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Cry-Baby

John Waters ist dabei, sein Trash-Kult-Renommee zu verschnulzen. CRY-BABY ist ein Hollywoodfilm, nett, lustig, harmlos, und nur von ferne scheint etwas von dem aggressiven Styling durch, mit dem Waters seit PINK FLAMINGOS (1972) den American Way of Life radikal umgewertet hatte. Aber Divine ist tot, und Waters macht keinen Transvestiten mehr zum Star, der den Verzehr von frischem Hundekot propagiert. Die Abweichung triumphiert nicht mehr; Waters hatte sie so sehr zum Zentrum seiner Filme gemacht (FEMALE TROUBLE, DESPERATE LIVING, POLYESTER), daß sowohl die satte und straighte Mehrheit der braven Bürger als auch die sogenannte Professionalität des Hollywoodfilms als kuriose Marginalien erschienen. – Mit CRY-BABY hat Hollywood zurückgeschlagen und Waters die umstürzlerische Attitüde ausgetrieben. Oder hat Waters gegen sich selbst geputscht?

 

Zentrum ist in CRY BABY jedenfalls das Genre-Übliche. Eine Music-Show mit Nummern aus den fünfziger Jahren, ironisiertes Nostalgie-Entertainment. Eine Nummer folgt der anderen – eine Addition, die im Laufe des Films immer weniger Sinn macht: offenbar das Erfolgsrezept für unbeschwerte Unterhaltung. Was jetzt triumphiert, ist Play-Back-Mimik und Standard-Choreographie (wir kennen sie als die Kunst des Fernseh-Balletts). Moderiert wird diese Rock’n’Roll-Revue durch ein properes Teenagerpaar: Allison (Amy Locane) und Cry-Baby (Jonny Depp) verbrauchen manchen Musik-Titel und vergießen manche heimliche Träne, bis sie sich kriegen. Was trennt, das sind die Gruppenfamilien und die auseinanderstrebenden Musikkulturen. Die Spießergang setzt sich Nachtmützen auf und bietet im Freizeitpark „Come Mr. Sandman and send me a dream" dar (eine der geglückten Nummern), während die Gang der kriminellen Jugendlichen, der Cry-Baby vorsteht, in der Sanierungszone sich in Rock’n’Roll übt.

 

Regisseur Waters läßt seine beiden braven blassen Protagonisten wacker agieren. Es scheint, daß er sein Interesse auf die Nebenrollen konzentriert hat. Und hier gelingt es noch mal: der manische Schub, das euphorische Abheben, der vorsätzliche Stilbruch und die kalkulierte Provokation. Fromm schließen die Strafgefangenen in ihr Abendgebet ein, was der Vollzugsbeamte ihnen vorgesagt: den Bewährungshelfer, den Jugendrichter und den großen Richard Nixon; eskalierende Großaufnahmen führen in den Wahnsinn. – Auch der Dialog darf hin und wieder ausbrechen („Sorgenvoll hängt jetzt der Kopf, der gestern noch die Krone trug").

 

Ab und an übernehmen optische Tricks die Handlung (was während einer Musiknummer an Mini-Story erzählbar ist, hat das Musik-Video erarbeitet. CRY-BABY profitiert davon); dann werden die Köpfe der „Mr. Sandman"-Gruppe mit denen der Jungdelinquenten überblendet. Der Stilbruch wird zur Befreiungstat: Das unterscheidet CRY-BABY nachhaltig von einem sogenannten professionellen, aber durch und durch biederen Film wie LINIE 1. Waters gelingt es in diesen Mini-StorySequenzen, eine Auto-Crash-Fahrt dadurch zu intensivieren, daß in wenigen Sekunden ein ganzer Roman erzählt wird (ein Kind wird geboren, gedeiht und wächst, eine Ehe wird geschlossen, ein Glück besiegelt). Dann wieder sind es rasende Schnittfolgen, die einen Vorgang wie die Schulimpfung, aber auch den Zungenkuß, den Engtanz und den Trennscheibensex in orgiastische Höhe treiben. – Waters hat sich – vornehmlich in den Nebenrollen – seine Vorlieben bewahrt. Gesellschaft im Refugium bieten ihm die „entführte" Patty Hearst, Warhol-Star Joe Dallesandro, Pop-Urvater Iggy Pop, Pornostar Traci Lords und so weiter.

 

Die vielen Auftritte, so geglückt sie auch sein mögen, dienen jedoch nur dem alles einebnenden Zweck zu zeigen, wie lieb und nett wir doch nur alle sind. Für diese Banalität, die allen Waters-Freunden die Röte ins Gesicht treiben muß, sorgt das Drehbuch. Aus dem Lager der Spießer und „Sandman"-Sänger läuft der strenge Jugendrichter schlußendlich, mild lächelnd, zu den aufmüpfigen und leicht straffälligen Rock’n’Roll-Teenies über – in trautem Verein mit der anfangs doch so strengen Erzieherin der schönen Waise Allison. – Die bösen Autoritäten in Staat und Familie waren also doch lieb; die Rowdies und ihre Gang haben das alles falsch gesehen. Jetzt können sie sich alle in den Armen liegen, mitklatschen oder -schunkeln. – Ja, Herr Waters, und Hollywood hat doch gesiegt.           

 

Dietrich Kuhlbrodt

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in: epd Film 9/90

 

Cry-Baby

CRY BABY

USA 1989. R u. B: John Waters. K: David Insley. Sch: Janice Hampton. M: Patrick Williams. T: Richard Angelella. Ba: Vincent Peranio. A: Delores Deluxe. Ko: Van Smith. Pg: Image Films Entertainment. Gl: Jim Abrahams, Brian Grazer. P: Rachel Talalay. V: UIP L: 85 Min. FSK: 12, nffr. FBW.- wertvoll. St: 26.7.1990. D: Johnny Depp (Cry-Baby), Amy Locane (Allison), Susan Tyrrell (Ramona), Polly Bergen (Mrs. Vernon-Williams), Iggy Pop (Belvedere), Ricki Lake (Pepper), Traci Lords (Wanda), Kim McGuire (Killer Face), Joe Dallesandro (Miltons Vater), Patricia Hearst (Wandas Mutter), Willem Dafoe (Hateful Guard).

 

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