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Cassandras Traum

Ein unmoralisches Angebot

 

Die Frage nach einem Gott. Das Bewusstsein, einem bestenfalls gleichgültigen Schicksal unterworfen zu sein. Das Mit-, In- und Gegeneinander von Komik und Tragik. Der Witz, der in einem Leben steckt, das nur tragische Erfahrung bietet (und die Tragik in diesem Witz). Der Wille des Menschen zum immer Mehr – intellektuell, materiell, metaphysisch –, der eben doch zum Scheitern verurteilt ist: Nachdem Woody Allen (grob gesprochen) in den 70ern und 80ern diese Fragen etabliert und in den 90ern variiert hatte, scheint er in seinen jüngsten Filmen diese allen’sche Philosophie und Thematik zusammenfassend zu repetieren für alle, die’s noch nicht mitbekommen haben. Das Leben ist halt nur genauso wie anything else, Melindas Geschichte ist mal komisch, mal tragisch, der Zufall einer fallenden Münze wendet das Match, und auf dem Totenschiff geht’s mindestens so fröhlich zu wie im Leben – zumindest muss man da nicht an die vermaledeite Linksfahrweise in England denken… Das Wunderbare und Wundersame ist, dass Allen sich dabei nicht einfach wiederholt, sondern dass er sich selbst und seine Filme immer wieder neu durchdekliniert und dazu noch Filme schafft, die stets weit über dem Standard von Komödie wie Drama stehen und die sowieso nur in Relation zum Woody-Allen-Niveau qualitativ zu bewerten sind.

 

Ein Kreisen um das stets selbe Themengebiet ist das, und nur das Missverständnis, dass es sich vielleicht eben doch lediglich um Selbstplagiate handele, kann man als (schwache) Entschuldigung dafür gelten lassen, dass der Constantin-Verleih kurz vor dem ursprünglich geplanten Deutschlandstart des neuen Allen-Filmes „Cassandras Traum“ im Januar bekannt gab, ihn direkt auf DVD rauszubringen – um dann nach massiven Protesten wieder zurückzurudern. Jetzt startet der Film im Sommer – wahrscheinlich wird es wenig Werbung geben und noch weniger Filmkopien, auch ist die Synchronisation unsorgfältig eingesprochen und gemischt (im Vergleich zur recht hohen Qualität sonstiger Allen-Filme). Doch nicht nur, um dem unwilligen Verleih ein Schnippchen zu schlagen, sollte man dem Film, wo immer es geht, einen Kinoabend schenken; nein, auch weil er auf der Allen-Skala einen höheren Wert anschlägt als der witzige, aber doch nicht vollends überzeugende vorhergehende „Scoop“ (auch wenn „Cassandras Traum“ die stringente Strenge und prägende Prägnanz von „Matchpoint“ nicht erreicht).

 

Niedergang zweier Brüder

 

„Cassandras Traum“ ist – schon der Titel, schon die düsteren Streicherklänge über dem Vorspann deuten es an –, eine Tragödie. Der klassische Niedergang eines Brüderpaares ist von Beginn an vorgezeichnet. Deshalb huscht Allen über die Etablierung der Figuren und ihrer Situation hinweg, geht in medias res, was zu Beginn irritiert. Kauf eines Segelbootes namens Cassandra’s Dream, Gewinn beim Hunderennen, Familienszenen, die Hoffnung auf künftiges materielles Glück und immer wieder der reiche Onkel Howard in den Gedanken der Figuren, von dem die Mutter schwärmt, auf den die Brüder Ian und Terry hoffen: das wird in den ersten paar Minuten abgehandelt, und man merkt, dass Allen hier lediglich der Pflicht der Exposition nachgeht. Wie später im Film auch wird alles Überflüssige weggeschnitten, denn nur das Drama interessiert. Und wenn es sich entfaltet, das Spiel mit Schicksal und Tod, dann geht Allen ganz unerbittlich und mit bitterer Ironie vor – und seine beiden Stars, Ewan McGregor und Colin Farrell, kommen ebenfalls immer mehr ins Spiel, je mehr Raum sie haben. Wobei man Farrell und McGregor ihr working class-Milieu (zumindest in der deutschen Sprachfassung) nicht abnimmt; denn der Film verleugnet nie, dass Handlungs- und Figurenkonstellation ein Konstrukt ist.

