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Cast Away – Verschollen

Robert Zemeckis Robinson Crusoe-Variante mit Tom Hanks. Nicht übel – bis auf die letzte halbe Stunde.

 

Der Federal Express-Manager Chuck Noland (Tom Hanks) hat einen vollen Terminkalender – heute noch in Moskau bei der Filialengründung, morgen vielleicht schon in Südamerika. Darunter leidet auch die Beziehung zu seiner Geliebten Kelly Frears (Helen Hunt). Als es ihm gelingt, zur Weihnachtsfeier zu Hause zu sein, wird er noch während des Festtagsessens vom Beeper gestört: Der nächste Auftrag wartet. Noch auf dem Weg zum Flughafen verspricht er seiner Freundin, bis Neujahr zurück zu sein – doch das Schicksal will es anders. Sein Flugzeug stürzt ab, und er wird als einziger Überlebender auf einer verlassenen Insel angeschwemmt. Dort muss der zivilisationsverwöhnte Businessman plötzlich mit den primitivsten Mitteln der Natur trotzen – zum Überleben hat er nur, was er auf der Insel findet sowie ein paar angespülte FedEx-Pakete aus dem Flugzeugwrack. Auf sich allein gestellt, wird das Warten auf den Rettungstrupp, dessen Ankunft obendrein nicht sicher ist, für Noland zum physischen wie geistigen Ringen um die Existenz…

 

Robert Zemeckis ist ein interessanter Fall unter den amerikanischen Regisseuren. Diejenigen, die in der Post-New-Hollywood-Ära (also Ende der 70er, Anfang der 80er) oft mit geringen Budgets, z.B. im Umfeld von Roger Corman, ihre Karriere begannen, brachten satirische und kommerzielle Erwägungen zusammen. Der einzige, der auch heute noch in Großproduktionen dieser subversiven Ideologie treu bleibt, ist Joe Dante. Zemeckis hingegen wandte sich zugunsten von geschäftlichen Erwägungen vom anarchischen Geist seines Frühwerks ab. Sein bis heute bester Film, die rabenschwarze Komödie Mit einem Bein im Kittchen, die die Schattenseiten des amerikanischen Traums in dunkelsten Farben ausmalte, hatte eine ungebrochene Rock’n’Roll-Qualität – etwas, was in geringerem Ausmaß auch seinen bis heute berühmtesten Werken, der Zurück in die Zukunft-Trilogie zugute kam. Zugleich tat sich hier ein oft nicht verarbeiteter Zwiespalt zwischen restaurativen Elementen (die 50er-Jahre-Nostalgie der Reagan-Ära) und einer ironischen, oft fast menschenfeindlichen, postmodernen Verarbeitung bekannter Genreelemente auf. (Die Ausnahme bildet die famose Verbindung von Cartoons und realer Welt im grandiosen Falsches Spiel mit Roger Rabbit, wo seine Liebe zur verflossenen Kinowelt der Vierziger seine misanthropischen Impulse überwältigte). Den Höhepunkt erreichte er in dieser Hinsicht wohl mit seinem finanziell erfolgreichsten Werk, Forrest Gump, das sich wahlweise (die ersten zwei Stunden) als Verklärung des vergesslichen amerikanischen Umgangs mit Geschichte oder (die letzte Viertelstunde) als zynische Abrechnung mit derselben lesen lässt. Als sich die US-Öffentlichkeit wenig überraschend für ersteres entschied, bewahrte Zemeckis natürlich Stillschweigen – den Erfolg hat er noch nie zurückgewiesen.

 

Interessant in bezug auf Cast Away ist das alles insofern, als Zemeckis sich jetzt großem, ernsthaften, existenzialistischem Kino zuwendet und gleichzeitig dem Widerspruch in seinem Werk nicht entkommen kann. Hier geht Zemeckis das größte Experiment seines bisherigen Schaffens ein – seine Robinson Crusoe-Variation, in der sich Tom Hanks den Gewalten der Natur stellt (und Zemeckis den einfachsten Mitteln des Kinos) erzählt von den universalen Werten, die dem Menschen erst bewusst werden, wenn er das Selbstverständliche vermisst. Eine achtmonatige Drehpause (die der Regisseur benutzte, um das höchst vergessenswerte Hitchcock-Imitat What lies beneath herauszuschustern) war nötig, damit Hanks nach einer Abmagerungskur glaubwürdig die Veränderung seiner Figur nach jahrelangem Inselleben verkörpern konnte – und doch: letztendlich schneidet sich der Regisseur aus Markterwägungen trotz eines gelungenen Mittelteils wieder ins eigene Fleisch.

