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Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert

 

 

Handwerk ist der Begriff, mit dem man dem klassischen italienischen Genrekino am ehesten begegnen kann. Keine künstlerischen Vignetten finden sich hier aufgesetzt, kein Versuch, das Kintopp durch Kunstkolorit auch dem Bildungsbürger zu veradeln. Handwerk, ja, aber in den besten Fällen (es gibt, weiß Gott, hinreichend andere) gediegenes, zumindest aber sattelfestes. Und natürlich ist Damiano Damiani einer, der sich auf sein Handwerk versteht. Später, um ’84, würde er mit Allein gegen die Mafia eine ganze, noch von öffentlich-rechtlicher Hand gesamtversorgte Fernsehöffentlichkeit vor den Bildschirm bannen; hier nun, noch 1971, legt er eine Art erste Studie für die spätere Fernseharbeit vor. Sie ist atemberaubend geraten.

 

Ein junger, vom Glauben an den Rechtsstaat und an die Vernunft der regulierenden Hand des Gesetzgebers durchseelter Staatsanwalt, gespielt vom noch kantigen Franco Nero, findet sich in den Ermittlungen nach einem gescheiterten Anschlag auf einen durchtriebenen und seinerseits mit Vorliebe außerhalb der Legalität operierenden Immobilienhai zusehends in einem Dilemma wieder; es weist sich auch ihm, was der Zuschauer qua Perspektive des Films von Anfang an schon weiß: Dass der Mord von einem Kommissar – mit unglaublicher Ruhe und viel Charme vom US-Amerikaner Martin Balsam gespielt – lanciert war, allein die Motivation steht noch zu ergründen. Diese vermittelt sich im ersten dramaturgischen Höhepunkt des Films, auf einer Anhöhe in der italienischen Provinz, wo der Blick weit ins Land und tief in die Mentalität der Mittelmeergesellschaft reicht. Dort formulieren sich, im Streit, zwei Prinzipien und beziehen gegeneinander Stellung: Der Kommissar ist, verwunderlich genug, der Moral nach Sympathisant der Kommunisten und geiselt in Gesetz gegossenes Unrecht, während es dem Staatsanwalt, der das an sich Gute im Vorhaben des Kommissars wohl erkennt, zuallererst um Aufrechterhaltung von Ordnung und juristischem Prinzip zu tun ist. Eine Ansicht, die freilich ins Wanken gerät, als sich das Ausmaß des Skandals ergibt, der, wie so oft in diesen Tagen im politisch erzürnten Film aus Italien, bis in die obersten Etagen der Gesellschaft reicht, alldieweil der Kommissar sich zusehends zum Äußersten bereit zeigt …

 

Sehr zum Gelingen des Films ist Damiano Damiani ein Regisseur einer ruhigen, souveränen Hand. Er weiß wohl, wie die Ebenen der filmischen Formmittel zu nutzen sind, alleine er setzt sie dem jeweiligen Effekt untergeordnet und ohne Heischen ein. Seine Eleganz ist keine der Grandezza, der hohen Kunst; Damiani zaubert eher auf Augenhöhe mit dem Zuschauer. Der Tonfall eines Verhörs etwa wird rückblickend ein anderer, nachdem erst eine abschließende Kamerafahrt kenntlich macht, dass das Verhör unter einem weiteren, kritischen Augenpaar stattfand. Nur ein kleines Beispiel dafür, wie Damiani immer weiß, wie er seine Kamera am besten zum Geschehen ins Verhältnis setzt ohne dabei in Angeberei oder Uninspiriertheit zu verfallen. Weiterhin auch keine Spur vom dramaturgischen Leerlauf, in dem sich auch das kernige italienische Genrekino zuweilen wiederfindet; ganz im Gegenteil, der Film bewegt sich mit anderen, so wundervollen wie vielgelobten Beiträgen wie dem ein Jahr später entstandenen Milano Calibro 9 (Fernando di Leo), Der Berserker (Umberto Lenzi, 1974), Massimo Dallamanos Der Tod trägt schwarzes Leder (ebenfalls ’74) oder dem ein Jahr zuvor unter der Regie von Sergio Sollima entstandenen Brutale Stadt mindestens gleichauf und also nicht in allerschlechtester Nachbarschaft – allesamt sind sie Vertreter eines hartgesottenen Handwerkerkinos auf hohem Niveau, das es, auch wenn das altmodisch klingt, heute in dieser Form einfach nicht mehr gibt. Umso erfreulicher, dass das Medium DVD eine neue Generation von Filmfreunden dazu einlädt, solche Preziosen eines einst immerhin den Ton angebenden Entwurfs von Unterhaltungskino in adäquater Editionsqualität erneut zu entdecken.

