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Crimson Gold

 

Für seinen Vorgängerfilm "Der Kreis" gewann Jafar Panahi den Goldenen Löwen von Venedig. "Crimson Gold" war im letzten Jahr in der Cannes-Kunstfilm-Nebenreihe "Un Certain Regard" siegreich. Es handelt sich bereits um die zweite Zusammenarbeit Panahis mit seinem Freund und Mentor Abbas Kiarostami: der schrieb bereits für sein Spielfilmdebüt "The White Balloon" das Drehbuch.    

 

Eine Geschichte in einer Einstellung, der ersten: Schwarz, Kampfgeräusche, ein Überfall, ein Mann, der geschlagen wird, eine offene Tür ins Freie in der Mitte des Bildes, davor, aus dem Off ins Bild, aus dem Bild ins Off, ein anderer Mann, ein dicker Mann. Eine Gittertür schließt sich, der dicke Mann, der Räuber, ist gefangen. Er schießt auf den anderen, er wird nicht entkommen können. Vor der Tür, jetzt vergittert, sein Komplize, entsetzt, auf- und ablaufend, Passanten, sich nähernd, sich entfernend, entsetzt, schreiend. Dann der dicke Mann, Gesicht zur Kamera, vor dem hellen Ausschnitt der Tür, auf den die Kamera langsam, kaum merklich zoomt, er setzt die Waffe an die rechte Schläfe. Schuss. Schnitt.

Schnitt. Der dicke Mann auf dem Motorrad. Er lebt, Rückblende. Eine Szene in einem Café, sein Freund hat eine Handtasche gefunden, sie untersuchen ihre Beute, darin eine Quittung für ein teures Schmuckstück. Ein älterer Mann setzt sich an den Tisch, glaubt, sie sind Diebe, hält ihnen einen Vortrag über die Ethik ihres vermeintlichen Berufs. Ehrlichkeit macht den erfolgreichen Dieb, sagt er. Hussein und Ali – sie haben jetzt Namen – machen sich auf zu dem Juwelier, er lässt sie nicht einmal in den Laden. Zweimal noch werden sie zurückkehren in das Geschäft, einmal unter dem Vorwand, eine Halskette zu kaufen für Husseins Verlobte, die Alis Schwester ist. Der Juwelier wird sie freundlich hinauskomplimentieren, in die Unterstadt schicken, zum Basar, wo es die billige Ware gibt.

 

"Crimson Gold" ist auch ein Film über die soziale Topographie Teherans. Die reiche Oberstadt, die arme Unterstadt, zwischen denen der Pizzabote Hussein als Grenzgänger agiert, ohne natürlich jemals die unsichtbare Grenze des Sozialen überschreiten zu können. Ein Film über Zirkulation und was sie unmöglich macht – nicht nur die gesellschaftlichen, und alles andere als feinen Unterschiede. Einmal, als Hussein und Ali, wie so oft, auf dem Moped unterwegs sind durch die vom Verkehr überfüllten Straßen der Stadt, ist die Rede davon, dass Geld notwendig zirkulieren muss, um seine Funktion zu erfüllen. Kurz darauf ein Beinahe-Stau im Verkehr, ein Polizist ruft: Weiterfahren, weiterfahren, die französischen Untertitel: Circulez, circulez, es ist anzunehmen, dass Kiarostamis Drehbuch hier gleichfalls dasselbe Wort benutzt. Auch das Gespräch mit dem Juwelier: legt das Geld nicht in italienischen Schmuck an, der ist kaum wiederzuverkaufen, investiert in Gold, das neutral ist wie Geld. Es geht, in diesem Film, der Kapitalismus, Geld- und Straßenverkehr in der Bewegung zusammendenkt, immer auch um das Stocken dieser Bewegung, das Feststecken, nicht zuletzt als Kumulation, die allen Verkehr zum Stillstand bringt.

