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Christoph
Schlingensief und seine Filme
Eine DVD-Veröffentlichung der Filmgalerie
451: Interview mit Frieder Schlaich; Sieben Kurzfilme
Christoph Schlingensief ist ein charmanter Dampfplauderer,
ein eloquenter Wortführer seiner Kunst; ein langes Interview mit Schlingensief
bietet die DVD, er spricht über sein gesamtes Filmschaffen seit seinen
Anfängen 1968, im Alter von acht Jahren. Das Schöne an Schlingensiefs
Plauderei ist, dass man ihn nie wirklich beim Wort nehmen kann, Ernsthaftigkeit
und Ironie sind unkenntlich miteinander vermischt, wenn Schlingensief kokette
Bosheiten, kluge Analysen und leere Worthülsen losfeuert in langem Monolog.
Sein Werdegang: 8mm-Filme mit der Familie, Gründung
des Oberhausener Filmklubs, Ablehnungen vom WDR wie von der Filmhochschule,
Begegnungen mit Regisseuren und Schauspielern, die ihn förderten – Werner
Nekes, Udo Kier –, schließlich die ganz eigenen Nische in der deutschen
Kulturlandschaft.
Zwar hat er in den letzten Jahren immer wieder Pausen
eingelegt in seinem Filmschaffen und sich Theater, Oper, Politik und Aktionskunst
zugewandt – ganz aktuell dreht er wieder, in Afrika –, aber dennoch ist er genuin
ein Filmregisseur, der das Filmemachen dem Theater vorzieht. Ein Dreh, so erzählt
er, werde eher Teil seiner persönlichen Lebensgeschichte als ein sich regelmäßig
wiederholendes Bühnenereignis.
Mal anekdotisch, dann wieder in einem Rundumschlag
auf die deutsche Mainstream-Filmkultur redet er über sein Filmschaffen,
mal reflektiert er seine ganz persönlich Obsessionen, dann lässt er
sich wieder beispielsweise über eine Dreiecksverbindung Rainer Werner Fassbinder
– Douglas Sirk – Veit Harlan aus. Und immer wieder arbeitet er sich ab an den
Oberhausener Kurzfilmtagen, die seine Filme nicht zeigen wollten, aus denen
der Neue Deutsche Film entspringt, als dessen letzter Vertreter er sich sieht;
die statt seiner die verweichlichten Veteranen der 1960er und 1970er feiern.
Dabei läuft das Interview stets parallel zu
den ebenfalls auf DVD enthaltenen sieben Kurzfilmen und zu den reichlichen Zeitungsausschnitten,
von Lokalzeitungen aus dem Ruhrgebiet bis zu Kritiken in renommierten Filmzeitschriften,
ja bis hin zu Schmähungen der „Nationalzeitung“ gegen Schlingensiefs „Mutters Maske“, einem Remake von „Opfergang“ vom großen
NS-Regisseur Veit Harlan. Verlinkungen vom Interviewfilm zu den Kurzfilmen und
zur Presseschau machen die DVD zum tatsächlich interaktiven Erlebnis.
Auch für sich, ohne Verbindung zum Interview,
sind die Kurzfilme mehr als sehenswert. Krimiparodien, Experimentalfilme, Farcen:
Von „Mein erster Film“ von 1968, der Räuber und Gendarmen in einer wilden
Kinderhatz zeigt, unterlegt von einem ironischen Voice Over-Kommentar, der nichts
ernst nimmt: Nicht den Film, nicht den Zuschauer, nicht sich selbst, über
den bizarren „Phantasus muss anders werden“ (1983), der als eine Art Anti-Oberhausen-Manifest
auf experimentelle Weise für größere Ungeniertheit im persönlichen
und künstlerischen Schaffen plädiert, bis zur Stummfilmgroteske „Schlacht
der Idioten“, in der Stummfilm-Chargen die Leinwand verlassen und ihr pathetisches
Melodram im „wirklichen Leben“, freilich immer noch stumm und nur begleitet
von Helge Schneiders Kinoorgel, weiterzuspielen versuchen. Und dann, einer der
besten Filme: „Mensch Mami, wir drehn ’nen Film“ (1977), in dem sich einer in
den Kopf setzt, einen Film zu drehen, dafür seine Familie einspannt, den
ganzen Ort als Kulisse nimmt und doch scheitert: in entscheidenden Szenen marschiert
ein Spielmannszug durchs Bild, der Rollstuhl der Oma macht sich selbständig,
selbst die Projektion des schließlich fertigen Films führt zur Katastrophe…
Die Handlung ist sehr transparent: Hinter dem Film stecken deutlich seine Dreharbeiten,
wie Schlingensief selbst eingefallen ist in das bergische Dörfchen Much,
dort mit seinem netten Schwiegersohn-Charme alle dazu gebracht hat, mitzuspielen
bei seinem Quatsch – den Ort freilich hat er nicht im Desaster liegenlassen
wie der fanatische Regisseur in seinem Film.
Das ist allen Kurzfilmen gemeinsam: Der selbstreferentielle
Bezug zum Medium Film in unterschiedlicher Form. Mal als Parodie, mal als Film
im Film, mal als bewusst gegen das Filmische ankämpfende Groteske, mal
explizit, mal eher implizit bezieht Schlingensief stets die Form seiner Filme
als Film mit in das Kunstwerk ein. Das starke Bewusstsein, einen Film zu machen,
das schon im achtjährigen Knaben steckt, ist der Grundstein für die
Hinwendung Schlingensiefs zur kritischen Betrachtung der Gesellschaft, zu deren
Zerrspiegel seine Filme mehr und mehr wurden.
Harald Mühlbeyer
Dieser Text ist
zuerst erschienen bei:
Als eine Gesamtedition des filmischen
Werkes von Christoph Schlingensief werden derzeit seine Kinofilme vom kleinen
Label Filmgalerie 451 herausgegeben. Das Magazin Screenshot begleitete die Edition
mit Besprechungen der einzelnen DVDs.
Christoph
Schlingensief-Edition # 1: Interview und Kurzfilme:
Christoph
Schlingensief und seine Filme
Interview
mit Frieder Schlaich. Länge: 77 Minuten
Sieben
Kurzfilme
Kurzfilme
von 1968 bis 1986, Länge insg. ca. 80 Minuten.
Code
Free
PAL
Farbe
4:3
Dolby
Digital 2.0
Extras:Presseschau,
"Die 1. interaktive DVD der Welt"
Anbieter:
Filmgalerie 451 [www.filmgalerie451.de]
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