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Butterfly
Effect
Das manipulierbare
Rad der Zeit – über "The Butterfly Effect" und die Fragen des
Zeitreisefilmes
Bei all den Paradoxien, mit denen
der Zeitreisefilm zu kämpfen hat, beinhaltet sein Wesen selbst ein vermeintlich
fundamentales Problem, wenn es darum geht, ihn einer Analyse zu unterziehen.
Zeitreisefilme sind Gedankenexperimente. Sie sind nicht der Möglichkeit
eines Nachweises unterworfen und bewegen sich deshalb in einem Vakuum, in einem
freien Raum, in welchem der Kritik die Luft zum Atmen fehlt. Wie lässt
sich schon eine fiktionale Logik rügen, die außerhalb aller Erfahrung
liegt? Das Sein des Wurmlochs oder des kosmischen Strings, des Zeitportals oder
der Zeitmaschine muss akzeptiert werden. Die konsequente Befolgung einer spezifischen
Filmlogik lässt sich hingegen hinterfragen. "The Butterfly Effect"
ist ein Film, dem einiger Stoff zur Hinterfragung innewohnt. Die Zeitreise selbst
als Filmgegenstand entzückt den Phantasten und konfrontiert ihn mit faszinierenden
hypothetischen Fragen. Ein reizvoller Zeitreisefilm stellt viele solcher Fragen,
aber vermeidet es, sie zu beantworten. "The Butterfly Effect" ist
ein sehr reizvoller Film.
Zugrunde liegt ihm keine Zeitmaschine
oder ein sonstiges physikalisches Transportphänomen, sondern ein ganz simples
psychologisches Prinzip: die Zeitreise durch Erinnerung. Alles spielt sich im
Kopf des Protagonisten Evan Treborn ab. Buchstäblich verschwimmt die Gegenwart,
wenn er in seinen Tagebüchern zu lesen beginnt; das längst Vergangene
wird in seinem Schädel für einige Sekunden ein zweites Mal gelebt
und kann verändert werden. Bei Treborns Vater, der Fotos als Gedächtnisstütze
benutzte, führte dies irgendwann geradewegs in die Nervenklinik, bei seinem
Großvater zumindest, soviel verrät der Director’s Cut, zu psychiatrischer
Behandlung, was nur einen Schluss zulässt: Diese Fähigkeit wurde väterlicherseits
von Generation zu Generation weitervererbt.
Es muss also nicht immer eine
mehr oder weniger komplizierte fiktive Mechanik als Prämisse dienen, sondern
denkbar ist auch eine biologische Voraussetzung, in diesem Falle ein genetisches
Unikum. In "The Butterfly Effect" ist die Zeitreise folglich eine
individuelle Gabe, was sofort eine spezielle, ambivalente Frage aufwirft: Handelt
es sich überhaupt um eine Gabe? Oder ist alles erstens nicht vielleicht
ein Traum? Vor allem die Definition des Zeitreisens als einen hier rein psychischen
Akt verführt zu dieser Interpretation. Um es sich ganz einfach zu machen,
lässt sich das Alles-ist-möglich-Gesetz des Traumes für solche
Problemstellungen immer gerne herbeirufen. Für Bress’ und Grubers Film
wäre es die ermüdende, alle Ungereimtheiten bereinigende Rundumlösung.
Die weitaus größere
Herausforderung bietet schlechterdings die Ebene, die den Traum ausschließt
und das Geschehen als "real" im filmischen Sinne einstuft. Auch dann
stellt sich die Frage: Handelt es sich um eine Gabe? Oder ist das Zeitreise-Gen
zweitens nicht vielleicht ein Fluch? Dafür sprechen das Unglück, das
mit jeder neuen Veränderung der Vergangenheit immer wieder neu hereinbricht,
und die hiermit verbundene seelische Last, die schon den Vater erdrückte,
sowie ein Bild der medizinischen Beunruhigung, das der Film zeichnet, wann immer
sein Protagonist wieder im Computertomographen landet, als sei es nur noch eine
Frage der Zeit, bis ihm der Kopf platzt. Diese periphere Skizze aber wird später
fallengelassen und zerknüllt, sodass sie lediglich eine temporäre
Bedrohung darstellt. Dagegen scheinen die Enden beider Filmversionen der Fluchthese
zu widersprechen, indem sie offenbaren: Der Eingriff in das schon Geschehene
kann zu glücklicheren Umständen führen. Der Haken jedoch: Nur
müsse dafür – so die Botschaft des Regie- und Autorenduos – ein gewaltiges
Opfer gebracht werden.
