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Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia

 

Reliquien sind Gegenstände, denen in unseren Breiten – vor allem im Katholizismus – besondere religiöse Verehrung zuteil wird. Darüber hinaus stellen sie eine der ältesten Formen der Heiligenverehrung dar. Speziell Reliquien der ersten Kategorie, also verbürgte Körperteile eines Heiligen, erfreuen sich höchster Wertschätzung. Ein organisierter Handel auf monetärer Grundlage ist verpönt, Schenkung die einzig gangbare Übertragungspraxis.

 

Ein Kopf. Präziser: Der Kopf Alfredo Garcias. Eine Reliquie, zweifellos – nur deutlich profanerer Natur. Weder vergoldet, noch von besonderer Handwerkskunst zeugend. Faulendes, von Fliegen bedecktes Fleisch. Nicht verschenkt, sondern aus einem Grab geraubt. Kein Heiliger, sondern ein Frauenheld und Taugenichts. Für Bennie, einem Alfredo wohl gar nicht so unähnlichen Mann aus einfachsten Verhältnissen, von der Armut zu einem höchst unsoliden Lebenswandel verdammt, jedoch Garant der (irdischen) Glückseligkeit. "Hör zu! Hat die Kirche nicht von ihrem Heiligen Füsse, Finger und weiß Gott was noch für Körperteile als Reliquie abgeschnitten. Bitte, wir machen’ s wie sie, Alfredo ist unser Heiliger, der Heilige von unserem Geld und wir brauchen von ihm eine Reliquie." meint Bennie dann auch zu seiner Freundin Elita, die zwar erhebliche Bedenken ob der moralischen Grundlage dieses Unternehmens hat, aber andererseits, wie es eben so ist, trotzdem zu ihrem Macker halten will, mag er wohl auch nicht das erhoffte, große Los sein. Denn was nützt es schon? Immer noch besser als einsam und abgebrannt. So nimmt man dann auch gegenseitig die Hurereien des Anderen hin und rauft sich immer wieder zusammen. Nur nicht alleine sein.

 

Nein, der Kopf muss her. Fünf bis zehn Riesen könnten drin sein. Peanuts, wie Bennie später erfahren soll, denn tatsächlich winken nicht weniger als eine Million Dollar. Ausgelobt vom bigotten Großgrundbesitzer El Jefe, der sich mit kirchlichen Würdenträger schmückt, wie andere mit Orden, andererseits aber auch nicht davor zurückschreckt seiner schwangeren Tochter von seinen Schergen den Arm brechen zu lassen. Der Name ihres Liebhabers, unter Folter preisgegeben, man ahnt es: Alfredo Garcia. Eine Millionen Dollar. Viel Geld für einen Lumpen. Schon merkwürdig, spuckt man den falschen Leuten in die Suppe, wird die eigene, jämmerliche Existenz plötzlich vergoldet. Nur leider immer zum persönlichen Nachteil. Vom Menschen aus Fleisch und Blut zu hartem Dollar – das ist ein kürzerer Weg, als man so meint. An dessen Ende dann aber immer die Anderen die Sahne abschöpfen. Und noch während man fällt, kann man ihnen beim, durch das eigene Blut erschlichenen, Aufstieg zusehen, vielleicht noch etwas hinauf rufen und dann ist es auch schon vorbei. Bennie weiß das wahrscheinlich selbst, trotzdem, hier bietet sich wieder eine Chance und wieder wird sie beim Schopf gepackt. Schnell und zuverlässig betäubt die Verheißung Strapazen und etwaige Konsequenzen. Und wer möchte schon von denen etwas wissen, wenn das Himmelreich lockt?

 

"Danke, er ist nämlich mit besonderen Erinnerungen an ein Mädchen verknüpft, das müsst ihr verstehen. Diesen Korb packte sie eines Tages voll, mit den schönsten Sachen für ein Picknick. Dann sind wir zusammen losgefahren, auf verdammt dreckigen Straßen. Wir lebten von dem, was sie zubereitet hatte mit ihren Händen, mit wundervollen Händen. Doch sie kam nicht zurück von dieser Fahrt, deswegen möchte ich wissen, was ihr damit wollt? Was der Kopf von Alfredo Garcia wirklich wert ist und für WEN er das wert ist!"

(Bennie verlangt den Korb)

 

Seine Güte schöpft der Film besonders aus dem Zustand einer – paradoxen – apathischen Umtriebigkeit seiner beiden Hauptprotagonisten. Immer wieder den Griff nach den Sternen versuchen, dabei scheitern, wieder greifen, wieder scheitern, immer weiter, nur weiter. Produktives auf der Stelle treten, das unerreichbare Ziel fest vor Augen. Erst mit dem Tode Elitas kommt wirkliche Bewegung ins Spiel. Das Geld ist nun nicht mehr wichtig, wozu auch, eine gemeinsame Zukunft gibt es nicht. Die Sinnlosigkeit als letzter Antrieb für einen, der bereits alles verloren hat. Sie in Sinn aufzulösen, zu begreifen wieso und warum, wird Bennies letzte Aufgabe, an deren Ende sich Erkenntnis und Tod die Klinke in die Hand geben. Das Geld bleibt indes einfach liegen und wird als Fetisch entlarvt. Papier, nicht mehr und nicht weniger. Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia ist rohes, physisches Kino. Unmittelbar und dreckig. Alles richtig, aber das hat man, mal ganz unter uns, doch schon tausendmal gehört. Falsch wird es dadurch sicher nicht, ein anderer Aspekt – mag er auch nicht so prominent und aufällig sein – ist meiner Meinung aber letzten Endes wichtiger: Die ungebrochene Würde, mit der Bennie und Elita ihr Leben meistern, ist von einer Erhabenheit und Größe, die einem schlichtweg den Atem stocken lässt. Eine Anmut von der Schmierlappen wie El Jefe mitsamt ihrer devoten Entourage nie gehört haben und die sie auch niemals verstehen werden.

 

Wenigstens das.

 

E. F.

 

Diese Kritik ist vorher erschienen im:  filmtagebuch.blogger

Zu diesem Film gibt’s im archiv mehrere Texte

 

Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia

BRING ME THE HEAD OF ALFREDO GARCIA

USA – 1974 – 112 min.

FSK: ab 18; nicht feiertagsfrei

Verleih: United Artists

Erstaufführung: 15.8.1974

Fd-Nummer: 18944

Produktionsfirma: Optimus

Produktion: Martin Baum

Regie: Sam Peckinpah

Buch: Gordon Dawson, Sam Peckinpah

Kamera: Alex Phillips jr.

Musik: Jerry Fielding

Schnitt: Garth Craven, Robbe Roberts, Sergio Ortega, Dennis Dolan

Darsteller:

Warren Oates (Bennie)

Isela Vega (Elita)

Gig Young (Quill)

Robert Webber (Sappensly)

Kris Kristofferson (Paco)

 

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