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Christine

 

 

 

Autoerotik: Femme Fatale in rotem Lack

 

 

Stephen Kings „große Erzählung“ – um eine der Lieblingsformeln George Seeßlens zu bemühen – ist die Heimsuchung des kleinbürgerlichen Individuums. Die Menschen die sich in seinen Büchern gegen Vampire oder tollwütige Bernhardiner, gegen den Weltuntergang oder eben verrückt spielende Killerautos erwehren müssen, sind keine Outlaws oder Junkies, keine Freaks oder Ausgestoßenen, sondern betont „normale Leute“.

 

So auch Arnold Cunningham (Keith Gordon), Teenie, Tollpatsch und Muttersöhnchen, dem seine Mama jeden Morgen sein Lunchpaket hinterher trägt, der keine nennenswerten Erfolge bei Mädchen zu verbuchen hat und ohne seinen besten Kumpel Dennis (John Stockwell) nicht mal seinen Spind aufbekommt. Das verändert sich schlagartig, als Arnie sich einen 20 Jahre alten Schrotthaufen von Auto zulegt. Besessen von „seiner Christine“ vernachlässigt er die Freundschaft zu Dennis und nistet sich auf dem örtlichen Schrottplatz ein, um sie bald in neuem Glanz erstrahlen zu sehen. Der liebenswerte Trottel verwandelt sich in einen unnahbareren Macho, der mit Schulschönheit Leigh (Alexandra Paul) ausgeht und dem seine Eltern gar nichts mehr zu sagen haben. Doch es häufen sich die Hinweise auf sonderbare Todesfälle in Christines Vorgeschichte und die Bande um den Schläger Buddy, die Arnold in der Schule terrorisierten, sterben einer nach und dem anderen bei mysteriösen Autounfällen.

 

Carpenter baut seine Geschichte langsam auf und legt den Fokus auf die Entwicklung des Protagonisten. Die sonderbaren Unfälle bei Christines „Geburt“ in einem Werk in „Motorcity“ Detroit im Jahre 1957, die einen Arbeiter fast seine Hand, einen anderen gar das Leben kosten, werden mit einem gewissen dramaturgischen Understatement inszeniert. In der wohl gelungensten Einstellung des Films sieht man Arnie, mehr Gespenst als Mensch, im Auto sitzen, vor ihm die Windschutzscheibe als riesige, spiegelnde Projektionsfläche. Ein Verlorener, um den sich die Schatten langsam schließen, während im Radio Johnny Ace die immer währende Liebe besingt. Als er vor dem Showdown das letzte Mal zu Wort kommen darf, ist er blass und verstört, mit riesigen Augenringen, ein verbitterter und paranoider „Hass-Prediger“, der alles und jeden verdächtigt, ihm seine Christine wegnehmen zu wollen. Erst im letzten Drittel des Films zieht der Spannungsbogen erheblich an, hier sind auch die für die Zeit hervorragenden Special Effects des sich selbst reparierenden Autos zu bewundern.

 

1971 inszenierte Steven Spielberg das Duell zwischen Mensch und Maschine als metaphysische Bedrohung. Ein Mann wird in seinem Auto auf dem Highway unerbittlich von einem riesigen, verrosteten Truck verfolgt. Vom Fahrer sieht man höchstens einen Stiefel oder einen Arm und in vielen Einstellungen wähnt man das Führerhäuschen des fahrenden LKWs, der wie ein gewaltiger, stählerner Drache wirkt, leer. Unter der Motorhaube des beseelten und von Grund auf bösen Autos Christine hingegen wohnt wohl ein eher weltliches Grauen. Aus der Perspektive von Mrs. und Mister Cunningham sind die Ereignisse unheimlich im Sinne Freuds. Es ist das Bekannte, die eigene rebellische Jugend der Fifties, die als Schreckgespenst zurück kehrt. Im Aufbegehren gegen das Elternhaus, namentlich einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit seinem Vater, wirkt Arnie wie ein billiger Abklatsch James Deans, der, man weiß es, ein Autonarr war und in seinem Porsche ums Leben kam. In Christines Autoradio, das sie vornehmlich selbst bedient, laufen denn auch ausschließlich Rock’n’Roll-Klassiker. Gleichzeitig sind die sexuellen Konnotationen unübersehbar. Arnies Football spielender Alphafreund Dennis hatte zuerst amouröse Erlebnisse und fuhr auch als erster sein eigenes Auto durch die Gegend. Mit großer Natürlichkeit spricht nicht nur Arnie von Christine als ob sie eine „echte Frau“ wäre. Die „Femme Fatale“ aus Stahl repräsentiert die tödliche Versuchung des unkontrollierten Eros, der einem Teenanger, buchstäblich, den Verstand raubt und die familiäre Ordnung unterminiert. Ob die rote Verführerin der Jugend im Kalten-Kriegs-Jahr 1983 auch politische Implikationen beinhaltet, sei dahingestellt.

 

An Adaptionen von King-Stoffen haben sich so namhafte und unterschiedliche Regisseure wie George Romero, Stanley Kubrick, Rob Reiner, Brian de Palma oder David Cronenberg versucht. Zwischen den besten der dabei entstandenen Filme, etwa Carrie, Shining oder The Dead Zone, ist sicherlich kein Platz für Christine. Schnörkellose und gehobene, wenn auch gewohnt reaktionäre Genre-Unterhaltung mit passablen Darstellern und schönem Oldie-Soundtrack aber bietet das Teenie-Filmchen allemal.

 

Nicolai Bühnemann

 

 

Christine (1983)

CHRISTINE

USA – 1983 – 110 min. – Scope – Erstaufführung: 16.3.1984 – Produktion: Richard Kobritz

Regie: John Carpenter

Buch: Bill Phillips

Vorlage: nach einem Roman von Stephen King

Kamera: Donald M. Morgan

Musik: John Carpenter

Schnitt: Marion Rothman

Special Effects: Roy Arbogast

Darsteller:

Keith Gordon (Arnie)

John Stockwell (Dennis)

Alexandra Paul (Leigh)

Robert Prosky (Darnell)

Harry Dean Stanton (Junkins)

David Spielberg (Mr. Casey)

 

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