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Chronik einer Liebe

Ein Detektivbüro erhält von dem reichen Mailänder Textilfabrikanten Fontana (Ferdinando Sarmi) den Auftrag, die Vergangenheit seiner jungen schönen Frau Paola (Lucia Bosé) auszuforschen. Er hatte Jugendphotos von ihr gefunden und festgestellt, daß er wenig von ihr weiß nach siebenjähriger, im

Krieg spontan geschlossener Ehe. In ihrer Heimatstadt Ferrara findet der Detektiv im Lyzeum und bei alten Bekannten heraus, daß Paola ein lebenshungriges Mädchen gewesen war und eine Affäre mit Guido Garoni (Massimo Girotti), dem Verlobten ihrer besten Freundin gehabt hatte. Im Beisein der beiden war die Freundin in einen Fahrstuhlschacht gestürzt. Das Paar hatte sich danach getrennt. Von den Bekannten informiert, meldet sich nun Guido bei Paola in Mailand, um sie zu warnen. Daß sie nichts wissen über den Grund der Nachforschungen, bewirkt nun erst eine Art Komplizenschaft. Paola schickt Guido auf Gegenrecherche. Sie treffen sich an einsamen oder dunklen Orten (einer leeren Regattastrecke, im Planetarium), später in Guidos Absteige. Paola genießt seine Bewunderung für ihre luxuriöse Erscheinung und versucht den mittellosen, aus dem Koffer lebenden Autovertreter an sich zu binden, indem sie ein Geschäft vorschlägt: Guido und sein Partner könnten Fontana einen Maserati verkaufen, den sie sich zum Geburtstag wünscht. Während der nächtlichen Probefahrt des Gatten auf dem Land flammt die alte Leidenschaft bei den beiden am Straßenrand Wartenden wieder heftig auf. Fontana schenkt ihr einen anderen Wagen.

Seit Guidos Rückkehr verhält sich Paola nervös und exzentrisch in ihrer mondänen Clique und abweisend gegenüber ihrem Ehemann. In der Vorstadtbar, wo sie mit Fontana und der Clique erschienen war, um die Autoverhandlungen einzufädeln, macht sie eine Szene wegen Guidos Tanz mit Joy (Marika Rowsky). Joy ist die weibliche Gegenfigur, – illusionslos und ehrlich, auch in dem, was sie Guido preisgibt über ihre unglückliche Liebe zu seinem derben Freund und Geschäftspartner (Gino Rossi): sie fühlt sich ewig unterlegen in der Konkurrenz zu dessen Ehefrau und kommentiert so indirekt Guidos eigene Situation. Joy arbeitet als Mannequin. Als sie am selben Abend in der Bar ein Kleid vorführt, das zu wohltätigen Zwecken versteigert wird, treibt Paola den Preis in astronomische Höhen und schenkt dem Mannequin danach das Tüllgebilde. Zu Fontana sagt sie: Das war eine Laune, und Launen erklärt man nicht. Sie selbst trägt Pelze, Pailletten und viel echten Schmuck, auch bei Guido. Der Kontrast zwischen ihrer Erscheinung und seinem Zimmer in dem niedrigen, schäbigen, von modernen Wohntürmen fast erdrückten Vorstadthotel, läßt ihn resignieren. Leidenschaftlich beschwört Paola ihre Liebe, zu der Geld aber immer dazugehöre, und mit spielerischen Gesten, von der gemeinsamen Zukunft träumend, bringt sie die Idee zur Ermordung Fontanas ins Spiel.

Sie schläft wieder mit ihrem Mann, um den Stand seiner Nachforschungen zu erfahren und als sie Guido voller Abscheu davon erzählt, willigt er in den Mordplan ein. Er will Fontana in einer unwegsamen Straßenkurve im fahrenden Auto erschießen. Am vorgesehenen Tatort gerät das Paar in heftigen Streit über die Verantwortung für den Tod der Freundin Jahre zuvor: beide hatten ihn gewünscht und darum den Unfall nicht verhindert.

