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Crossroads
Schon
die Frage, was der Blues sei, ist falsch gestellt. Es gibt unzählige Arten
von Blues (unzählige Arten, den Blues zu haben und unzählige Arten,
den Blues zu spielen). Der Blues hat eine Geschichte, von Afrika bis zum Drum-Synthesizer;
die Frage nach seiner „Echtheit" ist deswegen keine ästhetische, sondern
eine politische. Damit erübrigt sich auch die besserwisserische Frage,
ob Quarkärsche den Blues spielen können oder nicht. Sie wird auch
meistens von studierten Quarkärschen mit einem Bücherbord voller akademischer
Blues-Bücher und mindestens vier Dutzend ausgesprochen rarer Blues-Platten,
also von Menschen wie Du und Ich, gestellt. Ein Stück Diebstahl ist immer
dabei, das gehört zur Geschichte des Blues. Jeder kann über die Straße
gehen, aber niemand kann so tun, als wäre er auf der anderen Seite geboren.
Der
Blues, von dem in diesem Film die Rede ist, war unterwegs vom Mississippi-Delta
nach Chicago. In
dieser Zeit sang Cow Cow Davenport „I’m going up north where they say money
grows on trees, I don’t give a doggone of ma black soul leaves". Und
genau das hat das Schicksal dem schwarzen Helden des Films, Willie Brown, der
sich später, nicht nur aus künstlerischen Gründen, Blind Dog
Fulton nannte, beschert. An einer Kreuzung im Süden hat er seine Seele
dem Teufel verpfändet, um sein Instrument, die Mundharmonika, wahrhaft
zum Klingen zu bringen. Er hat das Leben eines Bluesman geführt, was gibt
es besseres. Aber nun lebt er in New York, alt und vergessen, in einem Heim,
wo er den Krüppel spielt. Hier stöbert ihn der junge weiße Gitarrist
Eugene auf, dem man gerade auf der Musikschule nahegelegt hat, sich zwischen
Mozart und dem Blues zu entscheiden. Er ist besessen von dem Gedanken, daß
Robert Johnson, mit dem Willie zusammenspielte, ein Lied geschrieben hat, das
nie veröffentlicht wurde. Willie schlägt ein Geschäft vor: der
Junge soll ihn aus dem Heim und zurück in den Süden bringen, dafür
wird er ihm das verlorene Lied geben. Von Chicago aus geht es als Tramper weiter,
das, meint Willie, gehört sich so für einen Bluesman. Eugene lernt
eine Menge darüber, woher der Blues kommt, macht Erfahrungen von Rassismus,
Gewalt und Trotz. Ein rassistischer Zuhälter, ein korrupter schwarzer Sheriff,
ein Mädchen, das davongelaufen ist – das sind die Nebenfiguren in einer
Blues-Initiationsgeschichte, die sich zwischen Eugene und Willie, aber auch
zwischen den Menschen und dem Land abspielt. Um Willies Seele zu retten, tritt
Eugene schließlich gegen den weißen Gitarristen des Teufels an.
Und da macht der Film eine kleine Volte: der Sieg kommt für den weißen
Jungen, als er sich seiner eigenen Wurzeln besinnt und Mozart spielt, verändert
durch seine Blues-Erfahrungen. Daß es auch kein verlorenes Lied von Robert
Johnson gibt, versteht sich fast von selbst.
Walter
Hills etwas akademische, etwas zu gut gemeinte Blues-Fabel macht mich ein bißchen
ratlos. Der Regisseur arbeitet die amerikanische Mythologie ungefähr so
auf wie sein Hauskomponist Ry Cooder die amerikanische Musikgeschichte: Sogar
der Schmutz erscheint arrangiert, gezeugt von harter Arbeit, von Bewußtsein
und unverbrüchlichem Respekt. Musik und Film leiden an einer unerfüllten
Sehnsucht nach Authentizität. Aber als wüßten Cooder wie Hill
das nur zu gut, führen sie uns immer wieder auf eine andere Ebene der Darstellung,
wenn die Widersprüche zu groß werden. CROSSROADS ist ein Road Movie,
ein Weißer-Sohn-findet-schwarzen-Vater-Drama, ein Leslie Fiedler-Film,
ein phantastischer Film (ein Blues-Faustus), eine Liebesgeschichte undsoweiter.
Man hat den Eindruck, Walter Hill sei in diesem Film permanent auf der Flucht
vor einer Perspektive, vor einer Aussage. Er rettet seinen eigenen Respekt,
seine Liebe zu seinen Figuren auf Kosten einer Art Selbstaufhebung: Obwohl der
Film eine klare und einfache Geschichte zu erzählen scheint, geschieht
in Wirklichkeit nichts. Jede dramatische Situation endet damit, daß ihr
das Drama entzogen, auf einer anderen Erzählebene vollendete Harmonie verpaßt
wird. Daher ist aus diesem Film nichts, und schon gar nichts über den Blues
zu lernen.
CROSSROADS
ist ein Lehrfilm über etwas, das nicht zu lernen ist, und gleichzeitig
ein Film der Blicke: Eugene findet den Blues unter anderem dadurch, daß
er sehen lernt. Und da schafft Hill wieder seine amerikanische Poesie. Er ist
auf der Suche nach der Seele, nach etwas Unsterblichem also, des Landes und
der Musik. Darum erzählt er kreisförmig. Während Willie und Eugene
sich dem Ursprung des Blues nähern, wird gleichzeitig ihre Musik immer
nervöser, elektrischer, urbaner. Natürlich ist auch das, wie Eugenes
musikalisches Duell, eine poetische Absage an musikalische Ideologie, musikalischen
„Rassismus". Das scheint im Zeitalter des Sound Sampling ein wenig deplaziert,
so sehr wie die Angstlichkeit, mit der Hill seine Figuren anpackt, als dürfe
er nur ja nichts Falsches sagen.
So
kommt der Blues nicht zustande, aus Angst vor dem falschen Ton. Der Blues, so
wissen die Prediger und Gospelsinger, ist die Musik des Teufels. Walter Hill,
dessen Meisterwerke sehr rauhe Filme waren, träumt von einer Versöhnung.
Der Teufel aber hat die bess’ren Filme.
Georg
Seeßlen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: epd Film 3/88
CROSSROADS
CROSSROADS
USA
1986. R: Walter Hill. B: John Fusco. K: John Bailey. Sch:
Freeman Davies. M:
Ry Cooder, Sonny Terry, John ‘Juke’ Logan. T: Richard Goodman. Ba: Jack T. Collis.
A: Albert Heschong. Pg: Columbia/Delphi IV. Gl: Tim Zinnemann. P:
Mark Carliner. V.
Columbia. L: 96 Min. FSK. 12, ffr. St: 15.10.1987. D: Ralph Macchio (Eugene
Martone), Joe Seneca (Willie Brown), Jami Gertz (France), Joe Morton (Scratchs
Assistent), Robert Judd (Scratch).
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