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Children of Men

 

Im Jahr 2027 ist es 19 Jahre her, seit das letzte Kind geboren wurde, weil alle Frauen auf der Erde aus ungeklärten Gründen unfruchtbar geworden sind. London ist die letzte Bastion der Menschheit, während im Rest der Welt Chaos herrscht. Mit aller Härte geht der Staat gegen die Menschen vor, die zu Hunderttausenden versuchen in die Stadt zu gelangen. Brutale Militärs pferchen sie in Käfigen zusammen, bringen sie um oder sperren sie, zusammen mit Schwerverbrechern, in ein Flüchtlingsghetto an der Küste. „Jobs for the Brits“ fordern staatliche Plakate und Werbespots hetzen gegen die Immigranten und diejenigen, die ihnen dabei helfen, ins Land zu kommen.

 

Das London der Zukunft erinnert mit dem Müll in den Strassen, den verrosteten Bussen und den selbstgebauten Motorradtaxis an das stereotype Bild einer Dritte-Welt-Metropole in der Gegenwart. (Drehorte waren neben London auch Argentinien und Uruguay.) Hier fristet der versoffene Zyniker Theo (Clive Owen) sein desillusioniertes Dasein als kleiner Beamter, als seine Ex-Freundin Julian (Julianne Moore), die als Politaktivistin im Untergrund lebt und die er seit 20 Jahren nicht gesehen hat, ihn entführen lässt und ihm Geld dafür bietet, eine Frau außer Landes zu bringen. Theo stellt bald fest, dass diese Frau, Kee (Claire-Hope Ashitey), hochschwanger ist.

 

Die Zukunft, die er darstellt, schlüssig zu begründen, ist Alfonso Cuaróns Anliegen nicht. Was genau im Rest der Welt geschehen ist, erfahren wir ebenso wenig, wie die Ursachen der Unfruchtbarkeit. Und nur mit einem – in einer Erlösergeschichte ja nie sonderlich abwegigen – Wunder ist es zu erklären, dass auf Theos und Kees gemeinsamer Flucht zur Küste, durch die Mühlen des Militärs und die Wirren des Ghettos, niemand bemerkt, dass sie im neunten Monat schwanger ist. Die Details, in denen die farblosen, verregneten Bilder, die, mit wackelnder Handkamera aufgenommen, manchmal fast dokumentarisch wirken, schwelgen, sind nicht futuristisch, sie zeichnen die Probleme und Konflikte der Zukunft, als die der Gegenwart: Armut, Massenmigration, Ausländerfeindlichkeit, Terrorismus, Umweltzerstörung.

 

Die Menschen in dieser Zukunft, die an die Gegenwart erinnert, leben in der Vergangenheit. Auf einer Meta-Ebene inszeniert Cuarón das Aussterben der Menschheit als einen Stillstand ihrer Bilder, für die es keinen Weg mehr gibt, außer den zurück in die Vergangenheit. Solche rückwärtsgewandten Bilder sind Leitmotiv des Films. Mit alten Zeitungen verkleben die Widerstandskämpfer um Julian die Fenster ihres Verhörraums. Informationsmüll, der, wo es kein Außen mehr gibt, mit dem man kommunizieren könnte, nur noch (als Propaganda) den Blick verschleiert. Picassos Guernica hängt in dem Ministerium, in dem Theos Cousin arbeitet (aufgenommen übrigens in den Räumen der „Tate Modern“). Das Kunstwerk, dessen ausdrückliche Intention es war, kommende Generationen vor dem Grauen des Krieges zu warnen, ist endgültig historisiert, reines Ausstellungsstück. Theos einziger Freund Jester (Michael Caine) tapeziert die Wände seines abgelegenen Waldhauses mit Postern und Flyern der Anti-Irakkriegs-Bewegung. In der Figur des kiffenden Alt-Hippies wird – die Cover-Version von „Ruby Tuesday“ belegt es – die Vergangenheit in der Zukunft aktualisiert. Die Flüchtlinge suchen mit öffentlichen Aushängen nach vermissten Angehörigen. Schließlich die alten Familienfotos in der Wohnung eines Widerstandskämpfers, eine Ahnengalerie, die abreißen wird.

 

Theos Martyrium, wird zunächst mit einer Prise Ironie (Flip Flops als modernes Erlöserschuhwerk, Kees scherzhafte Antwort auf die Frage nach dem Vater des Kindes: „I’m a virgin.“), dann immer mehr mit mystischen Chorälen als Soundtrack inszeniert. Sein altes Alkoholikerleben tauscht er ein gegen die neue Hoffnung. Seine letzte Schachtel Zigaretten gibt er her, um in Ruhe bei der Geburt zu helfen, mit seinem letzten Whiskey desinfiziert er seine Hände. Die bürgerkriegsartige Auseinandersetzung in dem Flüchtlingsghetto, in der arabische Aufständische gegen Militäreinheiten kämpfen und durch die hindurch Theo im Showdown die Zukunft retten muss, die in Kees Armen liegt, erinnert nicht von Ungefähr an Nahost-Konflikt und Irakkrieg.

 

Durch einen überdachten Kanal hindurch, an dessen Wänden Figuren der Guernica als Graffiti prangen, fährt die heilige Kleinfamilie in einer Nussschale aufs offene Meer hinaus, einem Licht folgend, das zu einem Schiff führen soll, das „Tomorrow“ heißt. Die Zukunft ist endgültig in der Gegenwart angelangt, am Ende eines Jahrhunderts der Kriege, aus dem uns nur ein Erlöser in eine andere Zukunft führen kann. Das erzählt uns zumindest Children of Men. 

 

Nicolai Bühnemann

 

Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte

 

Children of Men

Großbritannien / USA 2006

Regie: Alfonso Cuarón – Darsteller: Clive Owen, Julianne Moore, Michael Caine, Chiwetel Ejiofor, Charlie Hunnam, Peter Mullan, Danny Huston, Claire-Hope Ashitey, Milenka James – Prädikat: besonders wertvoll – Länge: 109 min. FSK: ab 16; Start: 9.11.2006

 

 

 

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