zur
startseite
zum
archiv
Buster’s
Bedroom
BUSTER’S
BEDROOM ist ein wunderhübscher, phantasiereicher und humorvoller Film,
in dessen Bildwelt und Sprache ich mich schnell verliebt habe. Das ist eine
schlechte Voraussetzung für eine Kritik, an deren Ende erklärt werden
muß, warum Rebecca Horn vielleicht doch nicht der großartige Film
gelungen ist, mit dem sie früher oder später eine neue Synthese zwischen
Malerei und Kino schaffen wird.
Wieder,
wie schon in LA FERDINANDA (1981), geht es um das Eindringen in einen magischen
Raum, in dem sich Menschen versammeln, die damit beschäftigt sind, sich
selbst zu inszenieren. Es sind Wesen, die Sich in Kunstwerke verwandelt haben
und auf das Eindringen der „Wirklichkeit" mit Verstörung, Gewalt und
Reorganisation ihrer ästhetischen Erscheinung reagieren. An die Stelle
der Medici-Villa ist nun das Nirvana House, ein Luxus-Domizil für weltflüchtige
„Kranke" getreten, in dem sich einst Buster Keaton, von Nervenzusammenbrüchen
und Alkoholabhängigkeit gezeichnet, aufgehalten haben soll. Der Film beginnt
mit Buster Keatons Augen auf einer Collage, und in der nächsten Szene fährt
die Heldin, Micha, mit verbundenen Augen den Highway entlang. Auf der Suche
nach Spuren von Buster Keaton gerät sie schließlich ins Nirvana House.
Dort
hat gerade die Krankenschwester den opiumsüchtigen Arzt durch ein kleines
Versehen umgebracht, so daß die Patienten auf sich selber angewiesen sind.
Zu allem Überfluß hat sich eine Kommission angesagt, die das Hospital
inspizieren will. Es bleibt nichts anderes übrig, als daß einer von
ihnen die Rolle des Arztes übernimmt. Die Wahl fällt auf O’Connor,
der sich im Keller mit seinen Schlangen zu beschäftigen pflegt. Donald
Sutherland gibt ihn mit hinreißend gefährlicher Sanftmut: Die Welt
der Alltagslogik entschwindet, wenn langsam und dann umso intensiver ein Lächeln
des Verstehens über seine Züge geht. Sutherland, der ganz und gar
der Versuchung zur Selbstparodie widersteht, läßt ahnen, was das
sein mag: Innenwelt. Die anderen Patienten sind Diana Daniels (Geraldine Chaplin,
verbitterter denn je), die sich selbst zur Reglosigkeit im Rollstuhl verurteilt
hat, für O’Connor ein Muster an Disziplin und Freiheit, die Diva Serafina
Tannenbaum, die inmitten ihrer Schmetterlinge lebt und von Zeit zu Zeit Filmszenen
nachspielt, der Musiker Lenny Silver, der an der Unvollkommenheit des Pianos
leidet, und Mr. Warlock, der aussieht wie eine Wespe und die Angewohnheit hat,
wie ein freundlicher Succubus in anderer Leute Betten aufzutauchen. Für
die alltägliche Ordnung ist James, der Gärtner, zuständig.
Während
O’Connor die Rolle des Chefarztes ausfüllt, ordert James telefonisch Verpflegung
und dann zwei Aushilfsschwestern, deren eigentliches Interesse allerdings dem
Showbusiness gilt. Als Micha auf der Suche nach Buster Keaton ins Nirvana House
kommt und für ein Mitglied der Kommission gehalten wird, funktioniert das
Rollenspiel bereits prächtig. Nach einem kleinen Unfall wird Micha schon
halb als Patientin behandelt. Nur mit Mühe kann sie sich aus einer Zwangsjacke
befreien. Und dann ist alles zugleich Suche und Flucht, Liebe und Abscheu. Joe,
der angeheuert wurde, um die Rolle des Liebhabers in Serafina Tannenbaums Film
zu spielen, befreit die Schmetterlinge und fällt aus der Rolle. Diana reagiert
eifersüchtig auf O’Connors Beziehung zu Micha. Als sie mit einer Peitsche
bewaffnet Micha in den Swimmingpool jagt, wird sie von ihrem eigenen Rollstuhl
getötet. Das Nirvana House kann nur fortbestehen, wenn es fünf Patienten
aufweist; so soll Micha endgültig die Rolle der Patientin einnehmen. Ihre
Flucht gelingt, mißlingt, gelingt, mißlingt … Die Patienten des
Nirvana House spähen durchs Fernglas Micha und Joe nach, die in den Wellen
des Ozeans schwimmen. Damit endet der Film. Daß sie nicht mehr in ihrer
Bildwelt sind, sondern selber blicken und suchen müssen, das hebt die Existenz
der Gestalten von BUSTER’S BEDROOM auf, so oder so.
Die
Figuren von Rebecca Horns Film handeln weder als autonome Subjekte, die so etwas
wie ein Schicksal hätten, noch als Teile eines Machtgefüges oder sozialer
Abhängigkeiten. Sie sind vielmehr jeweils Teile eines Bildes, das sich
in komplizierter Wechselbeziehung zu den anderen Bildern befindet. Ihr Wesen
jedoch ist die ästhetische Autarkie. Das Problem ist also nicht, die Eindringlinge,
Micha und Joe, „unschädlich" zu machen (wie in einem Thriller), als
vielmehr, sie in diese Bildwelt einzubauen. Und daß dieser Vorgang nicht
gelingt, ist einem Mißverständnis der Eindringlinge zu verdanken,
die Liebe müßte die Autarkie der Bilder suspendieren.