 

In der Ansammlung sinnlosen Reichtums zum Beispiel, wie in der letzten Episode, in der Hussein, der Pizzaausträger, in einem Palast landet, darin ein neurotischer Sohn vermögender Eltern. Er lädt, von seiner Freundin gerade allein zu Haus zurückgelassen, Hussein ein, mit ihm die ausgelieferte Pizza zu essen. Hussein erkundet den Palast, während Pourang, der Sohn, dessen Eltern in Amerika sind, telefoniert, mit der Freundin. Hussein rasiert sich mit dem Rasierzeug Pourangs. Hussein bedient sich aus dem Kühlschrank, betrinkt sich. Hussein findet den Swimmingpool des Hauses, lange, endlos lange steht er am Beckenrand, dann springt er hinein. Kiarostami zitiert Renoirs "Boudu", Fisch aus dem Wasser, rettungslos am falschen Ort (aber einen richtigen gibt es nicht), über sieben Jahrzehnte hinweg, Paris, Teheran, es lassen sich noch immer dieselben Geschichten erzählen. Diese geht blutig aus.

 

Zuvor schon ein gescheiterter Pizza-Auftrag, diesmal eine Lieferung in ein Haus, in dem die Jeunesse Doree feiert, davor die Polizei als Soldateska. Hussein darf nicht hinein und er darf, über Stunden, nicht weg. Er sitzt fest. Jafar Panahi sagt danach im Publikumsgespräch: Ich habe die Behörden gefragt, warum der Film nicht im Iran gezeigt werden darf. Man rennt da schnell gegen eine Wand, sagt er. Hussein, in einer ganz ähnlichen Situation, bekommt keine Auskunft, nur den barschen Befehl, Ruhe zu geben, sich nicht vom Ort zu bewegen. Er kommt ins Gespräch mit einem Soldaten, der viel zu jung ist für den Job, dann verteilt er seine Pizza an die Polizisten. Junge Leute, die aus dem Haus kommen, werden abgeführt, ohne Angabe von Gründen. Der Abbruch der Zirkulation, hier, schlicht und ergreifend, mit Polizeistaatsmethoden: Freiheitsberaubung. Jafar Panahi wurde beim letzten Einreiseversuch in die USA elf Stunden lang angekettet in einer Zelle festgehalten, dann hat man ihn nach Hongkong deportiert. Abbas Kiarostami wurde im letzten Herbst die Einreise zum New Yorker Filmfest verweigert. Er ist aus dem Iran, er ist einer der meist gefeierten Regisseure der Welt.

 

Die Rückblendenstruktur, könnte man glauben, ist Erklärungsstruktur. Die Vorgeschichte, die zuletzt wieder in die Anfangsbilder münden wird (wie in Panahis "Der Kreis"), zeigt, wie es zu Husseins Tat gekommen ist. Das jedoch ist keineswegs so einfach. "Crimson Gold" zeigt Szenen, die die Tat plausibel machen, aber nicht notwendig. Vor allem bleibt Hussein, der vom schizophrenen Pizzaboten Hussein gespielt wird, vollkommen erratisch. Er zeigt Verhalten, aber alle Versuche, aus ihm schlau zu werden, prallen an seinem Körperpanzer (ein weicher Panzer, aber ein Panzer) ab. Er leidet, aber er sagt nicht warum und man ahnt nicht, wie sehr. Er wirkt unbeteiligt und ist es nicht – mutmaßt man dann. Er ist die Verkörperung, um es tentativ zu summieren, der Verhinderung von Zirkulation. Noch die Tat ist, als Raub, ganz und gar unsinnig. Er schießt auf den Juwelier, als sich das Gitter schon geschlossen hat. Er sucht die ausweglose Lage. Das Ende in einem Käfig. Diese Geschichte geht blutig aus.

 

Ekkehard Knörer

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in:  Jump Cut

 

 

 

Crimson Gold – Blutrotes Gold

TALAYE SORKH (Orginaltitel),

Iran/Frankreich 2003,

Produktionsfirma: Jafar Panahi Film/Lumen/Mikado,

Länge: 92 Minuten, Erstaufführung: 19.5.2006 arte

Produzent: Jafar Panahi

Regie: Jafar Panahi

Drehbuch: Abbas Kiarostami

Kamera: Hossein Djafarian

Musik: Peyman Yazdanian

Schnitt: Jafar Panahi

Darsteller: Shahram Vaziri als Juwelier, Ehsan Amani als Mann im Teehaus, Hussein Emadeddin als Hussein, Kamyar Sheissi als Ali, Azita Rayeji als die Braut,

 

 

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