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Camera (2000)
Leben und Tod
und Filmen
(Eine
Uhr tickt) Etwas Märchenonkelgeruch liegt in der Luft, als ein in die Jahre
gekommener Schauspieler, der seine besten Zeiten hinter sich habe, Folgendes
erzählt: Eines Tages hätten die Kinder eine altmodische Kamera gefunden
(eine ehrwürdige Panavision wird durchs Bild geschoben) und sie würden
den betagten Mimen gerne ins kinematographische Blickfeld setzen. Er
aber fürchtet sich.
"I
had a dream a long time ago, before I had achieved anything professionally.
I dreamt I was in a cinema watching a movie with an audience…. And suddenly
I realized I was aging rapidly…, growing horribly old as I sat there, and it
was the movie that was doing it. I had caught some kind of disease from the
movie and it was making me grow old, bringing me closer and closer to death…"
(Der Erzählende
lacht, wie es nur ein am Galgenbaum Hängender zu tun pflegt) "I woke
up terrified."
Nicht von ungefähr ist es
eine antiquierte Kamera, mit der die Kinder den Alten gar nicht böswillig
konfrontieren. Jugendliche Frische erforscht wissbegierig das Gerät, das
des Gealterten Blut in angsterfüllte Wallung bringt (augenscheinlich ruhig sitzt
er mit schwarzem Pullover auf einem Stuhl in weißer Küche). Sein
Gesicht führt einen Monolog wie seine Stimmbänder auch und beides
verrät das intuitive Vorwissen über den Schrecken eines zukünftigen
Moments. In seinem Antlitz liegen müde Augen und Falten, ein greifbares
Gefühl von Melancholie und Gefasstheit. Irgendwie aber auch ein latentes
Zittern (die Handkamera bespäht sein Gesicht, nähert sich dann bedächtig
dem Objekt wie ein Expeditionsforscher, der einem fremden Wesen zuleibe rückt,
und macht knittrige Entdeckungen).
"Mit einer Kamera ist
das etwas Intimes, die Kamera saugt dich auf wie ein Staubsauger." (Werner Schulze-Erdel)
Der Staubsauger hat bereits gesaugt.
Aufgezehrt scheint der Mann, im Traum schon hat Film die persönliche Unverletzlichkeitsbarriere
durchbrochen. Und die Trübsal speist sich aus der Gewissheit über
die Vergänglichkeit des eigenen Lebens, allen Lebens. Die Kinder blühen,
er verwelkt. Ohne sich dessen wirklich bewusst zu werden, dass es also geschieht
jetzt gerade, an diesem Tag, in dieser Sekunde, so schreitet der Prozess des
Alterns unermüdlich voran. Schleichend auf Sohlen; ein Blick in den Spiegel
genügt für die Realisierung der Runzelwerdung des Körpers nicht.
Ein Film aber führt den unvermeidbaren Gang der Zeit vor, indem er sie
konserviert, gleichfalls, anders als ein Foto, die Lebendigkeit, die des Augenblicks,
der im nächsten derselbe schon nicht mehr ist und derselbe auch nie mehr
sein wird. Ja, liegt hierin nicht eine schöne Ironie begraben, dass es
ausgerechnet das tote Material ist, welches das Lebendige balsamiert?
Es ist also eine Kamera, eine
wirklich sehr alte, die sich den Argwohn des Schauspielers zugezogen hat – da
das Filmen des Moments den Tod des Moments festhalte. Vielleicht jedoch wäre
dies nur ein Anflug melancholischen Sinnierens, meint der Mann. Warum den Kindern
nicht ihren Spaß lassen? (zum ersten Mal durchschifft so etwas wie Entspannung
seinen Körper; die Kinder präparieren das Set, präparieren ihn,
setzen das Make-up auf) Action! (die Kamera läuft; vor einer Minute noch
fuhr sie wie ein Alien durch den Flur)
Daniel Szczotkowski
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: wwwofdbde
Camera
Kanada
2000
Länge:
6 Minuten
Regie:
David Cronenberg
Drehbuch:
David Cronenberg
Produktion:
Jody Shapiro
Musik:
Kamera:
André Pienaar
Schnitt:
Ronald Sanders
Besetzung:
Leslie Carlson
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