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Brokeback
Mountain
Es musste also wirklich erst ein taiwanesischer Regisseur
kommen, Amerika zu zeigen, was eigentlich längst jeder geahnt hatte. Dass
der Western, das uramerikanische Genre schlechthin, eigentlich eine klandestine
Zusammenkunft von closet cowboys und reardoor jockeys ist – ein willkommener Vorwand für frohlockende
Reiterspiele unter freiem Himmel. Nicht umsonst gilt der Western als das – neben
dem Gladiatorenfilm – männlicheste Filmgenre. Wir erinnern uns nur zu gerne
an den unvergesslichen Dialog aus „Red River“, wenn Montgomery Clift, Hollywoods
bekannteste Klemmschwester, und John Ireland ehrfürchtig ihre besten Stücke
(ihre Colts, natürlich) vergleichen. „Das ist ein besonders schönes
Stück, das Du da hast. Darf ich es mal halten?“ Jaja, der Wilde Wilde Westen…
Ang Lees Cowboy-Schnulze „Brokeback Mountain“ ist aber
nicht nur deswegen schon jetzt einer der besten Filme des Jahres, weil er einmal
unverblümt zeigt, was die Pistoleros und Viehtreiber tatsächlich so
trieben in den einsamen, bitterkalten Prärienächten, wenn billiger
Whiskey und Peyote den einzigen Trost spendeten – sondern weil Lee solche doch
recht schalen Treppenwitze (die nach den Oscarnominierungen natürlich wieder
durch alle amerikanischen Talkshows – von Lettermann bis Conan O’Brien – geisterten)
in eine der ergreifendsten und traurigsten Liebesgeschichten
seit Douglas Sirks Rock Hudson-Filmen (noch so ein Klemmi!) verwandelt hat,
ohne seine schwule Thematik für ein Hetero-Mainstream-Publikum zu kompromittieren.
„Brokeback Mountain“ ist „großes Kino“ im allerbesten
Sinne. Ein in seiner räumlichen wie zeitlichen Ausdehnung episches Melodrama,
das den Genre-Konventionen so eng wie nötig verbunden bleibt, damit es
gerade noch als universelle Love Story funktionieren kann. Lee und sein Produzent
James Schamus haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie sich für ihren
Film weniger am klassischen Western als an „Titanic“ orientiert haben (die amerikanischen
Filmplakate sind nahezu identisch). Es ist nicht zuletzt den Drehbuchautoren
Larry McMurtry und Diana Ossana, ersterer ein gestandener Western-Veteran, zu
verdanken, dass der amerikanische Westen in „Brokeback Mountain“ nie zur bloßen
Hintergrund-Kulisse verkommt. Lees Film beschreibt gleichermaßen das „Far
Country“ Anthony Manns wie auch die gesellschaftlichen Zwänge, wie sie
in den Suburbia-Dramen Sirks allgegenwärtig sind.
Alles beginnt in den titelgebenen Bergen von Wyoming
im Sommer 1963. Ennis del Mar (Heath Ledger) und Jack Twist (Jake Gyllenhaal),
zwei mittellose Farmarbeiter, heuern für einen Sommer bei einem Viehhändler
an. In den Monaten der Isolation kommen die beiden sich langsam näher;
viel gibt es auch sonst nicht zu tun. Die Tage verbringen sie mit Patrouillenritten
zwischen ihrem Camp am Fuß der Berge und ihrer Schafherde, dem Aufkochen
von Dosenfraß (zur Abwechslung erledigen sie auch mal einen Hirsch) und
dem Austausch von Familiengeschichten. Das alles wirkt zunächst wie eine
Pfadfinderidylle, und sie gipfelt schließlich in einer betrunkenen Nacht
am Lagerfeuer.
Früh wird offensichtlich, dass Lee die imposante
Bergwelt Wyomings als einen utopischen Naturzustand außerhalb der Grenzen
der Zivilisation versteht. Seine Landschaftstotalen etablieren einen besseren,
freien Ort. Die Zurückhaltung, mit der er Ledger und Gyllenhaal bei ihren
alltäglichen Verrichtungen (dem Waschen am Fluß, ihrem Raufen, den
Ausritten) in dieser Landschaft beobachtet, bewahrt seine Liebesgeschichte auch
vor dem Gefühlskitsch. Lee entwicklet in diesen Szenen eine ganz natürliche
Atmosphäre von Vertrauteit, die aus der Verbundenheit zur Landschaft erwächst
– und somit ein Topos des klassischen (Hetero-)Westerns komplett auf den Kopf
stellt. So muss in „Brokeback Mountain“ nie mehr geredet werden als nötig.
Das ist so angenehm wie für den Verlauf der Geschichte auch symptomatisch.
