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City Of God
Wo
ist Gott?
Wo
ist die Stadt Gottes?
Wo
herrscht Gott über die Menschen und lässt es nicht zu, dass seine
Gesetze missachtet werden?
Wo?
Solche
Fragen stellen sich entweder gar nicht oder in aller Deutlichkeit und Vehemenz,
wenn Fernando Meirelles und Cesar Charlone, der „City of God“ fotografierte,
in den Favelas, den Armutsvierteln in Rio de Janeiro ihre Geschichte erzählen
– die Geschichte derer, die dort leben, aus der Sicht derer, die dort leben,
mit den – hier endlich einmal, wie selten genug, angemessenen – filmtechnischen
Möglichkeiten der Handkamera, der schnellen Bilderfolge, der Rückblende
und anderer Dinge, die Meirelles aus seiner Zeit als Werbefilmer sicherlich
gut kennt. Slums stehen da in Rio, Slums nicht im klassischen Sinn. Eher „saubere“
Slums, Häuschen, deren braunrötliche Färbung sich in den Himmel
bei Sonnenuntergang einpassen. Aber das hat nichts Romantisches, nichts, was
Freude macht oder Lust oder gar Wärme ausstrahlt.
• I N H A L T •
Wie
alles beginnt auch der Bandenkrieg in diesen Vierteln in den 60er Jahren fast
schon harmlos. Zé Pequeno (Leandro Firmino da Hora), genannt Locke, war
auch einmal klein. Löckchen nennen ihn zu dieser Zeit alle (Douglas Silva),
und Löckchen ist begeistert von den „White Angels“, einer Gang, die kleine
Überfälle durchführt unter Führung von Cabeleira (Jonathan
Haagensen). Auch Bené (Phelipe Haagensen) bewundert den Mut der Gang.
Löckchen allerdings wächst über sich hinaus. Löckchen lernt
schon als Junge die Lust am Töten. Bei einem Überfall auf die Freier
eines Bordells tötet er einige von ihnen. Und seitdem kann er mit dem Töten
nicht mehr aufhören und will es auch gar nicht.
Meirelles
erzählt diese Geschichte von Löckchen, der zu Locke wird, zu dem alles
beherrschenden Anführer einer mit Drogen handelnden Gang in der City of
God, fasst in Bilder, was Paulo Lins in seinem 700 Seiten starken Roman erzählt,
mit Hunderten von Personen. Meirelles „kürzt“ die Geschichte notgedrungen,
konzentriert sich auf wesentlich weniger Personen, und stellt Locke und Buscapé
(Alexandre Rodrigues, als Kind: Luis Otávio), in den Mittelpunkt des
Geschehens, zwei, die aus dem gleichen Viertel kommen, doch ganz andere Wege
gehen. Buscapé will Fotograf werden, wünscht sich nichts mehr als
eine Kamera und die Flucht aus der gottlosen Stadt Gottes. Diesen Kontrast in
den beiden Personen benutzt Meirelles jedoch nicht zu einer Art Zweikampf wie
Scorsese etwa in „Gangs of New York“. Beide begegnen sich nur ab und an, und
dann mehr zufällig.
Locke
wird älter, größer, stärker und die Lust am Töten
lässt nicht nach. Locke will Macht, Macht über das ganze Viertel,
die ganze verdammte City of God. Er räumt alle aus dem Weg, tötet.
Nur Bené kann ihn hin und wieder davon abhalten. Bené ist intelligent
und hat hier, in Lockes Bande, eigentlich nichts verloren. Aber gerade Bené
ist es, an dem Meirelles verdeutlicht, wie wenig der Wille manchmal zählt
im Vergleich zur Umgebung, in der Jungen wie diese aufwachsen. Bené verliebt
sich in Angélica (Alice Braga), will ebenfalls endlich die Trennung von
Locke und seinem Bandenkrieg, seinen Allmachtsphantasien – und wird auf seiner
mit allem Drum und Dran versehenen Abschiedsparty von einer Kugel getroffen,
die eigentlich Locke galt.
• I N S Z E N I E R U N G •
Meirelles
fast dokumentarischer Film, der sich über einen Zeitraum von ca. 10 Jahren
erstreckt, zeigt die Hölle auf Erden, die für die Bewohner dieser
Hölle so normal erscheint, als ob nichts anderes denkbar wäre. Die
Gewalt wächst aus allen Ecken, Winkeln, kommt aus allen Löchern gekrochen.
In jeder Sekunde ist sie präsent, ist Lebensinhalt und Daseinsweise. Der
Tod gehört hier in einer ganz besonderen Weise zum Leben. Nur wenige trauen
sich, dem zu widerstehen, etwa Mane (Seu Jorge), dessen Vater und Bruder Locke
ermordet hat. Mane schwört Rache. Und aus einem friedliebenden Menschen
wird ein Mitglied der rivalisierenden Gang um Sandro (Matheus Nachtergaele),
den alle Karotte nennen.
