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Chinatown
„Chinatown“
gehört zu den Klassikern des film noir. Polanski schloss mit seinem 1974
gedrehten Film fast nahtlos an die großen Beispiele der 50er Jahre an,
und nicht zuletzt John Hustons zentrale Rolle in „Chinatown“ nimmt direkt Bezug
auf diese Tradition. Man denke an „Der Schatz der Sierra Madre“, „Der
Malteser Falke“
oder „Key Largo“. Für Jack Nicholson war „Chinatown“ der Sprung vom good
actor zum Spitzenschauspieler.
Ähnlich
wie in „Einer
flog über das Kuckucksnest“
spielt Nicholson eine schillernde Figur, den Privatdetektiv Jake Gittes, der
mit dunklen Gestalten zu tun hat, mit obskuren Ermittlungen und geheimnisvollen
Auftraggebern irgendwo in der Nähe von Los Angeles in den 30er Jahren des
20. Jahrhunderts. Nicholson spielt Gittes als nach außen hart gesottenen,
mit (fast) allen Wasser gewaschenen Mann, dem das Leben nichts mehr vormachen
kann, den nichts mehr zu überraschen scheint. Doch dieser Jake Gittes ist
ein sehr sensibler Mensch, einer, der – ohne laufend davon zu reden – nach ethischen
Maßstäben lebt, die es ihm verbieten, andere übers Ohr zu hauen
oder ungerecht zu behandeln. Jake liebt das Leben und kennt das Leben. Nicholson
ist – das würde ich aus heutiger Sicht sagen – ein geborener Nachfolger
von Humphrey Bogart, keine Kopie, kein Bogart Nr. 2, sondern einer, der spielt,
als habe er Bogart vor dessen Tod die Hand gereicht und gesagt: Bye, I’ll try
to continue in my own style.
• I N H A L T •
Jake
erhält einen Auftrag. Die vermeintliche Ehefrau des bei den L.A.-Wasserwerken
arbeitenden Ingenieurs Hollis Mulwray (Darrell Zwerling), Evelyn (Diane Ladd),
beauftragt Jake, ihrem Mann nachzuspüren, weil sie vermutet, er habe ein
Verhältnis mit einer anderen Frau. Als Jake Mulwray heimlich folgt, beobachtet
er zunächst anderes: Mulwray hält sich in Flussbetten und in der Nähe
von Abflussrohren auf, untersucht den Boden, spricht mit einem vorbeireitenden
Jungen. Für Jake ist das unverständlich. Als er Mulwray schließlich
tatsächlich mit einer jungen Frau sieht und wenig später ein von ihm
geschossenes Foto der beiden in der Presse erscheint, obwohl Jake das Foto nicht
weitergegeben hat, bekommt er Besuch von der richtigen Evelyn Mulwray (Faye
Dunaway), die gegen Jake gerichtlich vorgehen will, weil sie ihn nicht beauftragt
hat, ihrem Mann nachzuschnüffeln.
Wenig
später findet man die Leiche Mulwrays. Der Ingenieur ist ertrunken. Jake
ist bewusst, dass er von irgend jemand missbraucht wurde. Aber wozu? Um Mulwray
zu ermorden? Tatsächlich findet sich in Mulwrays Lungen Salzwasser. Er
ist nicht dort gestorben, wo man seine Leiche fand. Und Evelyn Mulwray scheint
ein Geheimnis, wenn nicht mehrere, zu hüten. Evelyn scheint nicht sehr
bestürzt über den Tod ihres Mannes, von dem bekannt ist, dass er sich
öffentlich in einer Anhörung gegen den Bau eines Staudamms ausgesprochen
hatte. Jake findet heraus, dass Mulwray und Evelyns Vater, der reiche Noah Cross
(John Huston), einmal gemeinsame Besitzer der Wasserwerke waren, bis Mulwray
darauf gedrängt hatte, die Wasserversorgung an die öffentliche Verwaltung
abzugeben. Jake entdeckt auf dem Katasteramt aber noch mehr: Etliche Grundstücke
in einem Gebiet, das unter Wassermangel leidet, wurden innerhalb kürzester
Zeit verkauft. Und Mulwrays Nachfolger Yelburton (John Hillerman) muss gegenüber
Jake zugeben, dass nachts heimlich wertvolles Wasser zweckentfremdet wird.
Eine
Wand des Schweigens, der Lügen, der Korruption tut sich vor Jake auf. Welche
Rolle spielt Cross, welche Evelyn, und wer ist die geheimnisvolle junge Frau,
mit der sich Mulwray getroffen hatte und die spurlos verschwunden ist?
• I N S Z E N I E R U N G •
Alles,
was zu einem guten film noir gehört, steckt in „Chinatown“: Die geheimnisvollen
Figuren, die spurlos verschwinden, die falsche Mrs. Mulwray, die später
ermordet aufgefunden wird, die mysteriöse junge Frau, die Jake plötzlich
mit Evelyn sieht, der Mann, der alle Fäden in der Hand zu haben scheint,
Cross, der Lieutenant (Perry Lopez), der mit seinen Ermittlungen im Mordfall
Mulwray völlig falsch zu liegen scheint – vor allem aber die femme fatale
Evelyn, der Faye Dunaway derart viel abgewinnen kann, dass es eine wahre Freude
ist, und natürlich Nicholsons Jake, der in jeder Szene zu sehen ist, immer
präsent, sozusagen die personifizierte Dokumentation des Geschehens. Jake
ist einer, der keine Geheimnisse mag, die zu Mord, Korruption, Ungerechtigkeit
führen. Jake will Wahrheit, und er bekommt sie. Jake ist ein Mann, der
sich durch nichts daran hindern lässt, das Dunkel aufzuklären, auch
nicht, als ihm bei seinen Ermittlungen am Zaun des Wasserwerksgeländes
ein Mann in weißem Anzug (Polanski) die Nase aufschlitzt.
