zur startseite
zum archiv
Brokeback
Mountain
I’m
not queer, you know,
sagt Ennis Del Mar am Morgen danach und Jack Twist antwortet, I
know. Neither
am I.
Und damit sind wir mitten drin in Ang Lees Männer-, nein Menschendrama
über die Weite der Landschaft und die Enge der Köpfe.
Ennis hat Recht
mit seiner Aussage, er ist nicht quer, komisch, schräg. Ennis Del Mar (Heath
Ledger) ist geradlinig, schweigsam, bestimmt, er macht keine krummen Dinger.
Was in ihm vorgeht, das weiß bis auf seltene Momente nur er, aber wenn
er spricht, dann kommt er auf den Punkt. Ennis Del Mar ist so straight wie der klassische
Cowboy und Farmgehilfe nur sein kann. Was schräg ist, was sich nicht fügen
mag, das ist die Welt um ihn herum: das provinzielle Hinterland der Vereinigten
Staaten, jene weiten, großen Flächen, in denen es strikte Regeln
gibt, klare Erwartungen, vorgezeichnete Wege – und in der letztlich kein rechter
Platz sein mag für einen wie ihn. Ennis erträgt das, auch wenn es
an den Reibungsstellen zwischen ihm drinnen und der Welt draußen bisweilen
ganz gewaltig Funken schlägt.
Ganz anders geht
es da Jack Twist (Jake Gyllenhaal). Jack lügt, oder er täuscht sich,
denn er nimmt seine Männerliebe ernst, so ernst wie ein Rodeoreiter sie
im sturen, homophoben Texas nehmen kann. Jack schmiedet Zukunftspläne für
sich und seinen Mann, er sucht nach Anschluss, er liebt mit Impetus. Er würde
sie hinwerfen, die Erwartungen der anderen, und würde sich aufmachen, seine
eigene Welt zu schaffen, nach seinen Statuten zu leben. Jack trägt seine
Haltung vor sich her, trägt sie in seinem Namen: er ist schwul und er würde
die Welt verbiegen, er windet die geraden Linien, twists
them,
soweit es nur geht, ohne sie zum Zerreißen zu bringen und erfindet sich
so einen kleinen aber bewohnbaren Raum.
Jack und Ennis
kommen zweimal wirklich zusammen, oder vielleicht ist es auch nur einmal, in
den ersten zwanzig Minuten des Filmes, der sich als Western vorstellt und dann
zu einem ernüchternden Portrait der Gesellschaft wird und zu einem unbefriedigenden
Liebesdrama. Ang Lee versieht seine Charaktere mit all dem, was ein echter Cowboy,
ein Kino-Cowboy braucht: Pferde, Donnerbüchsen, Frühstücksbohnen,
Hagelsturm und Einsamkeit. Dazwischen Schafe, Elche, Wölfe, Vollmond und
vor allem weite, weite Landschaft. Große Himmel des amerikanischen Westen,
Supertotalen und Panoramashots, der schweigende Reiter beherrscht das Bild,
dominiert die Landschaft, weiß was er tut. Das ist die Idylle, das ist
freilich auch das Klischeebild des Westerns – und wo der schon immer mit zumeist
heimlich leiser und pathetisch übertünchter Homoerotik flirtet, da
hält Lee die Kamera drauf und zeigt uns, wie es aussieht, wenn zwei Männer
sich im Leinenzelt lieben. Das ist ein Sommer, eine Momentaufnahme fast, und
die wird das Restleben der beiden Männer bestimmen, wird zur erinnerten
Heimat, die immer entflieht, die sie aber immer und immer wieder verfolgen und
für Augenblicke vielleicht erhaschen.
Ansonsten sind
die Aussichten eher trüb. Jack und Ennis kommen nicht mehr zusammen, und
der Film dokumentiert das fast schmerzhaft in über einer Stunde Parallelmontagen:
hier ist Ennis in seinem angepassten Leben, hier ist Jack, hier wieder Ennis,
nun wieder Jack. Dazwischen kurze Ausflüge "zum Fischen" und
Diskussionen über die Unmöglichkeit einer ehrlichen Liebe. Lee macht
uns ärgerlich, packt uns und nimmt uns mit in die Frustration; er spielt
nicht auf der Klaviatur großer Gefühle, verzichtet im Zweifelsfall
auf Instrumentierung, aber er erzählt uns nüchtern, fast stoisch,
wie nicht sein kann, was doch eigentlich sein soll.
Ein letztes,
lautes Treffen gibt es zwischen den beiden, unten am Fuß des paradiesischen
Berges und damit schließt sich wohl ein Kreis, Lösung, Ruhe, Frieden
aber gibt es nicht. Im Gegenteil, Lee filmt mit Handkamera, das Leben bleibt
wackelig, es gibt weder Ruhe noch zumindest eine Trennung oder einen Abschluß.
Vielleicht hat
Jack am Ende die Welt zu sehr verdreht, vielleicht die etablierten Grenzen zu
weit ausgereizt, man weiß es nicht. Zurück bleibt Ennis, weder besser
dran, noch schlechter als zuvor, ein einsamer Cowboy ohne Heim und Hof. Lees
Abschlussbilder machen denn auch wenig Mut, aber sie sind treffend, stimmig:
der verschlossene Ennis sperrt den offeneren Jack symbolisch zu seiner Liebe
in den Kleiderschrank. Da ist er gut verwahrt und vor weiteren Übergriffen
geschützt, an der gemeinsamen Liebe in
the closet,
im Verborgenen, hat sich damit aber nichts verändert. Die Welt bleibt wie
sie war: starr, gnadenlos und eng.
Christina
Hein
Zu diesem Film
gibt es im archiv
der filmzentrale mehrere Texte
Brokeback Mountain
USA 2005 – Regie: Ang Lee – Darsteller:
Heath Ledger, Jake Gyllenhall, Ann Hathaway, Michelle Williams, Randy Quaid,
Kate Mara, Linda Cardellini, Graham Beckel, Mary Liboiron, Anna Faris, David
Harbour – FSK: ab 12 – Länge: 134 min. – Start: 9.3.2006
zur startseite
zum archiv