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Catch me if you can

 

Catch me if you can orientiert sich an der Biographie Frank William Abagnales, der sich  in den Jahren zwischen 1963 und 1969 – noch vor seinem einundzwanzigsten Lebensjahr– als Kopilot, Arzt und Anwalt durchs Leben mogelte und diesen Lebensstil mit umfangreichem Scheckbetrug finanzierte.

 

Die Geschichte Frank William Abagnales erzählt zwar vordergründig von einem jungen Hochstapler, der in wenigen Jahren den Erfahrungsschatz eines ganzen Lebens aufbaut, überschreitet aber den Rahmen einer Biographie als bloßer Wegbeschreibung, insofern sie dem anrüchigen Status von Täuschung und Lüge deren Effektivität in der Lebensbewältigung gegenüberstellt.

 

Frank William Abagnale gelingt es, sich ohne eine besondere Ausbildung Positionen anheischig zu machen, die ohne spezifische Kenntnisse und angelernte Fähigkeiten erfahrungsgemäß nicht zu bewältigen sind. Als Frank eines Tages auf der Straße einen Piloten der Panam mit seiner Entourage im Hotel absteigen sieht, hört man eben diesen Piloten zu einem Jungen, der ihn angesichts seiner Erscheinung und seines Status um ein Autogramm bittet, sagen: „ Willst du mal Pilot werden? – Dann sei schön fleißig in der Schule!“ – Als sei dies der Königsweg zu seiner Position. Einige Szenen später wird der Zuschauer Zeuge, wie Frank Abagnale ihn Lügen straft. Die administrative Organisation der Panam zu nutzen wissend, beschafft er sich die Uniform eines Kopiloten und fliegt in dieser Maskerade von Küste zu Küste. Mit Charme und einem Gespür für das richtige Auftreten besorgt Frank sich genau die Auskünfte und Informationen, die er für seinen Schwindel benötigt. Man könnte fast annehmen, Frank Abagnale sei in die Schule von Maurice Joly gegangen, der sich in seinem Handbuch für Aufsteiger eben dieser Thematik annimmt:

 

„ … denn erfolgreich ist man: 1. Weil man Eigenschaften besitzt, die Einfluß auf die Gesellschaft und die Menschen besitzen. 2. Weil die Umstände einem zu Hilfe kommen. Man scheitert jedoch, wenn das Gegenteil der Fall ist. …

Da das Geheimnis des Erfolges lediglich in der Kunst besteht, die Menschen so weit zu bringen, dass sie dem Gelingen unserer Absichten dienen, muss man zuerst sehen, wie die Menschen in die Elemente des Kalküls [eines erfolgreichen Werdegangs] Eingang finden. … Menschen, die andere benötigen, haben nur eine Möglichkeit, diese so weit zu bringen, dass sie ihren Interessen dienstbar werden, nämlich ihnen zu gefallen.“

 

Jede Profession bringt zwei Aspekte mit sich: die Tätigkeit an sich und das damit verbundene Image in der Gesellschaft. Frank Abagnale geht es um letzteres. Man darf hinsichtlich des ersten Aspektes allerdings nicht vergessen, dass die meisten Berufe nicht im stillen Kämmerlein ausgeübt werden. Man ist zumeist in arbeitsteilige Prozesse eingebunden und insofern wesentlich vom Wohlwollen und den Interessen der daran Beteiligten abhängig.

Wenn wir dem Bekenntnis Jolys Wahrheit unterstellen, sind fachliche Fertigkeiten bestenfalls eine notwendige Bedingung für Erfolg, und erst zusammen mit dem gekonnten Umgang mit anderen werden sie hinreichend. Den Anteil jeder dieser beiden Komponenten am Erfolg wird man am ehesten gewahr, wenn man sie isoliert betrachtet, reine fachliche Kompetenz auf einer Seite und den Menschenkenner auf der anderen. Und diese Trennung der Charaktere finden wir in Catch me if you can vor. Die Geschichte bietet zwei Figuren auf, die die in Rede stehende Teilung verkörpern: Frank William Abagnale jun und Carl Hanratty.  Der eine lanciert mit einnehmender Wesensart und ohne einschlägige Ausbildung gleich mehrere Karrieren als Kopilot, Arzt und Anwalt, der andere folgt in kalkulatorischer Manier seinem Auftrag, akkurat und nüchtern wie ein Schachspieler, getragen von dem Apparat einer Behörde und so nicht darauf angewiesen, sich erfolgversprechend zu verkaufen.

Abagnale und Hanratty sind trotz augenfälliger Gemeinsamkeiten – Hanratty ist wie Frank ein Einzelgänger und Außenseiter, von seinen Kollegen ob seiner Humorlosigkeit und verbissenen Gewissenhaftigkeit abgelehnt – Antipoden.