 

Und Damiani weiß, wie er seiner Geschichte, die weniger Krimi – schon bald weiß der Zuschauer, wie der Hase läuft und es ergeben sich auch keine Wendungen mehr – als moralisches Drama ist, Damiani also weiß, wie er diese Geschichte – nach einem Furiosum von Beginn, gefolgt von einem Waten im Trüben – schließlich doch auf höchst elegante Weise zum Fingernagelknabberer steigern kann. Über eine Anordnung nämlich, in der unterschiedliche Auffassungen des Guten sich gezwungen sehen, einander zu bekriegen, alldieweil der eigentliche Bösewicht, der mit dem Leben davon gekommene Immobilienhai, im gesellschaftlichen Filz fröhliche Urständ’ feiert.

 

Stets hilfreich zur Seite steht Damiani dabei Riz Ortolani, unter den zahlreichen Komponisten für Filmmusik des italienischen Genrekinos eher kunstfertiger Macher, denn machender Künstler wie beispielsweise Morricone. Wo Morricone sich vor das Bild schiebt, schmiegt sich Ortolani diesem an, grundiert es und geht dramaturgische Symbiosen mit ihm ein; wechselseitig ergibt sich hier eine gelingende Ganzheit, die vor allem in jener Szene auf dem provinziellen Plateau, die bei aller Unversöhnlichkeit ihres Tonfalls noch eine Spur allzu menschlichen Humors kredenzt, ihre besten Ergebnisse zeitigt.

 

Damianis Film schließt offen, ambivalent, gleichsam düster und mit einem Fragezeichen. Dem Zuschauer sind eigene Schlüsse überlassen. Unverhohlen liegt darin Zorn über die Umstände, eine gewisse Grimmigkeit; darin ähnelt Der Clan… durchaus Töte Amigo, Damianis wohl berühmtestem Beitrag zum Italowestern aus dem Jahr 1966. Doch schwingt sich Der Clan… nicht, wie andere italienische Filme dieser Zeit, zur vor Pathos triefenden Männerfantasie auf; im Gegenteil, Der Clan… bleibt, bei Wahrung aller Implikationen, erstaunlich kühl, in seiner Beobachtungsgeste fast schon analytisch. Die Konfigurationen werden ausgezirkelt, konsequent vor den Augen des Zuschauers, der immer Souverän bleibt (bis eben kurz vor den Moment des eigentlichen Schlusses, der eines Standbilds wegen ausgespart bleibt), abgespult. Ein Film auf der Höhe seiner Zeit, die – ich komme immer wieder drauf – eine der großen filmischen Taten, die sich im Kleinen vollzogen haben, gewesen ist.

 

Eine qualitativ zwar nicht herausragende, aber rundum annehmbare (und ungeschnittene!) DVD ist bei Koch Media erschienen; Berliner Mitlesende können den Film in der Friedrichshainer Videothek Filmkunst ausleihen, bislang nur als VHS steht der Film auch in der Amerika Gedenkbibliothek bereit (Recherchiermöglichkeit). Und wer irgendwie Zugriff auf die FAZ vom 02.05.2006 hat: Dort schreibt Dominik Graf in grenzenloser Leidenschaft für und über diesen Film, den Text sollte man im Anschluss zur Sichtung lesen, dann steckt die Euphorie noch erst so richtig an.

 

Thomas Groh

 

Dieser Text ist zuerst erschienen im:  filmtagebuch.blogger

 

 

 

Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert

CONFESSIONE DI UN COMMISSARIO DI POLIZIA AL PROCURATORE DELLA REPUBBLICA

Das Geständnis eines Polizeikommissars vor dem Staatsanwalt der Republik (DDR-Titel)

Italien – 1971 – 107 min. – Scope – Verleih: MGM – Erstaufführung: 30.6.1972 Kino DDR/6.10.1972 Kino BRD/4.10.1974 DFF 1/7.3.1975

Produktion: Bruno Turchetto, Mario Montanari

Regie: Damiano Damiani

Buch: Damiano Damiani, Salvatore Laurani

Kamera: Claudio Ragona

Musik: Riz Ortolani

Schnitt: Antonio Siciliano

Darsteller:

Franco Nero (Staatsanwalt Traini)

Martin Balsam (Polizeikomissar Bonavia)

Marilù Tolo (Serena LiPuma)

Claudio Gora (Generalstaatsanwalt)

Luciano Lorcas (Lommunno)

Giancarlo Prete (Rizzo)

Arturo Dominici (Canestraro)

 

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