretes Einzelschicksal und sichert
sich damit (auch) die emotionale Beteiligung des Zuschauers. Bild, Schauspiel
und Montage „sprechen" in diesem Film. Daß diesem ein Roman zugrunde liegt („Das
Buch Daniel" von Eugene Doctorow), ist kaum spürbar.
Übrig geblieben ist vom Roman
allerdings, daß der Name Rosenberg im Rosenberg-Film nicht vorkommt. Der
authentische Prozeß von 1951 wird jedoch so anschaulich rekonstruiert,
daß er für uns wieder beklemmend faßbar wird. Die Jury, die
die Rosenbergs schuldig sprach, der Richter, der sie zum Tode verurteilte, der
Präsident (Eisenhower), der die Begnadigung verweigerte, – sie waren damals
nicht nur potentielle Mörder. Damals schon wurde gnadenlos mit Paragraphen
operiert, die uns jetzt erst das Fürchten lehren: die Kombination des Straftatbestands
der kriminellen bzw. terroristischen Vereinigung mit der Kronzeugenregelung.
In DANIEL wird heraugearbeitet, wie der Vorwurf der „Verschwörung"
(der „Vereinigung") den Nachweis einer konkreten Tat überflüssig
macht; und der Verschwörer wird von einem Kronzeugen überführt,
der sich dadurch von der Strafverfolgung loskauft. Kronzeuge war im Fall Rosenberg
Ethels Bruder David Greenglass; der Film überträgt die Rolle auf den
besten Freund Selig Mindish. Der Kronzeuge ist gut für einen kurzen Prozeß;
kein weiterer Zeuge war und ist vonnöten. Auch in der Todeszelle der „Atomspione"
stand bis zuletzt ein Telefon bereit, das eigens installiert war, um sich durch
eine Kronzeugendenunziation selbst zu retten. Die Protagonisten werden uns im
Film als die Helden geschildert, die ihrer Überzeugung treu blieben und
dafür in den Tod gingen – wie Johanna von Orleans auf dem Scheiterhaufen.
Sohn Daniel wird sich ihrer würdig erweisen. „Das Buch Daniel" als
Vermächtnis.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text
ist zuerst erschienen in: epd Film 12/89
Daniel
DANIEL
USA 1983. R: Sidney Lumet. B: EL. Doctorow (nach seinem
Roman). K: Andrzej Bartkowiak. Sch: Peter Frank. M: Paul Robeson. Pg.- World Film Services Production.
P: Burt Harris. V:
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