zur
startseite
zum
archiv
Carla’s
Song
Zwischen
zwei Ländern
Mit
dem Doppeldecker-Bus zu den Sandinistas
Am
Anfang könnte es noch eine Komödie werden. Ein kauziger Busfahrer
chauffiert einen riesigen roten Doppelstöcker durch Glasgow, verliebt sich
in eine kaum des Schottischen mächtige, exotisch schöne Schwarzfahrerin,
verkracht sich zum Vergnügen der Zuschauer mutterwitzelnd mit seinen Vorgesetzten
– und muß sich von seiner gescheiteren kleinen Schwester erklären
lassen, wo Nicaragua liegt, und daß da gerade, 1987, Krieg ist. Eine Schulfunk-Attitüde,
gewiss, aber schon nach den ersten Minuten lieben wir alle Figuren, und aufs
natürlichste (auch wegen der dokumentarartigen Kamera) verbinden sich romantic
interest des Personals und politisches Interesse des Projekts. Und sogar ein
eigentlich stereotyp startendes Flugzeug sieht aufregend alltäglich aus
wie eine abgeschabte Fußleiste.
Regisseur
Ken Loach wollte den Kampf wieder aufnehmen, den die siegreiche Sandinisten-Revolution
in Nicaragua inzwischen wieder zu verlieren drohte. Er hatte gerade zum zweitenmal
einen "Felix" für den besten europäischen Film gewonnen
(mit Land
and Freedom,
wo eine Liebesgeschichte im Spanischen Bürgerkrieg scheitert, aber auf
der richtigen Seite), und er hatte seit Jahren an einem Drehbuch über Landreform,
Alphabetisierungs-Kampagne und US-gesteuerten Contra-Terrorismus gearbeitet.
1995, kurz vor dem Ende der gemäßigt konservativen Regierung Nicaraguas
(1990 unter massivem Druck der Weltbank ins Amt gewählt), konnte er Carla’s
Song
endlich beginnen.
Und
legte auf das Skript des Menschenrechts-Aktivisten Paul Laverty ganz viel spröde
Poesie. Mal fährt der rote Riesenbus, entführt von Robert Carlyle
(der Begbie aus Trainspotting),
ins neblige Hochland, mal verrätselt seine neue Freundin (Dyanka Cabezas,
Tänzerin im nicaraguanischen Revolutions-Ballett, die extra für Ken
Loach Englisch lernte) ihre Vergangenheit mit einem Berg ungeöffneter Briefe
aus der Heimat … und schneidet sich die Pulsadern auf.
Von
da an kann es nicht mehr gut ausgehen. Auch wenn sich alle sehr bemühen.
Zum Beispiel mit einer Reise nach Nicaragua, wo die Contras, nach Angriffsplänen
der CIA-Satellitenaufklärung, Schulen überfallen, die die UNESCO gerade
als weltweit vorbildlich gelobt hatte. Und wo der frühere Freund Carlas
als dunkler Fleck auf ihrer Seele wartet. Das Drehbuch wird ein bißchen
konfus (wohl weil Ken Loach strikt chronologisch dreht, aber nur 5 Wochen im
Land Zeit hatte, das derweil unaufhaltsam verelendete). Kurz nach Abschluß
des Films übernahmen die Rechten ganz die Macht … und wie schlimm es
seitdem wurde, erläutert das Informationsbüro Nicaragua, das Handzettel
bei jeder Vorführung auslegen will.
Im
Nicaragua-Teil von Carla’s
Song
fallen die Elemente des Konzepts nun auseinander. Viel sympathische Volksnähe
(Party bei Compagneros, Schulunterricht für knorrige Bauern, "Was
baut denn ihr in England an?", "Ich weiß nicht – Whisky?")
– etwas politische Bildung (früher 350 Hektar für einen Bonzen – heute
für 40 Familien) – und ein bißchen packendes Schauspiel. Besonders
Scott Glenn (der extra für Ken Loach Spanisch lernte) als fluchender Ex-CIA-Agent,
Jetzt-Friedensarbeiter und Haudegen zur rechten Zeit ("Ich dachte, du wärst
Pazifist?" "Resigned") macht bleibenden Eindruck. Die Poesie
(Carla findet ihren zum Krüppel gefolterten Freund, singt ihm Revolutionslieder
vor – und schickt den Schotten nach Hause) steht quer dazu. Zu karg für
plattes Pathos (ein Extra-Lob für die Filmmusik von George Fenton, der
von Elton John bis Victor Jara virtuos Atmosphären adaptiert), aber auch
zu wenig schlüssig eingebunden für den offensichtlichen Kunst-Anspruch.
Ein
von den Contras zerschossener Bus steht als Mahnmal mitten im Film. So wie der
komisch im Moor festgefahrene Doppeldecker am Anfang. Diese beiden Enden der
Bewegung wären wirksamere Symbole – wenn die Wirklichkeit nur nicht so
verzweifelt wäre.
Wolfgang
Ueding
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
zur
startseite
zum
archiv