Wenn man Lee etwas vorwerfen wollte, dann allenfalls,
dass „Brokeback Mountauin“ sehr bald wieder in die traditionellen Rollenmodelle
des Melodrams zurückfällt. Das beginnt schon mit Ledgers ungleich
maskulinerer Statur. Sein Ennis Del Mar, der verstocktere der beiden Männer,
ist ein wortkarger Hüne und nahezu unfähig, Gefühle zu artikulieren.
Ledgers beeindruckend mahlender Unterkiefer scheint pausenlos die angestauten
Emotionen seiner Figur verarbeiten zu müssen. Seine Neigung zu Unbeherrschtheit
und Gewaltausbrüchen unterscheidet ihn von Gyllenhaals sensiblem Jack Twist
mit seinen strahlend blauen Augen. Jack ist eindeutig die bodenständigere
Figur. Aus seiner Sehnsucht nach einer gesicherten Existenz (eine kleine Ranch,
ein paar Pferde) sprechen wieder die hunderte von domestizierten Frauenrollen
aus Howard Hawks-/John Ford-/William Wellman etc.-Western. Und sein tränenersticktes
„I wish I knew how to quit you“ ist in Queer-Kreisen schnell zum geflügelten
Wort avanciert.
Wie flüssig Lee „Brokeback Mountain“ inszeniert
hat, zeigt sich schon darin, dass der Film zwanzig Jahre verstreichen lässt
(von 1963 bis in die frühen Achtziger), ohne dass diese äußere
Zeit je spürbar wird. Jacks wie Ennis (heterosexuellen) Beziehungen festigen
sich und zerfallen wieder, ihre Kinder wachsen heran. Gleiches gilt für
Ennis’ und Jacks regelmäßige Camping-Ausflüge, die ihre einzigen
ungestörten Zusammenkünfte bleiben. Sie kommen und gehen, Jahr für
Jahr. Nur Gyllenhaals schnuckeliger Schnauzer (in den Siebziger Jahren war das
noch weniger verfänglich als spätestens mit der Ankunft der Village
People) lässt erahnen, wie schnell die Jahre in „Brokeback Mountain“ ins
Land ziehen. Moden und gesellschaftliche Erscheinungen gehen am Film spurlos
vorüber.
McMurtry und Ossana haben aus Annie Proulx’ 14seitiger
Kurzgeschichte, die 1997 zum ersten Mal im New Yorker veröffentlicht wurde, eine geschlossene Welt entworfen,
die von äußeren Einflüssen fast unberührt bleibt. Einzige
Konstante ist in „Brokeback Mountain“ die grassierende Homophobie der amerikanischen
Provinz: zunächst anhand einer Kindheitserfahrung, wenn Ennis am Lagerfeuer
Jack erzählt, wie sein Vater ihm eines Tages das Opfer eines hate crimes vorführte („Mein Vater sorgte dafür, dass
mein Bruder und ich das zu sehen kriegen. Und, verdammt, es hat gewirkt. Zur
falsche Zeit, am falschen Ort… und wir sind tot!“), schließlich in der
Gewalt, die Jack widerfahren wird. Und dann klingt in „Brokeback Mountain“ auch
die Geschichte von Matthew Sharp nach, der 1998, gerade ein Jahr nach der Veröffentlichung
von Proulx’ Kurzgeschichte, in Wyoming von einer Gruppe Rednecks gelyncht wurde.
Was Ennis und Jack über all die Jahre verbindet, ist die Erinnering an
ihren gemeinsamen Sommer auf Brokeback Mountain. Es wird auch das einzige sein,
das ihnen am Ende bleibt.
Es liegt nahe, in „Brokeback Mountain“ einen politischen
Kommentar hineinzulesen, nicht nur weil Texas und Wyoming, die Staaten, in denen
Ennis’ und Jacks Familien leben, zufällig auch die Staaten von Bush und
Cheney sind. Doch das Drehbuch von McMurtry und Ossana kursierte bereits jahrelang
in Hollywood, bevor es Lee schließlich in die Hände fiel. Und der
hat die Zeitlosigkeit des Stoffes richtig erkannt. Die Stärke des Films
liegt gerade in seiner formalen Konventionalität. Wenn man denn in „Brokeback
Mountain“ nach einem politischen Kommentar sucht, dann steckt er in dem tragischen
Widerspruch, der sich aus der Weite dieses Landes und dem Mangel an Freiheit
des Einzelnen ergibt.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Konkret
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Brokeback Mountain
USA 2005 – Regie: Ang Lee – Darsteller: Heath Ledger, Jake Gyllenhall,
Ann Hathaway, Michelle Williams, Randy Quaid, Kate Mara, Linda Cardellini, Graham
Beckel, Mary Liboiron, Anna Faris, David Harbour – FSK: ab 12 – Länge:
134 min. – Start: 9.3.2006
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