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Bullets over Broadway

 

 

 

 

Die Filme von Woody Allen teilen wir gern in Kategorien ein, um ihnen je nach Geschmack besondere Zuneigung oder Feindschaft zukommen zu lassen: frühe und späte, komische und ernste, die-mit-Allen und die-ohne-ihn, dann die, die ihre Kreise um die New Yorker Park Avenue ziehen und schließlich jene, die entlegene Welten herbeizitieren.

BULLETS OVER BROADWAY ist ein komischer Film – und einer, in dem Allen nicht mitspielt, nicht einmal Diane Keaton ist dabei. Manhattan ja, doch in einer fernen Zeit. Sowohl die bullets wie der Broadway sind wörtlich und metaphorisch zugleich gemeint, Verweis auf jenen Mythos, der diesen Straßenzug einmal geprägt hat, bevor Hollywood in Konkurrenz trat: Herz der US-Unterhaltungsindustrie, der Ort an dem Karrieren bejubelt und Flops besiegelt wurden. Eine mythische Zeit, das brodelnde New York der roaring twenties, schrill, extravagant und gewalttätig, bevölkert von Flappern, Bohemiens, Schwarzbrennern, Glücksrittern und eiskalten Killern.

 

Schnell begibt sich der Film in medias res: zu den Go-go-Girls in die Garderobe, wo Einkaufspläne ausgetauscht und Perlenketten verschenkt werden; zwischen die Tischchen eines Straßencafes, wo erfolglose Literaten ausgiebig über die Kunst und die Welt debattieren; zwischen die düsteren Lagerhallen am Hudson, wo Unglückliche im Kugelhagel verschwinden. Nach wenigen Minuten schon kondensieren sich aus den flüchtig hingeworfenen Impressionen die bekannten Elemente einer oft erzählten Geschichte: der erfolglose Literat, der Mafiaboß als Kunstmäzen, das protegierte Mädchen.

 

Unmißverständlich macht uns BULLETS OVER BROADWAY klar, worauf er es abgesehen hat. Er scheut kein Klischee, vermeidet kein Vorurteil: Die Tänzerinnen sind dümmlich, die Intelligentsia verstiegen und weltfremd, gierig auf Geld und Macht sind sie alle.

 

Unmißverständlich gibt schon die Eingangssequenz die Tonart für alles Folgende an. Wie hier Bilder vom Überfall eines Killerkommandos mit sentimental-swingender Schlagermusik zur neckischen Operetteneinlage umfunktioniert werden, läßt keinen Zweifel daran, daß eines nicht gefragt ist: die historische Wahrheit. Der Reichtum dieses Films speist sich nicht aus der Nähe zur Realität, sondern aus dem nostalgisch-ironisierenden Umgang mit kulturellen Zitaten und Verweisen.

 

Mit der Präzision eines Uhrwerks spult sich der Plot ab. Wie David Shayne, der junge und erfolglose Stückeschreiber, plötzlich die Chance seines Lebens bekommt: eine Inszenierung am Broadway in eigener Regie. Wie der Gönner des Unternehmens, Nick Valenti, ein schwergewichtiger Mann in dunklen Geschäften, mit schützender Hand dafür sorgt, daß sein süßes Baby, ein überdrehtes Tanzsternchen mit Namen Olive Neal, eine tragende Rolle (als Psycholanalytikerin!) übernimmt. Wie der verhinderte Tschechow vor dem Pakt mit dem Teufel das Hosenflattern bekommt. Wir könnten beschwören, das alles schon hundertmal gesehen zu haben.

 

Natürlich ist Olive mehr als hoffnungslos untalentiert und entwickelt auch noch Ambitionen. Natürlich ist Mr. Valenti das völlig egal. Der männliche Galan, ein britischer Charaktermime, entpuppt sich als verfressener Dickwanst. Und Helen Sinclair, die verblühende Diva, deren Name das Drama schmücken soll, stößt sich empfindlich am vermeintlichen Hausfrauenmief ihrer Rolle („Sylvia Poston – der Name riecht nach Versandhaus!") und fordert Änderungen am Skript.