Wie
für Alice geht für Micha der Weg durch die Spiegel, und die Bilder,
denen sie begegnet, reagieren mit derselben spöttischen Arroganz oder verzweifelten
Gewalt, um ihren Eigen-Sinn zu bewahren. Sie sind als Bilder so stark, daß
sie gleichsam vergessen haben, was sie abbilden; dabei verkörpern sie durchaus
unterschiedliche künstlerische Konzeptionen, vom Work in Progress bis zum
Tafelbild. Nur „Menschen" sein, wie es die Welt und die Eindringlinge hier
und dort verlangen, diesen barbarischen Rückfall, können sie nicht
vollziehen.
Daß
Rebecca Horn diese Produktion von Bildern, die zugleich ein Versuch über
das Wesen der Bilder ist, mit ausgesprochen komischen Szenen verbindet, mit
Zitaten spielt und die Schauspieler zeigen läßt, welches Vergnügen
„spielen" bedeutet, wenn es nicht mit der unsinnigen Aufgabe verbunden
ist, so zu tun, als sei man irgendein richtiger Mensch, hindert offenbar einen
Teil des filmkunstgewohnten Freitagnachtpublikums nicht daran, den Kinosaal
kopfschüttelnd und bösmurmelnd zu verlassen.
Vielleicht
hat dieses Kunst-Kino bei uns keinen rechten Platz. Vielleicht hat die Regisseurin
aber auch einen Trick mißachtet, den sich andere Regisseure des postmodernen
KunstFilms zu eigen gemacht haben: Statt Dramaturgie aufzulösen, übertreiben
sie sie im Gegenteil schamlos; die Autonomie des Bildes verdankt sich dort nicht
einem Verschwinden, sondern der Überdeutlichkeit der Story. Rebecca Horns
Bilder-Figuren scheinen immer wieder vor letzten Konsequenzen ihrer Haltung
zurückzuschrecken, Distanz zu sich selber zu suchen, das Spiel zu betonen.
Das und die episodische Struktur nimmt dem „Skandal" die Wucht, der von
der Macht der Bilder ausgeht. Wollen sie dann doch nur ein Traum gewesen sein?
BUSTER’S
BEDROOM ist ein Film, der noch zu sehr in einzelne ästhetische Events gegliedert
ist, zu schlendernd ist unser Gang von Bild zu Bild; nicht, daß etwas
„Ganzes" schon ein Wert für sich wäre, und auch ein rascher Wechsel
emotionaler Grundbefindlichkeiten etwa vom Dramatischen zum Weiteren kann, unseren
Kopfschüttlern zum Trotz, hochästhetische Wirkungen erzeugen. Aber
Rebecca Horn fällt noch gerade dort, wo es darauf ankommt, nämlich
zwischen den starken Bildern, gelegentlich in die beiden Untugenden des Films
zurück, den man früher „experimentell" genannt hat: die „schwere"
Symbolik, die menschliche Existenz als solche betreffend, und das „leichte"
Spiel mit der Form, die sich von ihrem Mythos losgemogelt hat.
Rebecca
Horns Film handelt von Bildern und von Räumen (von Räumen, die immer
wieder neue Räume produzieren/umschließen/definieren), und er schafft
darin einige der schönsten Bewegungen, die ich im Kino gesehen habe. Aber
dabei ist die andere Dimension des Kinos, die Zeit, ein wenig ins Beliebige
abgerutscht. Und dadurch wird Nirvana House, trotz der dramatischen Begegnungen,
eher zu einem Zustand als zu einem Ereignis. Da wird es zu schnell zum Museum.
P.
S. Die Autarkie der Bilder ist in einem schönen, sorgfältig gemachten,
bei Parkett Publishers, Zürich 1991, erschienenen Buch zu genießen,
in dem der Film in Form von breitformatigen Bildern und englischen Dialogen
wiedergegeben wird. Das Buch (Preis 56,DM) ersetzt den Film gewiß nicht,
aber es ist näher dran als sonst einzelne Bilder und Sätze in einem
Film.
Georg
Seeßlen
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
BUSTER’S
BEDROOM
BRD/Kanada/Portugal
1990. R: Rebecca Horn. B: Rebecca Horn, Martin Mosebach. K: Kevin Jewison. Sch:
Barbara von Weitershausen. M.- Sergey Kuryokhin. T: Uwe Kersken. Ba:
Nana von Hugo. Ko:
Fran;ois Laplante. Pg: Metropolis/Verseau/Prole. P:
Luciano Gloor. V:
NEF 2. L: 104 Min. St: 18.4.1991. D: Donald Sutherland (O’Connor), Geraldine
Chaplin (Diana Daniels), Valentina Cortese (Serafina Tannenbaum), Amanda Ooms
(Micha), David Warrilow (Mr. Warlock), Taylor Mead (James), Ari Snyder (Lenny
Silver), Martin Wuttke (Joe), Nina Franoszek (Sue).
zur
startseite
zum
archiv