In der für den Mord an Fontana ausersehenen Nacht liest dieser jedoch draußen in seiner Fabrik den Schlußbericht der Detektei, in dem – um den Auftrag möglichst zu verlängern – Paolas Ehebruch notiert ist. Auf der Heimfahrt fährt sich Fontana vor den Augen Guidos zu Tode. Als die Polizei bei Paola auftaucht, glaubt diese das Komplott entdeckt und flüchtet zu Guido. Wie schon bei ihrem ersten >Verbrechen in Gedanken< gibt sie ihm in Panik alle Schuld, klammert sich aber wieder an ihre Liebe, als sie die Tatsachen von Guido erfahren hat. Ein Taxi bringt die beiden Verstörten vor ihr Haus. Während Paola auf eine weitere Verabredung drängt und Guido weinend nachschaut, hört man, wie er im Taxi als Ziel den Bahnhof angibt.

 

Antonioni schrieb das Sujet von CRONACA DI UN AMORE selbst. (Er beteiligte aber schon bei diesem ersten Spielfilm wie bei den meisten noch folgenden mehrere Co-Autoren an der Drehbuchfassung.) Die Geschichte um leidenschaftliche Liebe und Gattenmord korrespondiert offen mit der in Viscontis Film Ossessione bzw. dessen amerikanischer Vorlage, James L. Cains Roman The Postman Always Rings Twice. Massimo Girotti spielt in beiden Filmen die Rolle des verletzten Liebhabers, der sich zum Mord anstiften läßt, weil die Geliebte ohne Status und Geld keine gemeinsame Zukunft sieht. Bei Antonioni tritt er als Guido nicht mit derselben introvertierten Ausstrahlung des verführten Verführers auf, sondern spielt zurückgenommen bis zur Unbeholfenheit, wie reduziert durch die Erfahrungen der Vorgeschichte seiner Figur oder, im Vergleich zu OSSESSIONE wie jemand, der darunter leidet, nicht mehr mit den Händen arbeiten zu können. Der Krieg hat diesen Guido entwurzelt.

 

Er ist bis in die visuellen Zeichen im Gegensatz zur kapriziösen Paola: seine graue Erscheinung gegen ihre schwarz/weiß akzentuierte Garderobe und helle Haut zu glänzend schwarzem Haar. Aber Guido beendet die Chronik ihrer Liebe: schon zuvor macht er sich nicht dieselben Illusionen wie Paola.

 

Lucia Boses Part verschmilzt Züge der Frauenfiguren aus der amerikanischen Schwarzen Serie mit Besonderheiten in Antonionis Blick auf Frauen. Hier ist ihre Dynamik der Zwiespalt zwischen unverstellter Liebessehnsucht und einer rätselhaften Mischung aus berechnender Intriganz und rhetorisch abgewehrtem Schuldgefühl. In allem, was ihrer Unabhängigkeit im Weg steht, setzt sie die Spielregeln für eine undurchschaubare Schönheit ein: Migräne gegen den Ehemann, schnippische Abgrenzungen vom hinterhältigen small talk ihrer Gesellschaft, genießerische Demonstrationen ihres Reichtums nur für einen Augenblickseffekt.

 

Aber der Film erzählt nicht moralisierend eindeutig, etwa von der Unmöglichkeit der Liebe zwischen den Klassen. Antonioni verführt dagegen zu Fragen. In den Ellipsen der (Vor-)Geschichte ist die Spekulation enthalten auf das, was diese Liebe gewesen sein könnte. Andererseits geht es nicht einfach um unzeitgemäße Gefühle, sondern um trügerische. Er nutzt – wie später immer brüchiger – das Kriminalmuster ironisch, die komplexe Situation in der Begegnung des Paares in einem bestimmten Lebensausschnitt zu erzählen. Beide Todesfälle sind nur phantasierte Verbrechen mit umgekehrten Vorzeichen: das erste Mal gewünscht, aber nicht geplant, das zweite Mal geplant, aber nicht ausgeführt. Die beliebige Neugier des Ehemanns bringt hinter seinem Rücken das Paar wieder zusammen. Der Zufall ist es, der zweimal die Krise in der Liebesbeziehung aus der Latenz löst. Konstruiert als Ermittlung einer Vorgeschichte (minutenlang bevor die Protagonisten zu sehen sind), als Chronik der neuen Leidenschaft und Bericht geschäftstüchtiger Detektive führt die Geschichte mit den Techniken der Objektivität in ein Labyrinth. Ob Guido die Chance hatte, den Unfall seiner Verlobten zu verhindern, ob Fontana verunglückt oder sich bewußt umbringt, bleiben ungelöste Rätsel.

