zur
startseite
zum
archiv
Country
of my Skull
Tausche Wahrheit
Kitsch: John Boormans Wettbewerbsfilm (Berlinale
2004) "Country Of My Skull" über die südafrikanische Wahrheitskommission
Das Kap. Hier küssen sich Atlantik und Indischer
Ozean. Die Hubschrauberkamera schweift durch fruchtbare Schluchten, blickt zu
majestätischen Bergketten auf und entdeckt ein Dorf mit Rundbauten. Zwischen
diese satt tiefenscharfe Reklamebilder wird Wackelvideo geschnitten: Burenbullen
prügeln unruhig auf junge Schwarze ein. Dann wieder zurück zu 35 mm:
das Land, die Landschaft, die Erde.
Mit Blut und Erde begründet auch die weiße
Dichterin Anna Malan (Juliette Binoche) die Verteidigung ihrer Verbundenheit
mit Südafrika – trotz allem. Sie kommt aus einer Farmer-Familie samt Patriarchen
und berichtet sympathisierend über die Wahrheitskommission. Dort trifft
sie auf den US-Journalisten Langston Whitfield (Samuel L. Jackson), der ausspricht,
was gesunder Menschenverstand zunächst gegen das Konzept dieser Kommission
vorbringen würde: Müssen die weißen Täter jetzt nur sagen,
dass es ihnen Leid tut, und sie werden amnestiert? Nein, ganz so einfach ist
es nicht und wenigstens zu Beginn, bevor die beiden sich ineinander verlieben,
wendet John Boorman ein paar Minuten für die Idee dieses Komitees auf:
die Wahrheit im Tausch gegen Amnestie. Mit diesem Konzept soll die Vergangenheit
durch gesicherte Fakten abgeschlossen werden und die Versöhnung beginnen.
Jede vor dem Komitee vorgetragene Geschichte ist,
trotz der Zurichtung auf erschütternde Pointen, einen eigenen Film wert.
Aber hier stehen Vergangenheitsbewältigung und Familiendrama einer weißen
Dichterin im Mittelpunkt. Die Aussagen der Apartheid-Opfer dienen nur als emotionales
Geflacker, das der Liebesgeschichte zwischen dem Afro-Amerikaner und der Euro-Afrikanerin
Intensität zufächelt. Die Hoffnung aller Figuren in dieser, vom einst
großen, heute nur noch routinierten Boorman oft knapp an Rosamunde Pilcher
vorbeiinszenierten Produktion ist die viel beschworene "Wahrheit",
die sogar Ehen retten soll. Dass man sie der Kommission zutraut, mag hingehen.
Die US-Presse und erst recht dieses tote Spielfilm-Genre haben so gar nichts
damit am Hut. So kehrt der für hier die Verbreitung der Wahrheit in der
Welt zuständige Journalist am Weihnachtsabend(!) zu seiner Familie(!) zurück
und bringt, im afrokitschigsten Moment der Filmgeschichte, seinem Sohn(!) bei,
wie der authentische Südafrikaner patrilinear seine Ahnen anruft.
Diedrich Diederichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der taz
Country
of my Skull
UK,
104 min
Regie:
John Boorman
Drehbuch:
Antjie Krog, Ann Peacock
Darsteller:
Samuel L. Jackson (Langston Whitfield), Juliette Binoche (Anna Malan), Brendan
Gleeson (De Jager), Menzi Ngubane (Dumi Mkhalipi), Sam Ngakane (Anderson), Aletta
Bezuidenhout (Elsa), Lionel Newton (Edward Morgan), Langley Kirkwood (Boetie),
Owen Sejake (Reverend Mzondo), Harriet Lenabe (Albertina Sobandia), Louis Van
Niekerk (Willem Malan), Jeremiah Ndlovu, Fiona Ramsey (Felicia Rheinhardt),
Dan Robbertse (De Smidt), Robert Hobbs (Van Deventer)
Premiere:
07. Februar 2004 (Berlinale, Deutschland)
zur
startseite
zum
archiv