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Charlie
Bartlett
Das
Klo als Arztpraxis
Auf einen Jungen wie Charlie Bartlett
(Anton Yelchin) haben die Schüler einer ganz normalen Highschool irgendwo
in den USA nun wirklich nicht gewartet. Nachdem Charlie, neurotisch-spleeniger
Spross steinreicher, neurotisch-spleeniger Eltern, zum x-ten Mal von einer Eliteschule
geflogen ist, bleibt ihm der Kontakt zur normalen Welt nicht länger erspart.
Zwar verzichtet er instinktiv darauf, sich mit der Limousine vorfahren zu lassen,
aber schon sein Auftreten, sein Jackett mit Familienwappen, macht ihn zum Außenseiter
unter lauter Punks, Hip-Hoppern und Grufties. Die nächsten Tage werden
nicht einfach für Charlie, da findet er sich schon mal kopfüber in
der Kloschüssel wieder.
Wenn man Jon Polls über weite Strecken
originellen und temporeichen Highschoolfilm anschaut, erinnert man sich an die
Helden aus den Filmen "Ferris
macht blau" (1985)
und "Clueless – Was sonst!" (1995). In "Charlie Bartlett"
gibt es nämlich auch keine tiefer gelegten Fäkalwitzchen à
la "American Pie", sondern handwerklich sauber gearbeitete Unterhaltung
mit pfiffigen Dialogen und mit einer kräftigen Portion schwarzen Humors.
Man merkt schnell, dieser Film verortet sich selbst irgendwo zwischen "Rushmore" und "Harold
& Maude", wobei
die Titelfigur auch in einem frühen Bret-Easton-Ellis-Roman eine gute Figur
gemacht hätte. Doch "Charlie Bartlett" ist dann doch anders,
widersprüchlicher. Wäre da nicht eine Menge durchaus ernst gemeinter
Melancholie mit Händen zu greifen und auch nicht wegzudisputieren, man
könnte von einer liebenswert schrägen Coming-of-Age-Komödie sprechen.
Wenn wir dem in extrem wohlhabenden Verhältnissen
aufwachsenden Charlie erstmals begegnen, ist er gerade mal wieder von einer
teuren Privatschule geflogen, weil er brillant gefälschte Führerscheine
unters Schulvolk gebracht hat. Doch die kapriziöse, konfliktscheue und
zumeist angeschickerte Mutter Marilyn (Hope Davis) mag nicht recht böse
sein; die Alleinerziehende ist ein Nervenbündel, permanent überfordert
und leidet unter starkem Realitätsverlust.
Charlies Vater, von dem der aufgeweckte
Junge seinen Geschäftssinn geerbt hat, sitzt wegen Steuerhinterziehung
schon seit ein paar Jahren hinter Gittern. Deshalb hat Charlie, hochgebildet
und eloquent, die frei gewordene Rolle in der Familie gewissermaßen gleich
mit übernommen. Manchmal spielt er mit der Mutter vierhändig Klavier,
und in solchen Szenen scheint kein Blatt Papier zwischen die beiden zu passen.
Doch an der neuen Schule hilft so ein Kokon nicht weiter. Im Gegenteil: sein
stilvolles und wohlerzogenes Gehabe macht ihn sogleich zum roten Tuch für
all die Freaks, die diese Schulform noch besuchen (müssen). Die Krise lässt
nicht lange auf sich warten.
Doch Charlie hat auch einen Hauspsychiater,
der – Mutter Marilyn sei’s gedankt – vorzugsweise Pillen verschreibt, Uppers
und Downers, wenn es der Herauszögerung der Therapie dient. So verfügt
Charlie schnell über einen ganz erstaunlichen Fundus an Medikamenten für
jede Seelenlage, die er gerne an seine problemgeplagten Mitschüler weiterreicht.
Auch bietet er sich in der Jungentoilette als Gesprächstherapeut an, was
ein ganz erstaunliches Echo auslöst.
Charlies Geschäfte gehen vorzüglich,
doch dann gerät er ins Visier des Schulleiters Gardener (brillant wie immer:
Robert Downey jr.), nicht zuletzt, weil er mit dessen cleverer Tochter Susan
(Kat Dennings) anbändelt. Zugleich wird Gardener, ein zynisch gewordener
Alkoholiker, der sich die Welt gerne per Fernbedienung vom Leib hält, von
der Schulbehörde gedrängt, eine lückenlose Kameraüberwachung
in der Schule durchzusetzen. Die Konflikte an der Highschool eskalieren, als
einer von Charlys Patienten einen Selbstmordversuch unternimmt.
Vom Verleih wird "Charlie Bartlett"
als Feel-good-Movie des Frühsommers beworben, was zunächst durchaus
irritiert, weil die Konflikte, die der Film auffächert, eher dunkler Natur
sind: Einsamkeit und Isolation, Ringen um Anerkennung (eher noch: Wahrgenommenwerden)
innerhalb und außerhalb mehr oder weniger dysfunktionaler Kernfamilien.
Mitunter scheint es fast, als sei "Charlie Bartlett" die lichtere
Variante von Gus van Sants Amokstudie "Elephant". Die Nebenfigur, die aus Verzweiflung
eine Überdosis schluckt, könnte sich jederzeit auch ein Gewehr schnappen
und ihrer Schule einen finalen Besuch abstatten.
Die überforderten Jugendlichen werden
von den Erwachsenen, die sich ihrerseits mit Therapien, Drogen und Alkohol in
Schwung halten, alleingelassen. Dieser Befund ist so politisch unkorrekt wie
die Entscheidung, einen altklugen, um soziale Popularität ringenden Dealer
zur Identifikationsfigur einer Teenagerkomödie zu machen. Vielleicht ging
es dem Film angesichts der Vielzahl psychologisch komplex verschränkter
Probleme irgendwann wie der Titelfigur. Die ruft nach gut der Hälfte panisch
"Ich bin doch nur ein Kind!" in die Kamera – und fortan werden Probleme
gelöst, dass sich die Balken biegen. Um ein Wohlfühlfilm bleiben zu
können, muss der Film eben das verdrängen, was er zuvor so anregend
entfaltet hatte. Ein klarer Fall für den Psychiater!
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der Stuttgarter Zeitung vom 26.06.2008
Charlie
Bartlett
USA 2007 – Regie: Jon Poll – Darsteller: Anton Yelchin, Robert Downey Jr., Hope Davis, Tyler Hilton, Kat Dennings, Mark Rendall, Megan Park, Ishan Davé, Jonathan Malen, Jake Epstein, Brendan Murray, Kim Roberts – FSK: ab 12 – Länge: 97 min. – Start: 26.6.2008
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