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Cold
Creek Manor – Das Haus am Fluss
Das Haus ist ein bevorzugtes Motiv des Horrorfilms: als
Umkehrung seiner schützenden Funktion wird es zur Falle, es treibt, wie
in Polanskis Ekel oder Kubricks Shining die Bewohner in den Wahnsinn, ist von Geistern besessen,
wie erst kürzlich das Haus in Amenàbars The Others oder dient zumindest als Furcht einflößende
Kulisse wie das Haus in Hitchcocks Psycho. Die Behausung ist dabei fast immer Schnittstelle: der
Punkt, an dem sich Diesseits und Jenseits schneiden, in dem die Bewohner sich
verschanzen und den die Zombies erobern möchten, der Punkt, an dem das
traute Heim ins un-heim-liche umschlägt. Allein die Inszenierung des Hauses
in Mike Figgis’ neuem Film Cold Creek Manor zeigt, dass man es auch hier mit einem nicht ganz gewöhnlichen
Domizil zu tun haben wird: Weitwinkelaufnahmen verzerren die Innenräume
zu grotesken Puppenstuben, die neuen Bewohner werden aus Vogel- oder Froschperspektive
gefilmt, und das Äußere des Hauses scheint direkt aus der düsteren
Vergangenheit der Filmgeschichte zu stammen. Dieses Haus, so wird dem Zuschauer
sehr schnell klar, wird alles andere sein als der erhoffte Fluchtpunkt für
Cooper Tilson (Dennis Quaid), seine Frau Leah (Sharon Stone) und ihre beiden
Kinder.
Familie Tilson zieht aufs Land, weil es in New York laut,
dreckig und vor allem gefährlich ist. Der Sohn der Familie fällt beinahe
einem Autounfall zum Opfer, und wer keine Horrorfilme kennt, dem mag es scheinen,
als sei ein Haus am Fluss die ideale Alternative zur Großstadt – doch
der Empfang auf dem Land ist frostig: Wie die Jugendlichen in Michael Bays gerade
gelaufenem Remake des Texas Chainsaw Massacre werden auch Cooper und seine Familie mit glasigen Augen
angestarrt, als sie den Einheimischen an der Tankstelle verraten, welches Grundstück
ihr Ziel ist. Und wie im Kettensägenmassaker das Haus in unmittelbarer
Nähe zu einem Schlachtbetrieb liegt, so hängen in Cold Creek Manor Schlachthämmer als Schmuck an der Wand und weisen
wenig dezent auf jenen Schnittpunkt hin, der das Haus in diesem Film zum Unort
werden läßt – seine Vergangenheit. Cold Creek Manor ist kein Horrorfilm, auch wenn das Haus so in Szene
gesetzt wird, vielmehr versucht sich Figgis an einem gradlinigen Thriller. Die
Bedrohung des Hauses ist keine übernatürliche, sondern eine sehr reale,
die sich auch schnell in einem sehr realen Antagonisten manifestiert, der die
Familie als perfekte Kopie Robert de Niros in Cape Fear terrorisiert. Leider ist Figgis nicht Scorsese, und
wo Cape Fear eine intensive, brutale Aktualisierung des Cowboy-Zweikampfes
war, so bleibt Cold Creek Manor auf halbem Wege stecken. Weder birgt das Drehbuch sonderlich
große Überraschungen, noch übertritt Figgis je die Grenzen des
Thrillergenres. Sein Haus ist als perfekter Albtraum inszeniert, doch die Geschichte,
die sich um das Haus und seine Vergangenheit entwickelt, birgt logische Lücken,
die man gern vermieden gesehen hätte.
Sicher bleibt Cold Creek Manor zwar ein im Vergleich zur gewohnten Fließbandware
überdurchschnittlicher Thriller, aber die hohen Erwartungen an Figgis,
die sein großartiger Timecode 2000 aufgebaut hatte, der hier zu Lande leider nur in einigen
wenigen Kinos zu sehen war, erfüllt er nicht. Keine Experimente zu machen,
scheint er sich vorgenommen zu haben, und so wandelt der Regisseur auf den Pfaden,
die schon unzählige andere vor ihm gegangen sind, bis hin zum Ende, das
er, wie vieles andere in Cold Creek Manor, bei Scorsese entliehen hat.
Häuser wie jenes, von dem Figgis erzählt, können
nur befreit werden, indem das Pendel ausschlägt in eine der beiden Richtungen:
Der Schnittpunkt kann am Ende keiner mehr sein, entweder die Geister werden
vertrieben, oder die Zombies erobern das Haus. Es geht nicht um das Erreichen
eines Gleichgewichtes, sondern um einen in der Eskalation endenden Exorzismus.
Die Vergangenheit von Cold Creek Manor muss ans Licht gebracht werden, um es
bewohnbar zu machen, die Archive müssen samt ihrer Geheimnisse gelüftet werden. Diese Aufarbeitung des Vergangenen,
das Zusammentragen von Fakten zu einer Narration ist ein genuin filmisches Verfahren.
Auch der Film gräbt in der Vergangenheit, er versucht, vergessene Geschichten
zu erzählen, um die Gegenwart bewohnbarer zu machen. Film ist ein Medium
der Erinnerung und der Aufzeichnung. Und so ist es wohl kein Zufall, dass Dennis
Quaids Rolle in Cold Creek Manor ausgerechnet ein Regisseur ist, und dass seine Grabungen
in der Vergangenheit des unheimlichen Hauses in Form eines Dokumentarfilmes,
den er plant, erfolgen. Vielleicht hätte uns Figgis besser den Film gezeigt,
den sein Held im Film produziert – dieses Zeigen eines fiktiven Dokumentarfilms
war das Rezept, mit dem das Blair Witch Project
zum Erfolg geführt wurde. Würde man ein wenig mehr der Bilder von
Figgis’ Helden sehen, man verlöre vielleicht die Distanz, die der Regisseur
als Beobachter nie abschütteln kann, man versänke vielleicht ein wenig
mehr in den Schreckensmomenten der Entdeckung, als immer nur ein Außenstehender
zu bleiben, der einem vorhersehbaren Plot dabei zusieht, auf reichlich langatmige
Weise erzählt zu werden.
Benjamin
Happel
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
Cold
Creek Manor – Das Haus am Fluss
USA
/ Kanada 2003 – Originaltitel: Cold Creek Manor – Regie: Mike Figgis – Darsteller:
Dennis Quaid, Sharon Stone, Stephen Dorff, Juliette Lewis, Kristen Stewart,
Ryan Wilson, Dana Eskelson, Christopher Plummer – FSK: ab 16 – Länge: 119
min. – Start: 12.2.2004
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