Auch
Cross Reichtum und Macht, die Fäden, die er zu ziehen scheint, können
Jake nicht aufhalten. Im Gegenteil. Jake, der irgendwann über Cross Bescheid
weiß, fragt den Millionär, der wiederum weiß, dass Jake über
ihn Bescheid weiß, warum er noch reicher werden wolle, ob es möglich
sei, dass er dann noch besser essen könne als schon jetzt, was er dann
kaufen könne, was er nun nicht schon kaufen könne, und Cross antwortet:
„Die Zukunft, Mr. Gittes, die Zukunft.“
Das
steht in „Chinatown“ vor allem gegeneinander, diese beiden unterschiedlichen
Charaktere, der skrupellose, auf Macht um der Macht, auf Geld um des Geldes
willen fixierte Noah Cross, der nicht mehr wirklich lebt, sondern toten Dingen
nachjagt, und dieser Jake, dieser Inbegriff des Vitalen, dessen, was sich nicht
einsperren, einzwängen lässt. Dazwischen, scheinbar dazwischen steht
Evelyn, die femme fatale. Jake verdächtigt sie, wäscht sie wieder
rein, verdächtigt sie erneut, schläft mit ihr, spürt etwas in
ihr, was sie über jeden Verdacht erhaben zu machen scheint, verdächtigt
sie wieder, und wird mit einem Geheimnis konfrontiert, mit dem selbst er nicht
gerechnet hat.
„Chinatown“
ist hell und dunkel zugleich. Die Sonne strahlt über die Orangenplantagen
im nordwestlichen Tal, über das karge Flussbett, in dem Mulwray tot aufgefunden
wird. Dann das Dunkel, wenn Evelyn einen Telefonanruf erhält, wegfährt,
wenn Jake des nachts seine Ermittlungen auf dem abgesperrten Gebiet des Wasserwerks
durchführt, wenn der Mann mit dem Messer, dieser kleine, brutale Mann erscheint
und ihm die Nase aufschlitzt. Und wenn das Helle und das Dunkle am Schluss alle
nach Chinatown führt, in diese mysteriöse Welt, in der eine Katastrophe
einigen deutlich werden lässt, dass ihre Pläne gescheitert sind, dass
der Tod nicht überlistet werden kann und dass die auf der Strecke bleiben,
die von der Wahrheit nicht lassen und ihrem Gefühl nicht entgegenarbeiten
wollen.
John
Huston spielt den „Wasserträger“ in einem doppelten Sinn: als reichen Mann,
der mit Wasser skrupellose Geschäfte macht, und als Botschafter des film
noir, seiner eigenen Filme, die in „Chinatown“ eine so grandiose Fortsetzung
gefunden haben, unterstützt von der der Atmosphäre des Films glänzend
angepassten Musik von Jerry Goldsmith.
• F A Z I T •
Für
Polanski war „Chinatown“ eine Überwindung. Nach dem Mord an seiner Frau
Sharon Tate durch Mitglieder der Manson-Bande war er einige Jahre zuvor nach
Europa gegangen, wollte nicht zurück in die Staaten. Umso erstaunlicher
ist, wie eng Polanski mit der Inszenierung der Geschichte den Betrachter kontinuierlich
fesselt, in den Film einbezieht. Die Filme sind äußerst rar, in denen
– positive wie negative – Identifikationen mit Figuren derart exzellent funktionieren
wie in „Chinatown“. Jake, Evelyn, aber eben auch Cross sind einem wirklich nahe,
man spürt förmlich ihre Nähe, ihre Wärme oder ihre Kälte.
Die gesamte Komposition des Films ist stimmig. Das ist es eben, was man einen
Klassiker nennt.
Ulrich
Behrens
Dieser
Text ist zuerst erschienen – unter dem pseudonym posdole
– bei: ciao.de
Chinatown
(Chinatown)
USA 1974, 131 Minuten
Regie: Roman Polanski
Drehbuch: Robert Towne
Musik: Jerry Goldsmith
Director of Photography: John A. Alonzo
Schnitt:
Sam O’Steen
Produktionsdesign:
Richard Sylbert, W. Stewart Campbell, Ruby R. Levitt
Hauptdarsteller:
Jack Nicholson (J. J. Jake Gittes), Faye Dunaway (Evelyn Cross Mulwray), John
Huston (Noah Cross), Perry Lopez (Lt. Lou Escobar), John Hillerman (Russ Yelburton),
Darrell Zwerling (Hollis I. Mulwray), Diane Ladd (Ida Sessions), Roy Jenson
(Claude Mulvihill), Roman Polanski (Mann mit Messer), Richard Bakalyan (Detective
Loach), Joe Mantell (Lawrence Walsh), Bruce Glover (Duffy), Nandu Hinds (Sophie),
James O’Rear (Anwalt), James Hong (Kahn)
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