 

Die Bildführung in CRONACA übersetzt die Irritationen der Gefühle. Antonioni folgt in langen Einstellungen, Fahrten und Schwenks über leere Straßen und diesige, regennasse Plätze den Personen [Vergl. Antonionis Erläuterungen zum experimentellen Charakter der langen Einstellungen und Kamera-Operationen als Elementen von Montage in der Einstellung, in: Die Krankheit der Gefühle, Gespr. mit Studenten des Centro Sperimentale. Darin: »Ich hielt es nämlich in der Tat für richtig, die Personen in den Augenblicken nicht zu verlassen, in denen sie – nachdem die Prüfung des Dramas, oder wenigstens dessen, was vom Drama auszudrücken interessant war: seine dramatisch dichtesten Punkte, abgeschlossen war – allein mit sich selbst blieben, mit den Wirkungen jener Szenen, jener Traumata, jener so heftigen psychologischen Momente, die ohne Zweifel einen bestimmten psychologischen Einfluß auf sie ausgeübt hatten und sie psychologisch zu einem nächsten Schritt geführt hatten … Ich meine…, daß gerade in den Augenblicken, in denen die Personen sich ihrem Naturell überließen (und wenn ich Personen sage, meine ich auch Schauspieler, weil ich nämlich oft Schauspieler mit der Kamera verfolgt habe, ohne daß sie selber es bemerkt hätten, oder während sie glaubten, daß die Einstellung zu Ende wäre …); daß sich mir also in diesen Augenblicken die Möglichkeit bot, auf der Leinwand spontane Bewegungen wiederzufinden, die ich auf andere Weise vielleicht nicht hätte provozieren können (besonders im Fall der Bosé, einem Mädchen, das keine hervorstechende schauspielerische Begabung hatte oder zumindest noch nicht über die Erfahrung und Technik verfügte, um von außen her bestimmte Resultate zu erreichen).«] Der Montagerhythmus ist definiert durch die Sprünge im Konflikt von Verführung und Enttäuschung.

 

Wenn Paola Guido trifft, um ihm zu berichten, daß Fontana ihr beschwipst von den Nachforschungen erzählt habe, weichen sie aus Angst vor Schnüfflern von der Straße in ein Bürohaus aus, und während der ständig in Betrieb befindliche Aufzugkorb wechselnde Gittermuster wie Trennstriche über das Paar legt, folgt Guido ihr immer höher die spiralförmige Treppe hinauf. Mit Kalkül und zugleich aufrichtigem Abscheu deutet sie an, mit Fontana geschlafen zu haben. Guido tritt darauf ein paar Stufen über sie und blickt ihr jetzt erst – vor oben – direkt ins Gesicht. Aber er küßt Paola nicht, wie sie es wünscht, – an die Wand gelehnt, bleibt sie allein zurück.

 