 

Farrell spielt Terry, den Automechaniker, der gerne spielt und dem das Glück phasenweise zugetan ist – und ihn dann auch wieder verlässt. McGregor als Ian hilft im väterlichen Restaurant und hofft auf hohen Gewinn durch ein finanzielles Investment in ein ganz offensichtlich windiges Immobiliengeschäft, für das er Geld auftreiben muss. Für die materielle Basis soll Onkel Howard sorgen, der Schulden tilgen und Kapital bereitzustellen verspricht, gegen eine kleine Gegenleistung.

 

Die Klarheit, mit der Allen sein Gefüge darstellt, ist elementar, von der raschen Eindeutigkeit der Verhältnisse und der Konzentration auf das Wesentliche bis zur deutlichen Symbolik: eines schicksalhaften Wendepunktes etwa, wenn Ian in seinem Wagen umkehrt, um einer schönen Unbekannten mit Autopanne zu helfen, in die er sich dann unweigerlich verliebt; oder des Wetters, das zu einem Gewitter umschlägt, als Onkel Howard sein unmoralisches Angebot unterbreitet. Diese inszenatorische Ökonomie enthält aber auch immer wieder metaphorische Subtilität: Howard wird von Anfang an als eine Art ferner, aber gütiger und helfender Gott etabliert, mit Geld und Kontakten nach Hollywood, für Ians anspruchsvolle Schauspielerfreundin Angela. Von der Mutter wird er angebetet, Ian und Terry stehen jammernd und bettelnd wie kleine Jungs ihm gegenüber, der von der Parkbank aus Vergebung verspricht – doch auch die Gnade hat ihren Preis. Gott Howard fordert als Opfer das Leben eines Mannes, der ihn vom Himmelsthron zu stürzen droht. Und prüft damit seine Jünger, stellt die Gretchenfrage nach dem Gewissen.  

 

Mord und Moral

 

Ian und Terry werden zu Teufelchen und Engelchen im Diskurs über pragmatische Rechtfertigung und moralische Bedenken vor einem Mord. Der Moral fehlen die Worte, dem „Das ist einfach falsch“ steht die eloquente Argumentation von Geld und Glück und Hoffnung auf ein besseres Leben gegenüber – und hinter allem das „Enttäuscht mich nicht“ von Onkel Howard.

 

Wie kann man leben mit der Schuld, wie sie rechtfertigen? Und was zieht sie nach sich, in Bezug auf sich selbst und auf die anderen? Und: lohnt es sich, sie auf sich zu nehmen? Ians Freundin Angela erklärt eiskalt, dass sie für einen Film auch mit dem Regisseur schlafen würde; es käme halt auf die Rolle, den Filmemacher und den Alkoholgehalt im Blut an. Wo ist die Grenze – erst beim Auslöschen eines Menschen? Hier sind wir wieder auf Allens ureigenem Feld, ein Heimspiel im Londoner Filmexil, das sich bei Allen als neues Setting etabliert hat. Nicht mehr um die Belustigung über die eigene Kaste der jüdischen New Yorker Intellektuellen-Schickeria geht es, sondern um das archetypisch Menschliche in Form eines künstlerisch konstruierten Falles, der sich am klassischen Vorbild orientiert und nur noch sehr versteckt das kokett Autobiographische enthält, das einstmals eines von Allens Markenzeichen war: Angela steht jeden Abend nackt auf der Bühne (was im Film natürlich nicht zu sehen ist) wie Ende der 60er Diane Keaton in der Original-Broadway-Produktion von „Hair“, und ihr Vater ist Taxifahrer wie Allens wirklicher Vater.

 

Das Ende des Films, die Frage nach dem bleibenden Wert einer Moral von der Geschicht, vergeht wieder sehr rasch in größtmöglicher Knappheit. Denn zum Scheitern menschlicher Ambitionen hat Allen nun wirklich schon alles gesagt, und wiederholen will er sich ja nicht.

 

Harald Mühlbeyer

 

Dieser Text ist zuerst erschienen bei: screenshot

 

Cassandras Traum

Cassandra’s Dream

USA 2007. Regie, Buch: Woody Allen. Kamera: Vilmos Zsigmond. Musik: Philip Glass. Produktion: Letty Aronson, Stephen Tenenbaum, Gareth Wiley.

Mit: Ewan McGregor (Ian), Colin Farrell (Terry), Tom Wilkinson (Howard), Hayley Atwell (Angela), Sally Hawkins (Kate), Phil Davis (Martin Burns).

Verleih: Constantin

Länge: 108 Minuten

Dt. Start: 05.06.2008

 

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