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Buddenbrooks

Das Manuskript war über 600 Seiten lang, der Autor des Familienromans „Buddenbrooks“ noch unbekannt. „Sie müssen kürzen“ riet der Verleger Samuel Fischer dem 23-jährigen Schriftsteller Thomas Mann. Obwohl Mann den Rat nicht befolgte, wurde das Buch ein Welterfolg, und brachte ihm 1929 den Literatur-Nobelpreis ein. Die Buddenbrooks-Verfilmungen kamen indes um Kürzungen und Vereinfachungen im umfangreichen, 40 Jahre umfassenden Epochenbild nicht herum. Den bisher größten Bogen über drei Generationen einer Lübecker Kaufmannsfamilie hat Franz Peter Wirths elfteilige Fernsehadaption von 1978 geschlagen, während Alfred Weidenmann in seinem 59-er Kinofilm zwangsläufig nur einen „Buddenbrook“-Torso auf die Leinwand brachte. Mit beiden Versionen kann der Thomas-Mann-Fan jetzt seinen DVD-Player füttern und sie danach ins Bücherregal stellen: die Filme sind gemeinsam aufgelegt und in eine blau-leinerne Buchkassette verpackt worden.

 

Es sind zwei für ihre jeweilige Zeit ambitionierte und sorgfältig gemachte Produktionen, die überdies viel über ihre Entstehungszeit verraten: Während Wirths Version im Zeichen eines skrupulösen Historismus der 1970er steht – der sich parallel in den Spielweisen von Barockmusik zu manifestieren begann –, wirken Weidenmanns „Buddenbrooks“ oft wie Kinder des Wirtschaftswunders, die trotz aller Familienkatastrophen nicht wirklich unterzukriegen sind. Während eine 1965 entstandene BBC-Fernsehversion als verschollen gilt, wäre eine Koppelung mit Gerhard Lamprechts Stummfilmadaption von 1923 möglich und aufschlussreich gewesen. Lamprechts Film wurde auf der Berlinale 2000 wieder aufgeführt und überraschte dort mit einer zeitgenössischen Aktualisierung des Epos: den (auch wirtschaftlichen) Verfall der Familie stellt der Stummfilm in einen Zusammenhang mit der Inflation in der Weimarer Republik.

 

Von ökonomischen Nöten und dem Niedergang der Firma Buddenbrook ist im zweiten, 1959 in Schwarzweiß gedrehten Buddenbrook-Film kaum die Rede. Eher stehen emotionale Befindlichkeiten und persönliche Schicksale im Vordergrund. Im Drehbuch, an dem auch Erika Mann mitwirkte, wird das Personal notgedrungen empfindlich zusammengestrichen. Die ältere Generation, bestehend aus dem gutmütigen Patriarchen Johann Buddenbrook und seiner Gattin, tritt überhaupt nicht in Erscheinung. Der Film beginnt damit, dass der Hamburger Unternehmer Grünlich um Tony wirbt, die heiratsfähige Tochter von Johann Buddenbrook junior. Tony wird schließlich zwei gescheiterte Ehen hinter sich haben. In der Darstellung von Liselotte Pulver (die allein von der schweizerischen Sprachfärbung her nicht in die Rolle passt) wirkt Tony bis zum bitteren Schluss stets um Nuancen zu gut gelaunt. Ebenso fehlbesetzt, da allzu sehr der aufrecht-sympathische Typ, ist Hansjörg Felmy als Thomas Buddenbrook, auf dem nach Johanns Tod die Verantwortung für das Unternehmen lastet. Während Nadja Tiller zwar die Eleganz, aber nicht die Rätselhaftigkeit von Thomas’ musisch hochbegabter Ehefrau Gerda glaubhaft macht, entspricht nur Hanns Lothar als geschäfts- und lebensuntüchtiger zweiter Sohn Christian seiner Rolle – zumindest, was die dritte Buddenbrook-Generation betrifft, auf die der Film sein Hauptaugenmerk legt. Die Nebenrollen sind mit Gustav Knuth, Paul Hartmann, Joseph Offenbach und weiteren erstklassigen Film- und Theatergrößen besetzt. Die komödiantisch-ungelenken Kurzauftritte von Günter Lüders als aufsässiger Arbeiter Corle Smolt wecken heute zwiespältige Gefühle, obwohl sie für sich genommen Kabinettstücke sind. Die Figur des 1848er-Revoluzzers wird arg durch den Kakao gezogen, während der Film den Hochmut einer Patrizierfamilie gegenüber dem, was auf Lübecks Straßen rumort, weitgehend ausblendet. Im Bonusmaterial findet sich übrigens der Hinweis, dass Thomas Mann kurz vor seinem Tod 1955 den Wunsch äußerte, die „Buddenbrooks“ möchten als west-ostdeutsche Gemeinschaftsproduktion verfilmt werden. Das scheiterte am Einspruch der Bonner Regierung.