 

Man beachte, dass Frank betont höflich auftritt, ja, geradezu charmant daherkommt, immer darauf bedacht, bei seinem Gegenüber ein Wohlempfinden (für ihn) zu erzeugen. Hat er sich erst eine Position erlogen, gelingt es ihm, sich dort durch Imitation der typischen Verhaltensweisen (angelernt durch extensives Studium von Fernsehserien) und geschicktes Deligieren („Sind Sie d’accord?“) eine Zeit lang zu halten. Hanratty hingegen wirkt im zwischenmenschlichen Kontakt ausgesprochen spröde, zur Gänze auf die Sache konzentriert. Er käme nie auf den Gedanken gefallen zu wollen, nur um seinen Zielen näher zu kommen; müsste er seinen Lebensunterhalt als Handlungsreisender verdienen, er würde in kürzester Zeit verhungern. Hanratty verfolgt seine Angelegenheiten mit einer Zuverlässigkeit, wie eine informationsverarbeitende Maschine es täte, wenn man sie entsprechend programmierte. Er gehört zu jener Spezies Mensch, die, wie man so schön sagt, zum Lachen in den Keller geht.

 

Hanratty setzt auf wahre Worte, Frank setzt auf schöne Worte. Er hat gelernt: Schmeicheleien sind Falschgeld, das ohne die Eitelkeit der Adressaten keinen Kurswert hätte… Hanrattys Credo lautet: Es kommt im Leben darauf an, wer du bist. Franks Credo hält dem entgegen: Es kommt im Leben darauf an, wie du wahrgenommen wirst. Frank nutzt den Umstand, dass der Orden an der Jacke und nicht an der Brust hängt. Seine einnehmende Art ist gleichsam der Katalysator für die Wirksamkeit seiner Täuschungsmanöver. Letztlich reduziert sich alles auf Täuschung: Was sonst ist die Kunst zu gefallen als die Kunst zu täuschen.

 

Franks Existenz entwickelt sich im Lauf der Zeit zu einer einzigen Camouflage. Als er merkt, dass er mit seinen kleinen Gaunereien, Lügen und Täuschungsmanövern durchkommt, wird er zusehends dreister und selbstsicherer; und was für Frank als ein Durchlavieren durchs Leben beginnt, nimmt für ihn mehr und mehr die Leichtigkeit und Nonchalance eines Spiels an.

 

Seinen ersten signifikanten Auftritt als Hochstapler unternimmt Frank als ihn seine Mutter, der nach der Scheidung das Sorgerecht zugesprochen wurde, nach einem Schulwechsel zum College bringt. Bedingt durch Habitus und Kleidung hebt Frank sich von den anderen Jugendlichen seines Alters ab. Das grenzt ihn aus, aber er beherrscht das Kunststück, diese Ausgegrenztheit in den Augen der anderen in eine exponierte Position umzudeuten. Als er von einem Mitschüler absichtlich angerempelt wird und zudem erfährt, dass er mit dem Rüpel den gleichen Kurs besucht, schlägt er instinktiv mit seinen ureigenen Waffen zurück: gekonnte Hochstapelei. Frank gibt sich kurzerhand als Aushilfslehrer des Kurses aus. Bereits bei dieser Premiere offenbart Frank die Qualitäten des erfolgreichen con artist bzw. con man, wie es im angelsächsischen Sprachraum heißt. Er tritt in seiner Rolle souverän und bestimmt auf ohne die leiseste Unsicherheit oder Schwäche erkennen zu lassen. Als die richtige Lehrerin aufkreuzt, behält er die Nerven und hält sein Trugbild aufrecht. Franks Chuzpe wird belohnt, die Dame zieht empört ob der anscheinend desolaten Koordination des Dienstplans wieder ab. Erst nach einigen Wochen fliegt der Schwindel auf und seine Eltern werden zur Schulleitung zitiert. Die vom Schuldirektor erhoffte Folge – eine erzieherische Maßnahme durch die Eltern – bleibt jedoch aus: vor allem Franks Vater betrachtet die Caprice seines Sohnes weniger als Verfehlung denn als Erfolg.

 

Ein solches Husarenstück gelingt Frank bei anderer Gelegenheit noch einmal: als es Carl Hanratty, seinem strategischen und existentiellen Antagonisten, endlich gelingt, ihn in einem Hotel in Los Angeles aufzuspüren, mimt Frank geistesgegenwärtig einen Agenten des Secret Service, der angeblich an demselben Fall arbeitet. Selbst unter vorgehaltener Waffe Hanrattys gelingt es ihm, seinen ausgesprochen argwöhnischen Verfolger von seiner Mimikry zu überzeugen. Das verschafft Frank den nötigen Freiraum zur Flucht.