 

Man ahnt es schon ein wenig bei den einleitenden Bildern: FedEx-Zustellungen rund um den Erdball erwecken beinahe den Eindruck eines Werbespots für die Firma, bevor am roten Platz die eigentliche Handlung einsetzt. Zeit wird hier großgeschrieben – Hanks kann es gar nicht oft genug betonen, während er eine reibungslos funktionierende Moskaufiliale auf die Beine zu stellen versucht. (Die fehlende Zeit, von der er allein auf der Insel viel zu viel haben wird – subtil war Zemeckis, ganz dem amerikanischen Geist verhaftet, als Erzähler noch nie, aber rasant – auch hier darf Elvis den Rhythmus vorgeben: "I’m all shook up.") Nach einer Serie von einführenden Szenen, die sein Privatleben unter Zeitdruck beschreiben, kommt es noch schnell zur Aussprache und der Andeutung der gemeinsamen Zukunft mit Helen Hunt (die größte Schwachstelle des Films: eine so lustlose Darstellung habe ich gut ein Jahrzehnt nicht mehr gesehen), bevor Hanks das verhängnisvolle Flugzeug betritt.

 

Der Absturz, der dann folgt, ist hervorragend inszeniert: Die Kamera bleibt stets im Inneren des Flugzeugs und fängt den Druck und die Panik der handelnden Figuren überzeugend ein. Der Höhepunkt – der Aufschlag im Wasser als Bersten der Pilotenkabine – ist übrigens eine Hitchcock-Reverenz, direkt übernommen von dessen noch heute beeindruckender Umsetzung eines Flugzeugunglücks in Foreign Correspondent. Aber auch Zemeckis, dessen Umgang mit Spezialeffekten noch nie anzuzweifeln war, lässt sich nicht lumpen: Hintendran setzt er noch ein (etwas überzogenes) Unterwassergetümmel, das Wolfgang Petersens Der Sturm alt aussehen lässt – bevor er nach einer flotten halben Stunde zum Hauptteil seines Films gelangt.

 

Hanks alleine auf der Insel (die überraschend frei von Vögeln und anderem Kleingetier ist, sieht man von den Krabben ab, die Hanks neben Fischen als Ernährung dienen): Das ist das Zentrum von Cast Away (und so kann man den Titel auch als Wortspiel lesen). Gottseidank ohne Musik, beschränkt auf die erstaunliche Präsenz seines Akteurs, widmet sich Zemeckis der mühseligen Kleinarbeit, die zum Überleben notwendig ist, im Detail. Der Kampf ums Öffnen einer Kokosnuss gegen den drückenden Durst wird zur Frage von Leben und Tod. In schrittweisen Versuchen muss der verwöhnte Mensch die Fähigkeiten seiner Ahnen wieder lernen – zuerst ist es ein Steinkeil, den er durch Zufall abschlägt, der ihn ans Ziel bringt. Später wird es ein Schlittschuh aus einem an Land gespülten FedEx-Paket sein, mit dem er solche Aufgaben löst (und mit dem er sich in der schmerzhaftesten Szene des Films von der schon lange quälenden Zahnpein befreien wird).

 

Auch die Umsetzung der geistigen Anforderungen an den zur Einsamkeit Verurteilten wird nicht ungeschickt behandelt: Zuerst spricht Hanks nur mit sich selbst (wie um gegen das endlose Geräusch von Wind und Meer anzukämpfen), schließlich findet er doch noch seinen Freitag. Ein Volleyball, auf dem er einen blutverschmierten Handabdruck zurückgelassen hat, in den er ein Gesicht formt und den er – nach dessen Markennamen – "Wilson" tauft, spielt die zweite Hauptrolle des Films (angesichts von Hunts wenig ansprechender Leistung hat man Verständnis dafür, dass diesem Objekt der Vorzug gegeben wird). In manchmal irrwitzigen, dann wieder verzweifelten, imaginierten Dialogen mit dem Stück Leder ringt Hanks um das Aufrechterhalten humaner Beziehungen. Selbst wenn das Ganze gelegentlich ins Übertriebene lappt, verliert man nicht das Interesse: Angesichts der Extremsituation ist eine extreme Anbindung an diesen Menschenersatz durchaus vorstellbar.

 

Leider entkommt auch der minimalistische Mittelteil nicht ganz dem etwas aufdringlichen Symbolismus, dem sich der Regisseur verschrieben hat: Flügel auf einem Paket als Inspirationsquelle, die stehengebliebene Uhr mit dem Bild seiner Freundin (Zeit! Zeit! Irgendwann hat man es dann doch begriffen.) – als würde Zemeckis der Fähigkeit seiner Zuseher zum eigenen Denken misstrauen, muss er alles groß ausbuchstabieren. Interessanter sind da die Sequenzen, die sich reiner physischer Aktion verschrieben haben: Das langwierige Flechten von Tauen, schmerzliche, Blutschlieren nachziehende Verletzungen unter Wasser, die sich der Held zuzieht, wenn er zu unbedacht ins Meer hinauswill – in solchen Momenten findet Cast Away zu essentiellem Kino, nur um es dann wieder wegzuwerfen.