Für jenen Eingriff in den
Gang der Dinge muss sich der Zeitreisefilm ein Konzept zurechtgelegt haben.
Denn hiermit verbindet sich die allgegenwärtige konjunktivische Masterfrage:
Was wäre wenn? Die Doktrin von "The Butterfly Effect" leitet
sich aus seinem Titel ab: Schmetterlingseffekt. Der Flügelschlag eines
Schmetterlings kann auf dem anderen Teil der Welt einen Orkan auslösen.
Oder: In Japan bebt die Erde, weil irgendwo in Deutschland eine Mücke gegen
einen Laternenpfahl flog. Die Kleinigkeit und ihre große Wirkung. Der
Schmetterlingseffekt fußt auf der Chaostheorie; und diese wiederum auf
den Maximen des Zufallsprinzips und der Kausalkette. Am Anfang steht eine Veränderung
in der Vergangenheit als Ursache, am Ende die in der Gegenwart zu beobachtende
Wirkung.
In der "Simpsons"-Halloweenfolge
"Furcht und Grauen ohne Ende" funktioniert Homer in der zweiten Episode
bei einer Reparatur unbeabsichtigt einen Toaster zu einer Zeitmaschine um und
findet sich im Zeitalter der Dinosaurier wieder. Dort bringt er, manchmal mehr,
manchmal weniger versehentlich, prähistorische Kreaturen um (Flügelschlag),
was in der Gegenwart jedes Mal weitreichende Folgen hat; mitunter haben alle
Gelblinge plötzlich Froschzungen oder werden nun von Flanders regiert (Schmetterlingseffekt).
Für Bress’ und Grubers Film ist dieses Prinzip essentiell. Überall
finden sich solche Dominoreihen; auf ein prägendes Ereignis, einen umgefallenen
Stein folgt eine Konsequenz, die zu weiteren Anstößen führt.
Die Entwicklung eines Charakters reduziert der Film auf Schlüsselerlebnisse
im Leben, mit denen das erste Filmdrittel (im Kindes- und Jugendalter spielend)
geradezu überladen ist.
Der Moment, der im Zeitreisefilm
den Eingriff in das Ereignis besiegelt, eröffnet einen alternativen Weg,
um den sich in "The Butterfly Effect" alles dreht. Was wäre wenn?
Dieser Konjunktiv erhält nun seine Antwort. Im Speziellen stellt dies an
die Darsteller von Kayleigh, Tommy und Lenny (Amy Smart, William Lee Scott,
Elden Henson) die Forderung der Wandlungsfähigkeit. Jeder von ihnen wird
zu einem Chamäleon und darf jeweils mindestens die entartete und die ideal
entwickelte Variante seiner Figur zur Schau stellen. Mit einer Alternative persiflieren
Bress und Gruber überdies ganz hinreißend die Welt der Studentenverbindungen.
Doch nicht nur ein spleeniges Klischee nach dem anderen wird dort vorgeführt.
Ebenso zeigt sich, dass allein
der Zeitreisende – logischerweise eigentlich – nicht dem Wandel ausgesetzt ist,
der sein Umfeld erfasst, Sein Ich ersetzt sich selbst. Doch muss es sich dabei
fragen: Wer war ich überhaupt, den ich ersetzte? Wer war dieser Evan Treborn,
bevor ich in sein Kostüm schlüpfte? Nur für uns bleibt Evan Treborn
der selbe Evan Treborn; ob in Slackerklamotten oder Footballjacke. Die
Zeitreise ist also immer auch eine Frage der Perspektive und setzt, um als solche
überhaupt wahrgenommen zu werden, mindestens einen Mitreisenden voraus.
Im Film, im Buch, im Hörspiel sind wir es selbst, die Zuschauenden, Lesenden
oder Hörenden. Besonders spannend wird es, wenn sich das Gedankenspiel
jedoch einmal nicht auf die Timetraveller-Perspektive fokussiert. In "The
Butterfly Effect" reist Treborn in die Vergangenheit, ändert ein Ereignis
und kehrt in eine veränderte Gegenwart zurück. Was aber passiert eigentlich
während dieses Vorgangs im Jetzt? Bricht dieses Raum-Zeit-Konstrukt zusammen?