 

Dieses Duell in dem ungleichen Katz-und-Maus-Spiel entscheidet Frank Abagnale bravourös für sich, wiewohl er á la long nicht entkommen kann: Hanratty kann sich Fehler leisten, Frank kosten sie den Kopf, wenn er sie macht.

 

Frank verinnerlicht ein Grundprinzip des sozialen Aufstiegs, das ihm sein Vater ans Herz gelegt hat: Um in der Gesellschaft Fuß zu fassen, unternehme man alles, um zu scheinen, als ob man in ihr schon Fuß gefasst hätte, sei es durch Kleidung, Auftreten, passende Verbindungen, wie eine Mitgliedschaft im Rotary-Club, oder sonstige sichtbare Insignien des arrivierten Mannes.

Ausgestattet mit seinen Talenten, Neigungen und Vaters Ratschlägen versucht Frank sich durchs Leben zu schlagen. "Lieber Paps, du hast einmal gesagt, dass ein ehrlicher Mensch nichts zu fürchten hat. Also versuche ich keine Angst zu haben." Vaters Maxime, eigentlich als Lektion gedacht, dass ein ruhiges Gewissen nur mit Ehrlichkeit zu haben ist, wendet Frank zu seinen Gunsten: aus „Wenn du nur ehrlich bist, dann brauchst du nichts zu fürchten“, macht er „Solange du keine Angst erkennen läßt, unterstellt man dir Wahrhaftigkeit“, was, nebenbei bemerkt, korrekt aus Vaters Lektion gefolgert ist.

 

In einem Telefongespräch an Heiligabend, nachdem Frank Carl im Büro angerufen hat, thematisieren sie, wie es Frank bei ihrem ersten Treffen in Los Angeles erfolgreich gelingen konnte, den Agenten vorzuspielen.

„Ich wusste, dass Sie es sind! Ich habe Sie nicht zur Strecke gebracht [seinerzeit im Hotelzimmer], aber ich wusste, dass Sie es sind!“ behauptet Hanratty wenig überzeugend. Dem entgegnet Frank mit einer Bemerkung, deren Wahrheit nicht zu leugnen ist:

„Die Leute wissen immer nur, was sie gesagt bekommen.“

„Dann sagen Sie mir eins: Woher haben Sie gewusst, dass ich nicht in Ihre Brieftasche sehe?“ (Frank hat Hanratty seinerzeit im besagten Hotelzimmer seine Brieftasche übergeben mit der Aufforderung, sich selbst von seiner Identität als Agent des Secret Service zu überzeugen; allerdings in der Erwartung, dass Hanratty von der bloßen Geste der Übergabe schon überzeugt genug sei, was auch funktioniert hat.)

„Aus demselben Grund, aus dem die New York Yankees immer gewinnen: Der Gegner läßt sich von den Nadelstreifen-Trikots ablenken.“ erklärt Frank.

Hanratty verneint seiner Überzeugung folgend mit dem Hinweis auf den Star der Mannschaft, Micky Mantle, sprich, überlegene Spielstärke (fachliche Kompetenz!).

Ohne den Streit zwischen den beiden Auffassungen von erfolgsträchtigem Tun an dieser Stelle entscheiden zu wollen, sei vermerkt, dass die Wirkung richtig gewählter Theatralik, nicht nur im Sport, keine bloße Hypothese ist. Letztlich ist Franks Entkommen Beweis genug für die Wirksamkeit seiner Mittel.

Nun könnte man dem entgegenhalten, dass Frank am Ende, sprich langfristig, doch gescheitert ist und den von Hanratty repräsentierten Leistungsprinzipien unterlegen ist. Allerdings scheitert Frank am Ende nicht, weil seine "Methode" nicht (mehr) funktioniert, sondern weil er es zu weit treibt. Einer der beiden maßgeblichen Fehler, die Frank sich leistet und die letztlich sein Scheitern bewirken, fußt auf dem Umstand, dass er die Grenze des gesetzlich Erlaubten überschreitet; der andere besteht darin, dass er gegen eine Grundregel des Risikomanagements (wie es im Neudeutsch heißt) verstößt: man muss den richtigen Zeitpunkt abpassen, wann man seine Gewinne in Sicherheit bringt. In seinem Handorakel notiert Baltasar Gracian dazu

 

"So machen es alle Spieler von Ruf. Ein schöner Rückzug ist ebenso viel wert als ein kühner Angriff. Man bringe seine Taten, wenn ihrer genug, wenn ihrer viele sind, in Sicherheit. Ein lange anhaltendes Glück ist allemal verdächtig: das unterbrochene ist sicherer und das süßsaure desselben sogar dem Geschmack angenehmer. Je mehr sich Glück auf Glück häuft, desto mehr Gefahr laufen sie auszugleiten und alle miteinander niederzustürzen. Die Höhe der Gunst wird oft durch die Kürze ihrer Dauer aufgewogen; das Glück wird es müde, einen so lange auf den Schultern zu tragen."

