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In den Netzstrümpfen sind Löcher, das grünliche
Kostüm, mit glitzernden Schuppen in eine Art Nixen-Look verwandelt, ist
nicht größer als ein Badeanzug. Um die Oberschenkel flattern häßliche
Fransen wie von einer Lampe. Und wenn sie singt – treffsicher falsch und unwahrscheinlich
langsam – winkt sie auch noch mit einem giftgrünen Tuch. Die gemeinte Ekstase
versickert in der großen Verlegenheit.
Das ist Marilyn Monroe als Cherie, die in diesem
Augenblick nicht nur dem lauten Rancher Bo aus Timber Hill in Montana wie ein
Engel vorkommt. Wer Augen und Ohren hat, muß erkennen, wieviel Können
dahinter steckt, das Nicht-Können von Chérie so überragend
vorzuspielen, so atemstockend und voller Selbstironie, und wieviel Souveränität,
den größten Teil eines Films in einem Kostüm zu verbringen,
das – gäbe es ihn – den Oscar für die häßlichste Kreation
auf der Leinwand verdient hätte. (Nur noch einmal mußte die Monroe
einen ganzen Film in einem einzigen Kostüm durchstehen: in »Der Prinz
und die Tänzerin«). Welche Schauspielerin konnte schon so strahlen,
bedeckt von einem geschmacklosen Ungetüm, konnte so auf bereichernde Äußerlichkeiten
verzichten.
Zurück zu Chérie: in dünnem Stakkato
beschwört sie „That Old Black Magic" – die magische Woge erfaßt
den Cowboy, dem kurz vorher erklärt worden war, daß es zwischen Schwimmen
und Frauen keinen großen Unterschied gäbe. Wenn die Reflexe stimmten,
könnte man auch beides beherrschen. Und so legt er also los, sich seinen
Engel heimzuholen. Die Verwicklungen entsprechen den Ansprüchen des prüden
Hollywood mit dem doppelten Standard: Chérie, mit Männern beschäftigt,
seit sie knie-hoch war, muß ein bißchen büßen, ehe sie
sich zur Liebe auch noch die notwendige Achtung verdient, muß auf ihre
eigenen Lebensvorstellungen verzichten und schon gehts los nach Montana. Und
nicht nach Hollywood, das sie – noch in River Guich im Osten wohnend – als Ende
ihrer Wanderung nach Westen angesteuert hatte. In Phoenix war sie hängengeblieben,
trotz des Vorsatzes, immer eine Richtung im Sinn zu behalten. Denn – so Chérie:
„Wenn man keine Richtung hat, dreht man sich im Kreis."
Der New Yorker Theaterregisseur Joshua Logan drehte
1956 die für den heutigen Geschmack veraltete Komödie über einen
Cowboy, der Frauen nicht anders als Kühe zu fangen versucht – sie damit
natürlich ein wenig verschreckt – und zudem ausschließlich im Umgang
mit Tieren Talent beweist. Bis er – gezähmt und selbst sanft wie eine Kuh
– als einsichtig gezeigt wird: Hollywood!
In derTat: ohne Marilyn Monroe wäre dieser Film
schwach, seine Wiederaufführung als Centfox-Classic überflüssig.
Mit ihr, durch sie, wird er jedoch zu einem Juwel: da ist sie, sanft, weich,
betörend und total. Sie ist dies vor allem, weil sie endlich einmal mit
der eigenen Stimme spricht. Keine Synchronstimme gibt ihr die falschen Seufzer
und das unstimmige kindliche Timbre, nichts zerstört den Rhythmus von Sprache
und Gesten, die eben nur im Original stimmen, weil alles zu jedem Zeitpunkt
gekonnt und bewußt eingesetzt wird. Wenn da dann ein Kritiker hier betont,
daß „mit den Talenten der Monroe Schindluder" getrieben wurde, dann
hat er sie betrachtet, ohne sich von ihrer Subtilität wecken zu lassen.
Dann hat er wohl auf den Zusammenbruch seiner Abwehrkräfte durch einen
Paukenschlag gewartet, dann ist er unsensibler als der Kuh-Hirt im Film, dem
die Monroe noch durch Pfeifenqualm und das wiehernde Gelächter seiner Kollegen
wie der ersehnte Engel vorkam. Engel machen keinen Radau. Wer sie trotzdem hören
möchte, muß sein gesamtes Sensorium in Bereitschaft halten, um die
leisen Töne zu erfassen. Und die Monroe flüstert hier immer wieder,
flüstert zwischen dem Krach und Klamauk mit der Stimme, mit ihren Augenlidern
und Wimpern, mit den Händen und Armen, wispert sogar noch mit dem schrillen,
grünen Tuch.
Christa Maerker
Dieser Text ist
zuerst erschienen in: epd Film 1 / Januar 1984
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