 

Spoiler: Wer nicht wissen will, wie es weitergeht, sollte hier zu lesen aufhören – es sei denn er hat den Trailer gesehen, wo Herr Zemeckis wie schon beim letzten Film alles verrät: Einen Vierjahressprung macht Cast Away, nachdem sich sein Held auf der Insel eingelebt hat, und ein sichtlich abgemagerter Hanks mit ZZ-Top-Bart hat das Geheimnis des Fischens mittlerweile längst gemeistert. Aber erst nachdem ein halber Plastikcontainer angetrieben worden ist, sieht er seine Chance, von der Insel, deren übermächtige Brandungszone ihn nicht entkommen ließ, zu fliehen, und sei es nur in den Tod. Aus dem Plastikteil wird ein Segelersatz und Hanks zimmert sich ein Floß in die Freiheit: Kaum ist ihm der monumentale Erfolg gelungen, geht es aber auch mit dem Film bergab – ein Blick zurück auf das Inselgefängnis, und schon setzt die aufdringliche Musik ein. Der anstrengende Segeltörn ins Ungewisse wird zwar noch überzeugend absolviert (und Zemeckis gelingt eine wirklich bewegende Metapher: der freie Held Aug in Aug mit einem Wal), aber spätestens nachdem Noland von einem Dampfer halb bewusstlos aufgelesen wird, lässt der Regisseur die Zurückhaltung, die die Stärke seines Films ausmachte, endgültig sausen.

 

Die Rückkehr, die Wiedereingliederung in die verloren geglaubte Zivilisation, ist die zweite Abenteuergeschichte von Cast Away. Und sie begänne vielversprechend absurdistisch: "One of our sons has returned", kündigt der FedEx-Chef die wundersame Rettung des verlorenen Mitarbeiters an. Der Seitenhieb auf die religiös verbrämte Firmenideologien sitzt umso besser, als man gerade das andere Ende des sozialen Spektrums, die atavistische Isolation, gesehen hat. Auch eine Szene, in der Hanks verloren, noch immer unkommunikativ nach einem Wiedersehensfest ungläubig mit einem Gasanzünder und gekochten Krabbenbeinen hantiert – an Feuer und Essen zu kommen, jetzt so selbstverständlich, war eines seiner entscheidendsten Probleme – lässt man gerne durchgehen. Aber das Wiedersehen mit Hunt, die anstelle des vermeintlich Verstorbenen einen neuen Lebenspartner hat, greift Schlag um Schlag tiefer in die Melodramakiste: Kein Gespräch – doch Gespräch – strömender Regen – romantische Versöhnung – und dann doch Trennung, weil es für ihre neue Familie besser so ist. Es sieht leider genauso banal gefühlsduselig aus, wie es sich hier liest. Noch peinlicher ist allemal nur, wenn Hanks einen Freund Länge mal Breite von einem gescheiterten Selbstmordversuch erzählt, den jeder Zuschauer, der nicht mit Blindheit geschlagen ist, ohnehin schon anhand des Vorhergegangenen erkombiniert hat. (Auch als Beschreibung von Hanks’ langsam wiederkehrender Kommunikationsfähigkeit hat die Szene dem Film nichts Neues hinzuzufügen. Über das Symbol der Schlinge sei hier hinweggesehen.)

 

"I had power over nothing" – das Dilemma, das im Zentrum von Cast Away ausgemalt wird, ist scheinbar mehr, als Zemeckis seinem Publikum zumuten will. Also macht er sich am Schluss dann doch noch ans Zimmern eines Vielleicht-Happy-Ends. Die Flügel, die "ihm das Leben retteten", eine Kreuzung – der Scheideweg ins neue Leben – stehen am Ende des Films: Symbole, die uns überzeugen sollen, dass es da draußen zwar Dinge gibt, "that Gilligan never told us", aber dass am Schluss alles zurückführt in die heile Welt der nach der bestandenen Probe leicht bezwingbaren Gesellschaft. So gesehen sollte man sich dann doch lieber Luis Buñuels Robinson Crusoe-Verfilmung anstelle der im Vergleich eindimensionalen Neuauflage ansehen: Da blieben die Geheimnisse intakt.

 

Christoph Huber

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in:www.allesfilm.com 

Zu diesem Film gibt es im archiv der filmzentrale mehrere Texte

 

Cast Away – Verschollen

USA 2000 – Originaltitel: Cast Away – Regie: Robert Zemeckis – Darsteller: Tom Hanks, Helen Hunt, Nick Searcy, Chris Noth, Lari White, Geoffrey Blake, Jenifer Lewis, Peter von Berg – Länge: 143 min. – Start: 11.1.2001

 

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