Gewalt
ist hier nicht nur Strukturmerkmal, sondern geradezu Organisationselement und
Inhalt von Gesellschaft. Die City of God wirkt wie ein Ghetto – von außen
wie von innen –, wie eine hermetisch abgeriegelte Zone des Grauens. Und trotzdem
herrscht hier – neben aller Gewalt – derart viel pulsierendes Leben, Lachen,
Sexualität, Lust, dass die Kamera dem kaum zu folgen vermag. Der mit Laienschauspielern
besetzte Film entwickelt eine merkwürdige Mischung aus Rasanz – kaum ein
Bild, das einmal länger stehen bleibt – und Ruhe zugleich. Rasanz heißt
hier nicht Hektik, Ruhe nicht Stillstand. „City of God“ quillt über vor
Leben, ein Leben, von dem die meisten Personen nicht wissen, was sie damit anfangen
sollen, außer sich einer der Dealerbanden anzuschließen.
Hier
wächst man mit der Waffe in der Hand auf, und alle mitteleuropäischen
Predigten der Gewaltlosigkeit versagen angesichts dieser schauerlichen, doch
zugleich anziehenden Atmosphäre, in der immerhin Buscapé einen anderen
Weg zu gehen versucht: Er wird dann wirklich Fotograf.
Meirelles
lässt Buscapé in Rückblenden aus dem Off die Geschichte der
Stadt Gottes erzählen, mit bitterem Humor, manchmal Sarkasmus, aber auch
Witz, und dann wieder mit dem Ernst, der der Situation angemessen ist, etwa
wenn Locke zwei kleine Jungen, die auch schon Kinderbanden angehören, in
die Füße schießt und einen anderen auffordert, einen der beiden
Jungen zu erschießen. Die Polizei macht mit in diesem Spiel, ist korrupt,
spielt die Gangs gegeneinander aus, ist am Drogen- und zunehmenden Waffenhandel
beteiligt.
Doch
„City of God“ leistet mehr, wenn man genau hinschaut, das heißt bemerkt,
was eben nicht gezeigt wird. Er veranschaulicht auf eine geradezu unnachahmliche
Weise, dass die wirkliche Gewalt nicht in der City of God ihren Ursprung hat,
sondern im bewusst inszenierten System von Armut, sozialer Deprivation und Isolation
durch die „da draußen“, vor den Toren. Als Buscapé einer Journalistin
erklärt, er könne sich nicht mehr in die City of God wagen, weil die
Zeitung seine Bilder von Locke und dessen Gang veröffentlicht habe und
Locke ihn töten werde, meint sie, er müsse eben vorsichtig sein, wenn
er zurückgehe. Diese Ahnungslosigkeit über die Verhältnisse in
der City of God ist eine Kehrseite der wechselweisen Isolation. Das reiche Brasilien,
das touristische Zuckerhut-Rio interessiert sich nicht für das Elend und
die Gewalt, es sei denn, es wird durch sie bedroht; das ist die andere Kehrseite
der City of God. Die Menschheit teilt sich in zwei Hälften, die nicht nur
materiell voneinander getrennt sind, die scheinbar nichts miteinander zu tun
haben und eben doch zwei Seiten einer Medaille sind.
• F A Z I T •
„City
of God“ ist ein faszinierender, erschreckender, lebendiger Film, der von manchen
mit Scorseses „Goodfellas“
und „Gangs
of New York“
verglichen wurde, und tatsächlich gewisse Ähnlichkeiten mit beiden
Meisterwerken aufweist. Alle drei Filme sind gnadenlos und zutiefst human, verzichten
auf moralische Werturteile und Predigten und halten uns den Spiegel vor Augen
über die Welt, in der wir alle leben. Die City of God ist ein „Sperrbezirk“,
doch zugleich untrennbar mit dem Rest der Welt verbunden.
Wertung:
10 von 10 Punkten.
Ulrich
Behrens
(09.05.2003)
Diese
Kritik ist zuerst unter dem Namen Posdole
erschienen bei: ciao.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
mehrere Kritiken
City of God
(Cidade de Deus)
Brasilien
(Frankreich, USA) 2002, 128 Minuten
Regie:
Fernando Meirelles, Kátia Lund
Drehbuch:
Bráulio Mantovani, nach dem Roman von Paulo Lins
Musik: Antonio Pinto, Ed Cortes
Director of Photography: Cesar Charlone
Schnitt:
Daniel Rezende
Produktionsdesign:
Tulé Peake
Hauptdarsteller:
Alexandre Rodrigues (Buscapé), Luis Otávio (Buscapé als
Kind), Leandro Firmino da Hora (Zé Pequeno, genannt Locke), Douglas Silva
(Dadinho, genannt Löckchen), Phelipe Haagensen (Bené), Matheus Nachtergaele
(Sandro Cenoura, genannt Karotte), Seu Jorge (Mane Galinha), Jonathan Haagensen
(Cabeleira), Renato de Souza (Marreco), Jefechander Suplino (Alicate), Roberta
Rodriguez Silvia (Bérénice), Daniel Zettel (Thiago), Alice Braga
(Angélica), Edson Montenegro (Buscapés Vater)
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