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City of God
Nehmen
wir das Huhn. Es rennt. Um sein Leben. Und wie es flitzt. Um die Ecke pfeift.
Davonschießt. Es rast dahin. Pfeilschnell. Wow! Und um die nächste
Ecke. Jetzt zischt es fliegend, taumelnd, halb in der Luft, halb auf dem Boden,
die Treppen runter. Flatternd gerät es vor ein Auto, darunter, zur Seite
wieder weg. Das war das Huhn. Applaus.
So
ist der Film. Das Huhn interessiert hier keinen, nur was man damit machen kann.
Tempo nämlich. Dem Huhn hinterher, die Kamera rast und blickt, kein Problem,
auch mal den Blick des Huhns, panisch auf der Flucht. Zehn Einstellungen (oder
mehr oder weniger, wer Lust hat, kann nachzählen) schenkt der Film dem
Huhn, später sehen wir’s nochmal in Aktion, mit noch mehr Tempo, da wird’s
gebraucht, um die Erzählung elegant zurückzuschlingen an den Anfang,
der eine Vorblende ist aufs Ende, das war’s dann mit dem Huhn. An seine Stelle
tritt Buscapé, der Erzähler. Allwissend, aber er spricht als ich.
Er hat die Fäden in der Hand, nicht als die Figur, die auftritt, sondern
als die Figur, die spricht (mit der deutschen Stimme von Xavier Naidoo). Gesten
der Allwissenheit, mehrmals. Die Geschichte anhalten, freeze frame, und ganz
souverän darauf verweisen, dass der oder jener, dieses Schicksal und jenes
erst später drankommen. Erzählen aus des Großvaters Lehnstuhl,
aber mit ganz viel Speed.
Dass
das nicht zusammenpassen könnte, die Frenetik der Bilder (der Bilder über
Bilder über Bilder) und die Behäbigkeit des Souveräns, der spricht,
das kommt dem Film nicht in den Sinn, keine Sekunde lang. Doppelt virtuos ist
"City of God", im – stets souveränen – Erzählen und im –
vermeintlich fragmentierenden – Herausschleudern von Bildern; der eine Effekt
aber hebt den anderen auf. Der Film beschleunigt und bremst, aber beides immer
zugleich, das erzeugt viel Energie, nur kommt nichts in Bewegung. Unfreiwillig
bringt er mit dem Ehrgeiz des Fotografen Busquapé sich selbst auf den
Punkt: Was zählt, ist das Bild. Kontextlos, Hauptsache, es macht Eindruck.
Die Kontexte, die er nicht bietet, substituiert der Film durch die Vervielfachung
der Figuren, der Geschichten. Die werden dann zusammengeknüpft. Man erfährt
so aber nichts, es wird so nur ein Text daraus, der keinen anderen Referenten
hat als das eigene Können und das eine oder filmhistorische Vorbild.
Kein
Problem, wenn es gut geht, für zur Stilisierung entschlossene Epen, wie
sie Scorsese einst gedreht hat, und keins für Tarantinos Pulp-Machée.
Hier aber gibt einer vor, von der bitteren, brutalen und hoffnungslosen Realität
der "City of God" von Rio de Janeiro zu erzählen. Statt es zu
tun, behauptet er’s: die Darsteller sind Laien, gedreht ist an Ort und Stelle,
im Abspann sehen wir – mutmaßlich – die tatsächlichen Fernsehaufnahmen
eines der Bandenhelden, von denen der Film erzählt. Wortwörtlich sagt
er, was der Held des Films zuvor gesagt hat. Seht her: ecce Wirklichkeit, Wort
für Wort und eins zu eins. Kompletter bullshit. Ganz und gar betäubt
ist "City of God" von der Macht der Erzählung, die Bild für
Bild ins Mythische zurückfällt. Es bleiben nur die alten Geschichten:
der Junge, der klug ist und raus will: ein Aufstieg. Der Junge, dessen Vater
ums Leben gekommen ist: eine Rache. Der alte Platzhirsch und der neue: ein Bandenkrieg.
Der viel zu gute Gangster: ein Abschied. Und weil es so viele Geschichten sind,
verharren sie im Generischen. Es ist keine Zeit für ein einziges Bild,
eine einzige Regung, eine einzige Figur ab vom Schuss.
Ich
habe in 135 viel zu langen Minuten nichts, wirklich nichts, über die "City
of God" erfahren. Was ich sehe, ist x-beliebig. Werbefilmerei. Die Kamera
plappert unaufhörlich und beschwatzt mich mit Bildern, die Kopien sind
von Kopien. Man sieht nur: Wer von der Wirklichkeit berichten möchte, muss
erst mal das Erzählen verlernen. Das nämlich erzählt nur von
sich. Nicht mal ein Huhn ist ein Huhn. Nur eine gute Gelegenheit, Tempo zu machen.
Ekkehard
Knörer
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
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diesem Film gibt’s im archiv
mehrere Kritiken
City of God
(Cidade de Deus)
Brasilien
(Frankreich, USA) 2002, 128 Minuten
Regie:
Fernando Meirelles, Kátia Lund
Drehbuch:
Bráulio Mantovani, nach dem Roman von Paulo Lins
Musik: Antonio Pinto, Ed Cortes
Director of Photography: Cesar Charlone
Schnitt:
Daniel Rezende
Produktionsdesign:
Tulé Peake
Hauptdarsteller:
Alexandre Rodrigues (Buscapé), Luis Otávio (Buscapé als
Kind), Leandro Firmino da Hora (Zé Pequeno, genannt Locke), Douglas Silva
(Dadinho, genannt Löckchen), Phelipe Haagensen (Bené), Matheus Nachtergaele
(Sandro Cenoura, genannt Karotte), Seu Jorge (Mane Galinha), Jonathan Haagensen
(Cabeleira), Renato de Souza (Marreco), Jefechander Suplino (Alicate), Roberta
Rodriguez Silvia (Bérénice), Daniel Zettel (Thiago), Alice Braga
(Angélica), Edson Montenegro (Buscapés Vater)
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