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Bungalow

 

Geschmacksneutralliberal

 

Ulrich Köhlers herausragender Debütfilm „Bungalow“zeigt den Widerstand eines jungen Phlegmatikers

 

Selbst im Akt des Aufbegehrens steckt hier eine verstockte Passivität. Die Verweigerungshaltung ist in Ulrich Köhlers Debütfilm Bungalow nur noch Laune des (kurzen) Moments der Entscheidung zwischen Handeln und Nichthandeln. In einer knapp zweiminütigen ungeschnittenen Einstellung wird eine Gruppe junger Soldaten von der Kamera vor ihrem Truppenfahrzeug abgeholt und auf dem Weg in die Raststätte, durch die Raststätte hindurch und wieder aus ihr heraus begleitet. Am Ende hat sich unmerklich, fast zufällig, einer von ihnen aus der Gruppe gelöst und ist schließlich, als seine Kameraden das Bundeswehrfahrzeug wieder besteigen, unbeteiligt zwischen den anderen Gästen der Raststätte sitzen geblieben. Einfach sitzen bleiben, das wird bis zum Schluss das Höchste sein, was der 19-jährige Paul an „Protest“ gegen seine Umwelt aufbringt. Von diesem Augenblick an ist er „fahnenflüchtig“, aber der Entschluss scheint genauso wenig selbstbestimmt wie zuvor schon die Entscheidung, zum Bund zu gehen. „Warum hast du denn nicht verweigert?“, wird er später einmal gefragt, und schulterzuckend antwortet Paul: „Aus Gewissensgründen.“

 

Der „Feind“, das Objekt dieser Verweigerung, bleibt in Bungalow, abgesehen von den Feldjägern, unsichtbar, aber es finden sich überall Hinweise auf biografische Defekte. Den Bungalow der Eltern, irgendwo in der tiefsten Provinz Süddeutschlands, in den sich Paul nach seiner Flucht zurückzieht und wo er wenig später auch auf seinen älteren Bruder Max und dessen dänische Freundin Lene trifft, zeigt Köhler als exemplarischen Ort einer Verheerung der Gefühle. Beim Durchstreifen des Hauses wird man in eine stilanonyme, geschmacksneutrale Welt geworfen, die nur zu vertraut erscheint. Er muss sie gar nicht vorführen, diese Eltern, die ihren Söhnen im Leben wahrscheinlich alles ermöglicht haben, vielleicht sogar echt „korrekte Typen“ sind, aber der linksliberale Mief dieses sauberen Ambientes stinkt zum Himmel. „Hast du gesehen, was der Papa da gerade für ’nen Scheiß macht?“, fragt Paul Max nach einem Blick ins Arbeitszimmer seines Vaters. „Weiß er doch“, ist die Antwort.

 

Die Schildkrötigkeit Pauls, seine schlaffe Körperhaltung, die selbst in den Anflügen von Zerstörungswut nie in Anspannung umschlägt, wirkt wie ein Schutzpanzer gegen seine Umwelt. Der Verzicht auf jede äußere Filmhandlung betont die Innerlichkeit von Köhlers klaren reduzierten Bildern. Teilnahmslos liegt Paul im Badeanzug am Swimmingpool, masturbiert auf seinem Bett oder rollt auf seinem Skateboard durch die Felder, und die Kamera muss nicht mehr tun, als zu zeigen und die Redundanz des Alltäglichen damit zum Stilmittel zu erheben. Aber je mehr Paul sich in seine Lethargie zurückzieht, desto deutlicher wird, dass hinter dieser Passivität keine affirmative „Scheißegal“-Haltung steckt, sondern dass sie im Gegenteil etwas sehr Verletzliches hat. Max’ Freundin Lene öffnet uns diesen Jungen für einen kurzen Augenblick, wenn sie seinem ungeschickten Werben schließlich nachgibt und einen Moment von unschuldiger Nähe zulässt. Dennoch ist die Aura des Aufbegehrens in Bungalow allgegenwärtig, weil im Nachbarort gerade das Schwimmbad in die Luft geflogen ist und die permanente Rede von einem terroristischen Anschlag die provinzielle Hoffnung auf eine Aktion, einen Widerstand, nährt.

 

Der Regisseur Köhler hat mit seinem Film den Begriff des „Phlegmas“ als politischen Begriff wiederaufgenommen. Baudrillard sagt über die moderne Konsumgesellschaft, dass jede Form von Radikalität heutzutage vom „System“ absorbiert werden kann. Also sei das Phlegma die konsequenteste Form des Widerstands. Der Phlegmatiker als politischer „Aktivist“ verweigert sich jeder Positionierung und bleibt daher gegen Vereinnahmung resistent. In Bungalow verstärkt die typische Wohlstands-Sozialisation diese Tendenz zur Abschottung. Nicht das Phlegma stellt Köhler infrage. Die Unmöglichkeit, in unserer „Konsensgesellschaft“ überhaupt noch auf Widerstände zu stoßen, ist die eigentliche Zumutung.

 

Andreas Busche

 

Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der Zeit

Zu diesem Film gibt es im archiv der filmzentrale mehrere Texte

 

Bungalow

Deutschland 2002 – Regie: Ulrich Köhler – Darsteller: Lennie Burmeister, Devid Striesow, Trine Dyrholm, Nicole Gläser, Jörg Malchow, Maria Hagewald, Frank Breitenreiter, Steffen Münster, Michael Abendroth – FSK: ab 12 – Länge: 84 min. – Start: 6.2.2003

 

 

 

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