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Brinkmanns Zorn 

 

„Ab und zu mal ein Geräusch machen!“ – „Sprechen gegen den Unsinn der Gegenwart, gegen den Unsinn der Vergangenheit!“ Wie gelingt die Annäherung und Fixierung von Gegenwart? Der Schriftsteller Rolf Dieter Brinkmann (1940–1975) wurde in den vergangenen Jahren als einer der bedeutendsten frühen Pop-Literaten wiederentdeckt, besser: gehandelt. Das beruht auf einem eklatanten Missverständnis, denn die Texte Brinkmanns haben nichts, aber auch gar nichts mit den oberflächlichen Flaneuren der bunten Warenwelten zu tun, die einem seit Stuckrad-Barre als „Pop“ angedient werden sollen.

 

Brinkmann sorgte einerseits (gemeinsam mit Ralf-Rainer Rygulla) für die frühe Rezeption amerikanischer Beat-Literatur und deren origineller Cut-Up-Techniken, andererseits zeigte er sich als äußerst rabiater, ja verzweifelter Kritiker der bundesdeutschen Spießer-Renaissance der 1960er-Jahre. Pop und die Rekonstruktion von Alltag stehen bei Brinkmann noch klar für Dissidenz und Gegenkultur, während heutzutage alles „Pop“ ist. In den späten 1960er-Jahren, nach der Veröffentlichung der Textsammlung „Acid“, gewann Brinkmann im Rekurs auf die Sprachphilosophie Fritz Mauthners die Einsicht, dass konventionelles Schreiben, Sprache, Wörter als Mittel der Welterkenntnis völlig untauglich sind. Brinkmann schrieb aus Spaß weiter, für sich, sah darin auch einen Akt des Widerstands gegen die lärmend konsumierende Umwelt: „Man ist ja nicht zufrieden mit sich, wenn man nicht jeden Tag etwas gekauft hat.“ In den folgenden Jahren wandte er sich Cut-Up-Techniken zu und experimentierte mit Fotografie und Tonbandaufnahmen. Seine sich anschließenden Veröffentlichungen gerieten zu komplexen Wort-Bild-Collagen, deren Schreibprogramm sich am besten im Titel eines Bands formuliert findet, der erst 1987 aus dem Nachlass veröffentlicht wurde: „Erkundungen für die Präzisierung des Gefühls für einen Aufstand: Reise Zeit Magazin“. 1975 wurde Rolf Dieter Brinkmann nach einer Lesung in Cambridge (die im Film auch zu sehen ist) in London bei einem Verkehrsunfall getötet. Die faszinierenden, mehrstündigen Tonband-Dokumente, eine Art höchst subjektiver Zeitmitschrift, wurden 2005 unter dem Titel „Wörter Sex Schnitt“ in einer famosen Fünf-CD-Box veröffentlicht und begeistern gerade durch die Präsenz von Brinkmanns abenteuerlichem Furor gegen den Literaturbetrieb, gegen Marcel Reich-Ranicki, die Stadt Köln, das Familienleben und die Hässlichkeit der herrschenden Zustände im Allgemeinen.

 

Der Filmemacher Harald Bergmann, bekannt durch ungewöhnliche, Maßstab setzende Literaturverfilmungen wie „Hölderlin-Comics“ (1993/94) oder „Scardanelli“ (fd 35 497) hat diese O-Töne aus dem Nachlass und den Super 8-Filmen des Dichters genommen und sie mit einigen Darstellern szenisch umgesetzt, nachgestellt, zum Leben erweckt, den „Film in Worten“ (Buchtitel) mit den Mitteln der Fiktion zum Laufen gebracht. Herausgekommen ist dabei ein ungewöhnlich kraftvoller Film, der Brinkmanns „Rap“ rhythmisch kongenial montiert und zu einem stimmigen, mitreißenden Porträt formt. „Brinkmanns Zorn“ ist ein absoluter Glücksfall von einer Literaturverfilmung, rasant, mitreißend, zornig, unterhaltsam und klug. Bergmanns ebenso mutiger wie radikaler Ansatz, der Stimme, Bilder und Texte zur fiktionalen Fabrikation eines scheinbar dreidimensionalen Wiedergängers nutzt, wird der Arbeit des Porträtierten gerade dadurch gerecht. Hat man als Zuschauer die Dringlichkeit von „Brinkmanns Zorn“ gesehen, erlebt, durchlitten, erfahren, wird klar, wie schwach, anämisch und leidenschaftslos die deutsche Gegenwartsliteratur ist. Von den aktuellen so genannten Pop-Literaten gar nicht erst zu reden.

 

Ulrich Kriest

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in: film-dienst

 

 

Brinkmanns Zorn

Deutschland 2006 – Regie: Harald Bergmann – Darsteller: Eckhard Rhode, Alexandra Finder, Martin Kurz, Rainer Sellien, Isabel Schosnig, Baki Davrak – FSK: ab 12 – Länge: 105 min. – Start: 11.1.2007  

 

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