Oder bleibt es bestehen, weil eine Parallelwelt entsteht? Wie also setzt sich
das Leben des Nicht-Zeitreisenden fort, nachdem der Zeitreisende in seine Vergangenheit
eingriffen hat?
Der Zeitreisende ist diesem Problem
nicht ausgesetzt, dafür aber taucht bei ihm eines ganz anderer Natur auf.
Es stellt sich die Frage, wie sich überhaupt der Punkt auf der Zeitachse
bestimmt, der seine Rückkehr in die Gegenwart markiert? Gelegentlich wird
dieser Konflikt gelöst, indem sich mithilfe einer Maschine ein fester Rückkehrzeitpunkt
datieren lässt (selten allerdings sekundengenau, "Zurück
in die Zukunft").
In vielen Fällen jedoch wird die Bredouille
umgangen, indem man sie ignoriert, oder aber einer unirdischen Gesetzmäßigkeit
unterworfen, nach der Beginn und Rückkehr ein und denselben Punkt im Zeitkontinuum
der Gegenwart bilden. Zu guter Letzt verbleiben Exemplare wie "The Butterfly
Effect", deren Methode auf reiner Willkür basiert. Es hat den Anschein,
als kehre der Protagonist zeitlich stets dort in die Gegenwart zurück,
wo er sie verließ. Dem allerdings widerspricht vor allem eine Szenerie
im Auditorium, die zweimal erlebt wird.
Bress und Gruber erlauben sich
dabei einen kleinen Gag, wenn ein Student zunächst nach einer absolvierten
Prüfung, völlig überzeugt von seinem Bestehen, durchs Bild hüpft
und sie dann im zweiten Durchlauf die Erklärung für diese Überzeugung
liefern: Der Typ spickte. Zur Kenntnis genommen wird dabei auch: Nichts hat
sich in dessen Handlungsmuster verändert. In einer anderen Szene sitzt
Treborn im Gefängnis und liefert seinem gottesfürchtigen Knastbruder
einen Beweis für seine übersinnliche Fähigkeit, indem er sich
in der Vergangenheit als Grundschüler die Hände durchsticht, was in
der Gegenwart Stigmata zur Folge hat. Zur Kenntnis genommen wird wiederum: Bis
auf die Narben an Treborns Händen hat sich nichts verändert.
In Zeitreisefilmen steckt der
Teufel oft im Detail und so stehen jene Szenen paradigmatisch für ein konzeptionelles
Zerwürfnis, das speziell diesem Werk anhaftet. Der Chaos anrichtende Flügelschlag
des Schmetterlings, er existiert in diesem Film nicht wirklich. Sein Leitsatz,
seine Chaostheorie ist im Grunde eine stark aufs Wesentliche reduzierte, die
dem Pragmatismus weichen muss. Denn der Zeitreisefilm hat es freilich nicht
leicht. Er bewegt sich auf Glatteis und läuft Gefahr, auf seiner eigenen
Logik auszurutschen. Überwiegend gelingt es Bress und Gruber, die Balance
zu halten. Teilweise kommen sie arg ins Schlittern, manchmal aber stürzen
sie auch.
Der Zeitreisefilm, der dem argusäugigen
Zuschauer am wenigstens Angriffsfläche bietet, arrangiert sich trotz seines
fiktionalen Charakters mit kausalen Zusammenhängen und jongliert nicht
mit der Logik. In "The Butterfly Effect" geschieht dies jedoch insbesondere
in zwei Szenen: Eine zeigt den jungen Evan Treborn mit einem Küchenmesser
in der Hand; durch eine Zeitreise erklärt sich ferner, wofür er es
benötigte. Im anderen Fall hat Treborn in der Schule ein brutales Bild
gemalt; auch dessen Entstehung begründet sich neuerlich durch eine spätere
Zeitreise. Es illustriert übrigens die zwei Nazis aus der Gefängnisepisode;
Treborn versuchte durch diese gewalttätige Phantasie die Wut aus der ihm
widerfahrenen Erniedrigung (eine Vergewaltigung, die nur der Director’s Cut
andeutet) zu kompensieren. Diese zwei Situationen werden in der ersten, von
Zeitreisen unbeeinflussten Gegenwart als Blackouts wahrgenommen (Treborn kann
sich nicht erinnern, dass Messer genommen und das Bild gemalt zu haben) und
dürften dort im Grunde gar nicht existieren. Jene mysteriösen Blackouts,
die Jugendsymptome der Anomalie, implizieren – so das Dogma von Bress und Gruber
– eine Lücke zur späteren Modifikation. Küchenmesser– und Bild-Szene
aber dokumentieren bereits modifizierte Situationen, was nicht möglich
ist. Das noch kommende Ereignis kann es in der ersten, unveränderten Gegenwart
nicht geben.