Die längste Einstellung beginnt mit einer Tatbesprechung und endet mit einem heftigen Streit über die Vergangenheit: die Kamera blickt von oben auf einen schnurgeraden Kanal in der Po-Landschaft. Auf der Landstraße daneben nähert sich ein Wagen, und im Schwenk folgt sie seinem langsamen Einbiegen in die unten abzweigende Kehre herauf zur Brücke, bekommt Paola nah ins Bild und den, sich vom Fuß der Brücke über eine Treppe nähernden Guido. Er erklärt ihr den Plan, Fontana beim zwangsläufigen Bremsen in der Kurve zu erschießen, aber sie wechselt auf die andere Brückenseite, spricht davon, das Vorhaben fallen zu lassen, wirft ihm immer aggressiver vor, die Freundin getötet zu haben, bis er sie ohrfeigt. Die Szene endet damit, daß die Kamera bei Paola bleibt, während beide in verschiedene Richtungen auseinandergehen und Guido dabei entgegnet: wir waren zwei und wir sind auch heute zu zweit. Die Kontinuität dieser Plansequenz beschreibt so, daß die Beziehung der beiden aus nichts anderem als beständigen Verkehrungen besteht, aus einer Kette abrupter Wechsel zwischen Gemeinsamkeit und Distanzierung: die Gefühle und Absichten des Paares in Formen der Umkehrung, des Richtungswechsels, des Tauschs und der Austauschbarkeit. Guido handelt, wie Paola es von ihm wünschte, als sie ihm nach dem Tod der Freundin nachrief, sie wolle ihn nie wiedersehen. Die Beständigkeit ist Täuschung. Wenn Paola am Ende die Verlassene ist, erscheint das als die Konsequenz ihrer eigenen Sicht von Liebe, für deren Zukunft sie ausgerechnet Fontanas Prinzipien bewußt reklamiert: er könne sich alles kaufen. Antonionis filmischer Stil zielt nicht auf Entlarvung dieser Haltung, er differenziert die Muster der »Schwarzen« Frauen mit seiner Erzählform, indem er in den vielen Nahaufnahmen – noch lange nach handlungstreibenden Szenen – in Paolas unauflöslichem Gesichtsausdruck und ihren vielen affektreichen, spielerischen, launenhaften Szenen/Auftritten den Spielraum beschreibt zwischen Gefühl und Sehnsucht gewendet gegen die bornierte Langeweile ihrer Clique; und zugleich wird die Kehrseite deutlich: nur mit Kauf- und Tauschinstrumenten kann Paola diese Illusion leben.

 

Claudia Lenssen

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in: Michelangelo Antonioni; Band 31 der (leider eingestellten) Reihe Film, herausgegeben in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek von Peter W. Jansen und Wolfram Schütte im Carl Hanser Verlag, München/Wien 1987.

Zweitveröffentlichung in der filmzentrale mit freundlicher Genehmigung der Autorin Claudia Lenssen und des Carl Hanser Verlags.

 

Chronik einer Liebe

CRONACA DI UN AMORE

Italien 1950 – Sujet und Dialoge: Michelangelo Antonioni. – Buch: Michelangelo Antonioni, Daniele D’Anza, Silvio Giovaninetti, Francesco Maselli, Piero Tellini. – Kamera: Enzo Serafin. – Kamera-Führung: Aldo Scavarda. – Musik: Giovanni Fusco; Interpreten: Marcel Mule (Saxophon), Armando Renzi (Klavier). – Bauten: Piero Filippone. – Ausstattung: Ferdinando Sarmi, Elio Guaglino. – Kostüme für Lucia Bosé: Ferdinando Sarmi. – Regie-Assistent: Francesco Maselli. – Darsteller: Massimo Girotti (Guido), Lucia Bosé (Paola Molon), Gino Rossi (Detektiv), Marika Rowsky (Modell), Ferdinando Sarmi (Enrico Fontana), Rubi D’Alma, Anita Farra, Carlo Gazzapini, Nardo Rimediotti, Renato Burrini, Vittorio Manfrino, Rosi Mirafiore, Vittoria Mondello. – Produktionsgesellschaft: Villani Film, Turin. – Produzent: Franco Villani. – Co-Produzent: Stefano Caretta. – Gesamtorganisation: Gino Rossi. – Produktionsleitung: Armando Franci. – Gedreht in Mailand und Umgebung. – Format: 35 mm, sw. – Original-Länge: 103 min. – Länge der deutschen Fassung: 100 min. – Uraufführung: Oktober 1950, Festival du Film maudit, Biarritz. – Römische Erstaufführung: 25.11. 1950. – TV: 10.1.1966 (ZDF); 25.11.1981 (S3); 26.11.1981 (WDR III); 28.1.1982 (HR III); 8.6.1983 (BR III).- dt. Verleih: offen.

 

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