 

So rauft sich David Shayne, vor die Wahl gestellt zwischen künstlerischer Autonomie und den kompromittierenden Zwängen des Gewerbes, von existentiellen Gewissensqualen gepeinigt, des Nachts die Haare, um am nächsten Tage um so bereitwilliger den Anforderungen des Geschäftssinns und den Verlockungen des Erfolgs zu erliegen. Sanft unterstützt von Helen Sinclairs Verführungskünsten, der es ein leichtes ist, den jungen Narziß ganz ohne Druck, dafür mit hingebungsvollen Blicken und gefühlvoIlen Sprüchen zu ködern.

 

Ihren Witz bezieht diese Typenkomödie im Theatermilieu aus dem künstlich generierten genreparodistischen Overdrive, ihr Leben aus der reichen Fülle der Details und der beweglichen Kamera. Eine sympathische Kamera, die gerne scheu ein bißchen auf Distanz bleibt, sich gar hinter Tischen und Kommoden versteckt – oder, auch das kommt vor, ihre Objekte von hinten belauert, um dann, in einem unerwarteten Moment, kühn die Annäherung zu wagen.

 

Brillant geschrieben, vorzüglich besetzt und liebevoll inszeniert. Daß diese leichthändige Schaumschlägerei zum wahrhaft tragischen Künstlerdrama mit existentiellem Tiefgang wird, verdankt sich einer einzigen Figur – Olives Bodyguard Cheech, der im Auftrag Valentis aufpassen soll, daß kein falscher Mann das Dummchen mit der Mäusestimme anfaßt. Im Berlin von heute würde Cheech wahrscheinlich mit einem Bullterrier den Neuköllner Kiez kontrollieren. Im New York von damals ist er abgestellt, Olive in einem großen Schlitten zum Theater zu kutschieren und die Proben im Zuschauersaal abzusitzen. Cheech kennt das Leben: Irgendwann geht ihm ob des verblasenen Gequatsches auf der Bühne die Geduld aus. Er meckert, kritisiert. Und statt eines hingerotzten „kann ick ooch …" kommen konkrete Verbesserungsvorschläge, Eingriffe in Dialoge. Motivierungen, Dramaturgie. Die Ideen sind gut. Erst beißen die Schauspieler an, am Ende sogar Davids Freundin Ellen. Schließlich gibt sich der Autor von dem Naturtalent geschlagen, und bei heimlichen Treffen in Billardhöhlen gewinnt das Drama neue Konturen. Der Erfolg ist phänomenal – bei der Kritik und in der Damenwelt. Was vorher lau und abstrakt dahindümpelte, sei jetzt voller Leidenschaft und Leben, heißt es. Man und frau ist sich einig: „It finally has balls." (Chazz Palminteri, dem die Rolle des Cheech wie angegossen paßt, wurde als Gangster Sonny in Robert De Niros BRONX TALE berühmt.)

 

Woody Allen ist wieder bei einem seiner Lieblingsthemen angelangt: Imitiert die Kunst das Leben oder umgekehrt? Der Gorilla als Ghostwriter und wahres Genie jedenfalls ist bald über beide Ohren in alles drei verstrickt: das Leben, die Kunst und den Tod. Und vielleicht können Überlegungen des Gangsters zum Verhältnis von Geist, Instinkt und dem autonomen moralischen Universum der Kunst Klaus Theweleit ja zu einem neuen Schaffensschub inspirieren.         

 

Silvia Hallensleben

 

Diese Kritik ist zuerst erschienen bei: epd film

 

BULLETS OVER BROADWAY

BULLETS OVER BROADWAY

USA 1994. R: Woody Allen. B: Woody Allen, Douglas McGrath. P: Robert Greenhut. K: Carlo Di Palma. Sch: Susan E. Morse. T: Frank Graziadei. A: Santo Loquasto, Tom Warren. Ko: Jeffrey Kurland. Pg: Miramax/Sweetland Films. V: Pandora. L: 99 Min. St: 20.4.1995. D: John Cusack (David Shayne), Jack Warden (Julian Marx), Chazz Palminteri (Cheech), Mary-Louise Parker (Ellen), Dianne Wiest (Helen Sinclair), Joe Viterelli (Nick Valenti), Jennifer Tilly (Olive Neal).

 

 

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