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Conamara
Kolossale
Kulissen
Es
gibt Orte auf dieser Welt, die wären gar nicht so unpassabel, hätte
sie die Geschichte nur von ihren merkwürdigen Einwohnern und von den noch
merkwürdigeren Besuchern verschont, die in sie einzufallen pflegen. Sagen
wir Florenz, Wien sowieso, Madras oder Günzach, aber Günzach werden
Sie glücklicherweise nicht kennen. Nun reiht ausgerechnet ein Film von
Eoin Moore einen Landstrich westlich von Galway, den das Presseheft »wild
und atemberaubend schön« nennt, in diese Kategorie ein.
Wenn
dieser Ort seine Magie hat, dann zeigt »Conamara« gleich auf drei
Arten, wie man sie fachgerecht kaputtmacht: 1. Durch pure Überbetonung.
Es reicht ja nicht die Presseheft-Poesie und eine Kamera, die sich nicht mit
bloßem Schwelgen mit entsprechender Musikuntermalung zufriedengibt, sondern
sich auch noch die Sonne vom Himmel linst, wenn’s der Stimmung dient. Nein,
die Protagonisten müssen auch noch immer wieder davon sprechen wie schön
es in Conamara ist. 2. Durch die lange gepflegte Untugend des deutschen Films,
sich kolossale Kulissen – nein, seien wir genauso unbarmherzig wie das Presseheft:
»ideale Projektionsflächen für Aussteigerträume«
– zu suchen, um darin höchst verquaste Beziehungsprobleme zu entfalten,
die kein Schwein interessieren. Und die werden hier, als ob das nicht reichte,
am Ende noch in eine heillose Soap-Opera-Dramaturgie gegossen. Daß ein
Kind beinahe draufgehen muß, damit die heilige Familie am Ende wieder
vereint ist, und der übliche grumpy old man eine Chance zur Bewährung
findet, so etwas sollte ein anständiger Drehbuchautor nun wirklich den
Serienschreibern überlassen. Und 3. spiegeln sich filmischer und ideologischer
Eingriff aufs genaueste. Der Aussteiger ist in Wahrheit nämlich fast immer
ein Einsteiger, und unser Aussteiger steigt, auch nicht gerade neu, logischerweise
ins Touristengeschäft ein. Ob daran etwas Schlechtes ist, mag ein ethnologisches
Seminar klären, als Filmthema steht es seit geraumer Zeit entschieden unter
Ideologie-Verdacht. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Drehbuch und Regie
das beabsichtigt haben, aber wer weiß – am Ende jedenfalls wird uns ganz
genau vorgeführt, welche Perspektive wir Zuschauer in diesem Film eigentlich
die ganze Zeit schon eingenommen haben: die von Touristen in einer Landschaft
von »schroffer und karger Schönheit«, die unguter Weise Zeuge
eines Familien- und Ehebruchdramas werden, das uns nicht nur die schöne
Aussicht sondern auch das anvisierte Saufgelage mit Musik ruiniert.
Einem
Berliner ist zuhause die Ehefrau untreu gewesen, weshalb er Familie, Job und
sonstiges außer seinem Tenorhorn hinter sich läßt und nach
Irland reist, wo er die Adresse einer holländischen Kurzzeitgeliebten hat.
Dort ist es, wie wir mittlerweile wissen, sehr wild und schön. Die Holländerin
arbeitet als Postbotin, und alle Menschen sind sehr nett zu ihr und zueinander.
Der Ankömmling bringt sie in Verlegenheit, weil sie jetzt einen Mann und
ein Kind hat. Statt nun einfach weiterzuziehen, nistet sich der Berliner Aussteiger,
das tun sie gerne, im Dorf ein, begeistert ihren Mann für die Gründung
eines Tourismus-Unternehmens, in dem Reisende mit einem Amphibienfahrzeug von
einem Pub zum andern gefahren werden, und begeht anderseits mit ihr Ehebruch.
Das geht so gründlich schief, daß zuerst die Menschen gar nicht mehr
nett zur holländischen Postbotin sind und dann das Kind beinahe ertrinkt
und der Berliner das wilde und schöne Land wieder verläßt und
die irisch-holländische Familie in nun wahrscheinlich noch bescheidenerem
Glück zusammenrückt. Nein sicher, so simpel auf die family values
ist das nicht gestrickt, es bleibt schon etwas rätselhaft, warum eine Beziehung
hält und die andere nicht, und wie das so ist mit der Enge und dem Ausbruch.
Aber die Brücke über den Abgründen solcher Geschichten ist verdammt
schmal; auf der einen Seite Moral und Ideologie, auf der anderen die semiotische
Leere der Privatheit. Wir plumpsen in diesem Film sozusagen von einer Seite
auf die andere. Die Geschichte geht mich eigentlich gar nichts an und ist andrerseits
reaktionär. Tolle Mischung!
Dummerweise
wird »Conamara« dadurch nicht besser, daß er eigentlich kein
schlechter Film ist. Eoin Moore versteht wirklich was von Schauspielerführung,
und seine Hauptdarsteller Ellen ten Damme, Darragh Kelly und Andreas Schmidt
sind so nahe bei sich selbst in ihren Rollen, daß man ihnen ohne weiteres
glaubt, es passiert etwas mit ihnen, jetzt. Die Arbeitsweise des Regisseurs
gibt ihnen Raum auch zur eigenen Mitgestaltung, und der Film interpretiert sie
nicht zu Tode. Es gibt auch richtig schöne oder wenigstens witzige Szenen,
einschließlich der glutäugigen Darstellung einer irischen Milchkuh,
die sich merkwürdigerweise von berlinischem Tenorhornspiel antörnen
läßt (für mich übrigens die glaubwürdigste Liebesgeschichte
in »Conamara«). Und Nebenrollen, die eigentlich viel interessanter
sind als die Hauptgeschichte, gibt es auch, so daß man sich auch nicht
wirklich langweilt. Das Konzept des Filmes wäre vielleicht dann aufgegangen,
wenn weniger Story, weniger Drama, wenn mehr Gegenwärtigkeit in »Conamara«
zu sehen wären. Zum Teufel mit dem Drehbuch, in dem alles aufgehen muß!
Zum Teufel mit der Prime-Time-Tauglichkeit! Zum Teufel mit der Dramaturgie,
wenn sie zum Feind des Filmes wird!
Nach
Conamara fahr’ ich so schnell nicht, das steht mal fest.
Note:
3+
Georg
Seeßlen
CONAMARA
von
Eoin Moore,
D/Irland
2000, 105 Min. mit Ellen Ten Damme, Darragh Kelly, Andreas Schmidt, Mártín
Jamsie, Katie Níc Dhonnacha, Garrett Keogh,
Drama
Start:
14.09.2000
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