 

Neben dem Regisseur Weidenmann war auch der Kostümbildner Herbert Ploberger (1902-1977) mit seiner Arbeit für Filme zur Zeit des Nationalsozialismus bekannt geworden. In der Ausstellung „Filmkostüme!“ im Berliner Filmmuseum sind zurzeit zwei Kleider aus dem Buddenbrook-Film ausgestellt: das marineblaue Ripskleid, das Liselotte Pulver in der Sterbeszene ihres Neffen trägt und ein überraschend cremefarbenes Hochzeitskleid für Nadja Tiller. Beide Kostüme verraten viel über die technische Problematik des Schwarzweiß-Filmmaterials, die der Kostümbildner bei der Materialwahl mit bedenken musste. Pulvers Kleid wirkt im Film passend tiefschwarz, das prächtige Spitzenkleid der Tiller strahlt in der Hochzeitsszene weiß. Wirklich schwarze oder weiße Stoffe hätten die Beleuchter vor unüberwindliche Probleme gestellt. Über solche filmtechnischen Fragen hinaus sind die Kostüme im „Buddenbrook“-Film nicht nur stil- und epochengerecht geschneidert, sondern sie visualisieren immer wieder auch Gemütszustände ihrer Träger: In einer Szene des Sommerglücks in Travemünde trägt Tony ein weißes Sommerkleid, Hut und Schirm und scheint so aus einem Gemälde von Monet zu entstammen. In späteren, eher düsteren Momenten ist sie in strengen, manchmal fast altjüngferlichen Gewändern zu sehen.

 

Eine vergleichbare Konsequenz im Kostümdesign ist in Franz Peter Wirths knapp 20 Jahre späteren „Buddenbrooks“-Verfilmung nicht zu erkennen, obwohl Kleider und Szenenbild für sich genommen auch dort von herausragender ästhetischer Qualität sind. Allerdings hätte die oben skizzierte Art „narrativer“ Ausstattung auch nicht zum Gesamtstil des Fernseh-Elfteilers gepasst, der sich dem Mann´schen Erzählgeflecht bis ins kleinste Fädchen widmet. Das äußerliche Bild der verschiedenen Epochen – Wirths Serie umfasst vollständig die vier Erzähljahrzehnte des Romans – wird geradezu detailbesessen rekonstruiert. Hier wird Kostüm- und Möbelgeschichte vom Biedermeier bis zum Klassizismus nachgezeichnet.

 

Im Vergleich zu Rainer Werner Fassbinders „Berlin Alexanderplatz“, der kurze Zeit später fürs Fernsehen entstand, erscheint Wirths „Buddenbrook“-Serie – die damals einen Budget-Rekord aufstellte – wie das gediegene Gegenstück zu Fassbinders radikaler, höchst subjektiver Ausleuchtung des Döblin-Romans. Dass die bisher letzte Mann-Adaption trotz des weitgehenden Verzichts auf filmische Kühnheiten dennoch nicht allzu bieder wirkt, liegt nicht zuletzt an den Schauspielern, die dem Familienepos große Authentizität verleihen. Hier stimmt die Besetzung, angefangen mit Carl Raddatz´ gemütlichem Pfeffersack von Senior, Martin Benraths pietistisch-trockenem Johann und einem Bruderpaar Thomas und Christian (Volkert Kraeft und Gerd Böckmann), das die innerfamiliäre Zerrissenheit zwischen Kaufmannsethos und kultureller Verfeinerung glaubhaft zu machen versteht. Katharina Brauren – die schon in einer Nebenrolle 1959 zu sehen war –, Ruth Leuwerik und Reinhild Solf sind als Repräsentantinnen dreier Frauengenerationen ebenso trefflich besetzt. Noelle Châtelet, die von Judy Winter synchronisiert wird, erscheint hier wirklich als die ätherisch-rätselhafte Gerda, die nie wirklich in die Familie integriert wird und ihrem Mann Thomas einen musisch hochbegabten Erben schenkt, dessen mangelndes Talent fürs Geschäft sich früh abzeichnet.