 

So ergeht es auch Frank. Das Gesamtvolumen seiner getürkten Schecks nimmt ebenso zu wie die Mannstärke der Einsatzkräfte, die ihm auf den Fersen sind. Er überspannt den Bogen. Als Frank dann auch noch zu allem Überfluss sein Herz an Brenda verliert, eine Krankenschwester in einem Hospital, in das er sich als Oberarzt eingeschlichen hat, gerät er in eine Lage, die ihn mit einer neuen Situation konfrontiert: bislang hat er gänzlich unabhängig operiert, m.a.W. er hat sich an nichts gehängt, wovon er sich nicht im Handumdrehen trennen konnte, wenn er merkte, dass ihm der Boden zu heiß wurde.

Durch Brenda ist plötzlich eine Abhängigkeit entstanden, die seine Bewegungsfreiheit erheblich einschränkt. In einem Anflug von Verzweiflung und Naivität fleht er Hanratty am Telefon an, alles zu vergessen, was bisher geschah und im Gegenzug mit seinen Gaunereien aufzuhören. Hanratty erteilt ihm erwartungsgemäß eine Absage.

Franks Beziehung zu Brenda zieht noch weitere Kalamitäten nach sich. Er ist jetzt genötigt gegenüber Brendas Eltern eine erlogene Existenz aufrecht zu erhalten. Bislang hat Frank nur Fremde belogen, Menschen, denen er nur ein, zwei Male begegnet ist; jetzt ist er gezwungen, Menschen zu belügen, die ihm nahe stehen.

 

In einem Gespräch unter vier Augen bringt Brendas Vater, selbst erfolgreicher Jurist, Frank gegenüber sein Erstaunen über eine derartig exorbitante Karriere zum Ausdruck: „ Anwalt, Arzt, Lutheraner? Wer sind Sie, Frank? Da ich davon ausgehe, dass Sie um die Hand meiner Tochter anhalten, habe ich ein Recht, das zu erfahren.“, „Was zu erfahren, Sir?“ – „Die Wahrheit!“. Während Brendas Vater mit dieser Frage auf den Menschen hinter diesem Werdegang anspielt, ohne die Authentizität der vorgespielten Existenz in Zweifel zu ziehen, interpretiert Frank diesen Vorstoß als Enttarnung und offenbart sich: Anwalt, Arzt, Lutheraner, … alles gelogen! Doch Brendas Vater reagiert auf Franks Beichte anders als man zunächst erwarten möchte: er deutet das Geständnis so, dass die Fassade, die Frank aufgezogen hat, keinen Schaden nimmt. Er tut dies nicht, weil er Franks Identität als Täuschung akzeptiert und entschuldigt, nein, Frank hat sich bereits in sein Herz geschlichen … . Es ist eine landläufige Gewißheit, dass wir alles, was einen uns sympathischen Menschen betrifft (von einem geliebten Menschen ganz zu schweigen), zu seinen Gunsten auslegen. Was wir von einem Menschen denken, hängt davon ab, was wir für ihn empfinden. Werfen wir noch einen Blick in Gracians Handorakel

 

"Das Wesentliche in den Dingen ist nicht ausreichend, auch die begleitenden Umstände sind erfordert. Eine schlechte Art verdirbt alles, sogar Recht und Vernunft; die gute Art hingegen kann alles ersetzen, vergoldet das Nein, versüßt die Wahrheit und schminkt das Alter selbst. Das Wie tut gar viel bei den Sachen, die artige Manier ist ein Taschendieb der Herzen. Ein schönes Benehmen ist der Schmuck des Lebens, und jeder angenehme Ausdruck hilft wundervoll von der Stelle."

 

Frank William Abagnale, ein Taschendieb der Herzen …

 

Dr. Marcus Andreasson

 

Catch Me If You Can

USA 2002 – Regie: Steven Spielberg – Darsteller: Leonardo DiCaprio, Tom Hanks, Christopher Walken, Martin Sheen, Nathalie Baye, Amy Adams, Jennifer Garner, Brian Howe, Ellen Pompeo – Prädikat: besonders wertvoll – FSK: ab 6 – Länge: 141 min. – Start: 30.1.2003

 

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