Zum Schluss stellt sich das Credo
der Blackouts dann noch einmal selbst in Frage. Alles hat ein Ende, nur dieser
Film hat zwei (bzw. sogar vier, wenn man die in den Deleted Scenes enthaltenen
Alternativen mitzählt). Sowohl Kinofassung als auch Director’s Cut greifen
nun nicht mehr auf Tagebuchaufzeichnungen, sondern auf Videoaufnahmen zurück.
Plötzlich simplifiziert sich das Prinzip, Blackouts scheinen keine Rolle
mehr zu spielen, jetzt ist offenbar die Rückkehr zu jedem beliebigen vergangenen
Zeitpunkt möglich, solange ein Video dazu als Gedächtnisstütze
vorliegt. Dennoch besitzen beide Versionen gleichwohl ihren Reiz. Ungeachtet
dessen ist das Ende des Director’s Cut das weitaus groteskere, das den Zuschauer
um eine Erkenntnis bereichert und rückblickend in den zusätzlichen
Szenen durchaus ankündigt wird. (Wer es noch nicht kennt und es sich bewahren
will, möge den folgenden Absatz nun unbedingt überspringen.)
Das erste Puzzleteil ist eine
Wahrsagerin. Sie behauptet, Evan Treborn hätte keine Lebenslinie, er dürfte
gar nicht existieren. Das zweite Detail folgt sogleich, als seine Mutter ihm
von ihren Fehlgeburten erzählt. Die Konsequenz für Treborn und zugleich
wohl eines der bizarrsten Bilder der letzten Jahre: der Selbstmord im Mutterleib;
ein Fötus im trüben Fruchtwasser, der sich mit der eigenen Nabelschnur
stranguliert. Danach ist alles gut. Im Schnelldurchlauf erschließt sich
das Glück in dieser Variante, in der es Evan Treborn nie gegeben hat. Seine
Mutter heiratet wieder und hat eine Tochter zur Welt gebracht (Sie wird daher
diesmal auch keine Kettenraucherin). Der "Fluch" ist gebrochen, verraten
Bress und Gruber im Audiokommentar. Doch leider auch nur dort. Der Director’s
Cut versäumt Derartiges zu erwähnen und zieht die Möglichkeit
in Betracht, das Zeitreise-Gen könnte nach wie vor weitervererbt worden
sein. Dass sich Treborns Umfeld nach der Auslöschung seiner Existenz allseitig
glücklich entwickeln würde, ließ sich für ihn freilich
ohnehin nicht absehen.
Doch das ist bezeichnend für
den Zeitreisefilm. Er rotiert um Eventualitäten und Alternativen und greift
nur die auf, die ihm willkommen sind, während er die ungünstigen unter
den Teppich kehrt und dies in gewisser Weise auch muss, um konzipierbar zu bleiben
und sich nicht in einem labyrinthischen Netz der Hypothesen zu verfangen. Der
Film von Eric Bress und J. Mackye Gruber hat sich nicht verirrt und empfiehlt
sich bereits alleine aufgrund seiner mannigfaltigen Diskursmöglichkeiten
über die Zeitreise. Darüber hinaus mangelt es "The Butterfly
Effect" übrigens nicht an unbequemen Sujets wie etwa Pädophilie.
Aber das ist eine andere Geschichte.
Daniel Szczotkowski
Dieser Text ist zuerst erschienen
bei: www.ciao.de
Butterfly
Effect
USA
2004 – Originaltitel: The Butterfly Effect – Regie: Eric Bress, J. Mackye Gruber
– Darsteller: Ashton Kutcher, Amy Smart, Melora Walters, Elden Henson, William
Lee Scott, John Patrick Amedori – Prädikat: besonders wertvoll – FSK: ab
16 – Länge: 114 min. – Start: 26.8.2004
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