zur
startseite
zum
archiv
The
Corporation
Das
Eigeninteresse ist Maß aller Dinge
Die
Dokumentation "The Corporation" attestiert den Großkonzernen
eine schwere Persönlichkeitsstörung
Nicht
erst seit dem Enron-Skandal oder Shells Aktivitäten in Nigeria ist bekannt,
dass Großkonzerne sich wie die Axt im Walde benehmen. Die Geschichte von
corporate
crimes
reicht weit über die Anfänge des Industriezeitalters hinaus. Im Jahr
1720 verabschiedete das britische Parlament ein Gesetz, das die Gründung
einer Corporation, der juristischen Form einer Kapitalgesellschaft, unter Strafe
stellte. Hintergrund dieser Entscheidung war der Zusammenbruch der Handelsgesellschaft
South Sea Company – als Folge der Verfilzung von Business und Politik. Das Gericht
verurteilte die Direktoren der Company zu hohen Gefängnisstrafen. Der Vorschlag
eines Parlamentariers, die Schuldigen zusammen mit Schlangen und Geldnoten in
Säcke zu stecken und im Meer zu versenken, fand keine Mehrheit.
Knapp
300 Jahre später sind Corporations, seit einer Gesetzesnovelle von 1868
in Amerika in den rechtlichen Status einer Person erhoben, einflussreicher denn
je. Diese bizarre Rechtskonstruktion liefert die Hypothese für Mark Achbars
und Jennifer Abbotts exzellente Dokumentation "The Corporation". Wenn
man eine Corporation an sozialen Verhaltensnormen messen würde, was für
ein Mensch wäre sie dann? Achbar, Abbott und ihr Co-Autor Joel Bakan haben
ihre Antwort im "Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders"
gefunden. Als soziales Wesen trägt eine Corporation eindeutig psychopathische
Züge: Eigene Interessen sind das Maß aller Dinge, sie handelt verantwortungslos,
ist manipulativ und unfähig, Empathie zu entwickeln. "Das pathologische
Streben nach Profit und Macht" lautet der Untertitel von Bakans Buch, auf
dem "The Corporation" basiert. Ein Slogan, der sich gut macht im Raunen
der Globalisierungskritik. Mit Allgemeinplätzen haben Achbar und Abbott
sich jedoch nicht begnügt. "The Corporation" entwickelt über
zweieinhalb Stunden das komplexe Profil einer dominanten "Corporate Culture",
in der die Grenzen zwischen öffentlicher und privater Sphäre verschwimmen.
Die
Monumentalität dieses Unterfangens spiegelt sich im Aufgebot an Beteiligten,
die in "The Corporation" zu Wort kommen – insgesamt über 40 Personen.
Es sind jedoch nicht die üblichen Verdächtigen, die wirklich Erhellendes
von sich geben, sondern vor allem die Vertreter der Gegenseite, die aus dem
Nähkästchen plaudern: CEOs, Börsenmakler, Wirtschaftswissenschaftler,
Industriespione, Marktforscher. Weder Noam Chomsky noch Naomi Klein können
die Dynamik des Marktes so präzise fassen wie zum Beispiel ein eiskalter
Ideologe vom Schlage Milton Friedmans. Friedman sagt, dass Corporations gut
für die Gesellschaft sind. Allerdings gehöre es nicht zu ihren Aufgaben,
Gutes für die Gesellschaft zu tun. Carlton Brown, Börsenhändler
an der Wall Street, glaubt, dass "in jeder Katastrophe immer auch eine
Chance liegt". Am 11. September 2001 hatten seine Klienten innerhalb von
wenigen Minuten Millionen von Dollar in Gold verdient.
Die
lakonische Distanziertheit, die "The Corporation" mit seinem betont
ruhigen und elliptisch konstruierten Bilderfluss entwickelt, kontrapunktiert
formal sehr effektvoll das Skandalon enthemmten Gewinnstrebens. Die Macher haben
sich auf keine Experimente eingelassen, und die Montage von Talking Heads und
Archivmaterial entfaltet einen hypnotischen Groove. Als politische Analyse hingegen
greift Achbars und Abbotts Ansatz etwas zu kurz. Die Soziopathie einer Corporation
erklärt sich nicht bloß über das Prinzip der Gewinnmaximierung.
Sie ist immer auch Ausdruck der politischen Verhältnisse, die die Institution
"Corporation" überhaupt ermöglichen. Wer glaubt, dass Konzerne
sich das politische Klima, das ihren Interessen dienlich ist, selbst schaffen,
überschätzt ihre Machtposition. Es ist komplizierter.
Jede
Regierung, das hat sie mit einer Corporation gemein, ist an der "Externalisierung"
von Kosten interessiert. Die Privatisierung staatsbürgerlicher Grundrechte
wie Bildung, Transport oder medizinische Versorgung schafft ein neues Verhältnis
von Staat, Gesellschaft und Markt. In einem solchen Klima muss man den in "The
Corporation" ernsthaft zur Sprache gebrachten Vorschlag, jeden Quadratzentimeter
Land zum Schutze der Umwelt zu privatisieren, tatsächlich als neoliberale
Form von Altruismus verstehen.
Der
Rückzug des Staates aus grundlegenden gesellschaftlichen Einrichtungen
ist in jeder Hinsicht gruselig. Achbar und Abbott zeigen in "The Corporation",
wie der Vizepräsident des Pharmakonzerns Pfizer wildfremde Menschen auf
der Straße belästigt, um sein soziales Engagement zu demonstrieren.
Pfizer hat Millionen von Dollar investiert, um die Nachbarschaft um die Konzernzentrale
herum "sicherer" zu gestalten. Mit dieser Sicherheit ist es allerdings
nicht weit her; der Wachmann schläft. Erst im Scheitern bekommt die Corporation
menschliche Züge.
Andreas
Busche
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der: taz
The
Corporation
Regie:
Mark Achbar, Jennifer Abbott. Dokumentarfilm, Kanada 2003, 143 Min.
zur
startseite
zum
archiv