 

Um ein leidlich authentisches Lübeck-Bild zu zeichnen, wurden viele Außenszenen in Warschau und Danzig gedreht. Dafür, dass solche Sprünge in den Locations nicht auffallen, sorgte vor allem der Kameramann Gernot Roll, dessen Bildgestaltung dieser Verfilmung denn doch so etwas wie eine persönliche Handschrift mitgab. Zum Ereignis werden diese „Buddenbrooks“ in der Kontrastierung von Innen- und Außenszenen und in der Verwendung des Lichts. Roll lässt die Interieurs häufig nur sporadisch ausleuchten, wodurch Figuren im Schatten versinken, während einzelne Gesichter durch Überbelichtung geradezu ins Bild gebrannt werden. Dass das Buddenbrook-Geschlecht zunehmend zum Anachronismus verkommt, setzt Roll mit Überstrahlungen ins Bild, die schmerzhaft aus den Fenstern dringen, sobald die schweren Vorhänge nur einen Spalt geöffnet werden. Vor allem Thomas Buddenbrook – in vielerlei Hinsicht die zentrale Figur des Romans überhaupt – erscheint mehr und mehr wie ein lichtscheues, weltflüchtiges Subjekt, als lebender Toter, dessen Herztod auf offener Straße nur das exekutiert, was sich innerlich längst vollzogen hat. Franz Peter Wirth inszeniert das so drastisch, wie es im Buch steht: der letzte Firmenchef stürzt buchstäblich in die Lübecker Gosse und bleibt regungslos liegen, während ihm das Abwasser in den Mund läuft.

 

Die „Buddenbrooks“ lassen auch Gernot Roll nicht los. Zurzeit partizipiert der Kameramann wieder an einer Buddenbrook-Verfilmung: auch Heinrich Breloer wollte für seine „Buddenbrooks“ nicht auf Rolls Künste verzichten, mit dem er schon für die Serie „Die Manns – ein Jahrhundertroman“ zusammenarbeitete. Im kommenden Jahr wird Breloers Fassung mit Armin Müller-Stahl, August Diehl und Jessica Schwarz im Kino gezeigt, später wird es eine gestreckte Fernseh-Auswertung als Zweiteiler geben. Ob die so oder so knapp bemessene Erzählzeit ausreicht, um den vielen Motiven und Figuren des Romans wenigstens im Ansatz nachzuspüren, wird auch diesmal die spannende Frage sein.

 

Jens Hinrichsen

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in: film-dienst 10/2007

Zu Buddenbrooks (1959) gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte

 

 

Buddenbrooks I. und II. Teil

BR Deutschland – 1959 – 99/107 min. – schwarzweiß – Verleih: Europa, Arthaus (Kinowelt Home) (Video)

Erstaufführung: 11.20.11.1959/15.,17.3.1965 ZDF/28.30.11.1971 DFF 1/Januar 2000 Video – Produktionsfirma: Filmaufbau -Produktion: Hans Abich

Regie: Alfred Weidenmann

Buch: Erika Mann, Harald Braun, Jacob Geis

Vorlage: nach dem Roman von Thomas Mann

Kamera: Friedl Behn-Grund

Musik: Werner Eisbrenner

Schnitt: Caspar van den Berg

Darsteller:

Liselotte Pulver (Tony)

Nadja Tiller (Gerda)

Hansjörg Felmy (Thomas)

Lil Dagover (Konsulin)

Werner Hinz (Konsul)

Hanns Lothar (Christian)

Rudolf Platte (Herr Wenzel)

Günther Lüders (Corle Smolt)

 

 

Buddenbrooks Teil I – Teil III

BR Deutschland / Polen – 1978 – 202/205/207 min.

Verleih: Taurus (Video) – Erstaufführung: ab 15.10.1979 ARD (11 Teile)

Regie: Franz Peter Wirth

Buch: Franz Peter Wirth, Bernt Rhotert

Vorlage: nach dem gleichnamigen Roman von Thomas Mann

Kamera: Gernot Roll

Musik: Eugen Thomass

Darsteller:

Carl Raddatz (Johann Buddenbrook sen.)

Katharina Brauren (Antoinette Buddenbrook)

Martin Benrath (Konsul Buddenbrook)

Ruth Leuwerik (Konsulin Buddenbrook)

Armin Pianka (Thomas)

Michael Keschull (Thomas)

Claudius Kracht (Christian)

Alexander Stölze (Christian)

Melanie Pianka (Tony)

Marion Kracht (Tony)

 

„Buddenbrooks“-Edition, zwei Verfilmungen des Romans von Thomas Mann im DVD-Set, Kinowelt

 

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